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AKW-Debatte: Grüne verschieben die Revolution – vorerst


Sprengstoff in der Ampel
Scholz kommt mit einem blauen Auge davon

  • Annika Leister
Von Annika Leister

11.11.2022Lesedauer: 4 Min.
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Bundeskanzler Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Habeck (Grüne): Wie groß ist der Widerstand gegen Scholz' Machtwort in der Grünen-Fraktion?Vergrößern des Bildes
Bundeskanzler Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Habeck (Grüne): Die Kritik an Scholz' Machtwort in der AKW-Debatte ist groß in der Grünen-Fraktion. (Quelle: Emmanuele Contini/imago images)

Wie lang sollen die letzten deutschen Atomkraftwerke laufen? Der Bundestag hat am Freitag darüber abgestimmt, die Grünen lenken ein. Vorläufig – denn damit ist die Debatte wohl noch nicht beendet.

Bernhard Herrmann hebt die Arme und kreuzt sie am Podium im Bundestag vor seiner Brust zu einem X, eine energische Geste der Ablehnung: "Atomkraft ist keine Brücke in die neue Welt, sondern ein Brückenpfeiler auf Sumpf gebaut", sagt der Grünen-Politiker. "Der Atomausstieg ist nötig und daran rütteln wir nicht, neue Brennstäbe mit neuem Atommüll gibt es mit uns nicht." Herrmann, der Mitglied im Ausschuss für Klimaschutz und Energie ist, formuliert hier eine rote Linie. Nicht nur für ihn persönlich, sondern für die gesamte Fraktion der Grünen.

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Der Bundestag stimmt an diesem Freitagmorgen über die Laufzeitverlängerung für die letzten drei deutschen Atomkraftwerke ab, die noch am Netz sind. Statt Ende des Jahres abgeschaltet zu werden, sollen sie bis Frühjahr 2023 im Streckbetrieb laufen. Die Diskussion darüber hätte die Koalition fast zerrissen – die Grünen wollten eigentlich wie geplant am Ende der Atomkraft festhalten, die FDP forderte angesichts der Energiekrise einen Weiterbetrieb bis 2024. Der Kanzler sprach schließlich ein Machtwort, berief sich auf seine Richtlinienkompetenz und legte mit dem Frühjahr 2023 einen klassischen Kompromiss fest.

Scholz' Machtwort aber bindet nur die Mitglieder der Bundesregierung, nicht die Fraktionen im Bundestag. An diesem Freitag also stellt sich zuallererst die Frage: Werden die Grünen Scholz folgen? Oder werden sie, für die der Atomausstieg ein Kernthema ist, im Parlament den Aufstand gegen den Kanzler proben?

101 Grüne-Abgeordnete stimmen in Scholz' Sinne ab

Ein Grünen-Abgeordneter hatte bereits vorab angekündigt, dem Kanzler nicht zu folgen. "Es gibt für mich keinen Grund und ich sehe keine Notwendigkeit, dem zuzustimmen", sagte Julian Pahlke, seit 2021 für die Grünen im Bundestag, dem "Spiegel". Als Grund nannte der 31-jährige Niedersachse seine Verbundenheit mit der Region Emsland. Hier, wo das AKW Emsland steht, warben die Grünen für die Landtagswahl 2022 auch mit Slogans wie "Atomausstieg so nötig wie nie".

Am Ende aber unterstützt auch die Mehrheit der Grünen-Abgeordneten Scholz' Kompromiss und den Gesetzentwurf für die Laufzeitverlängerung der letzten drei deutschen AKW. 101 Grüne votieren im Sinne des Kanzlers – nur neun dagegen. Weil SPD und FDP geschlossen für die Änderung stimmen, reicht es locker gegen die "Nein"-Stimmen von Union und Linken: 375 zu 216 – bei 70 Enthaltungen, die vor allem aus der AfD kommen.

Die Revolution der Grünen ist abgesagt – oder zumindest kurzzeitig verschoben.

Denn bereits jetzt kündigt sich an, dass die Diskussion wieder hochkochen wird. Der nächste Stresstest für die Ampelregierung, er könnte bereits in wenigen Monaten kommen.

Lindner schlägt Kuhhandel vor

Denn in der FDP scheint die Lust groß zu sein, die Grünen mit dem Thema weiter vor sich herzutreiben – Scholz' Machtwort hin oder her – und spätestens im Frühjahr ein neues Fass aufzumachen. Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner, sonst vehement gegen ein von den Grünen schon lange gefordertes Tempolimit auf deutschen Autobahnen, zeigte sich im Politik-Podcast "Lage der Nation" gerade offen dafür – unter einer Bedingung. "Ich wäre sofort bereit zu sagen, wir machen in Deutschland ein Tempolimit, wenn die Kernkraftwerke länger laufen", erklärte Lindner.

Es wäre ein politischer Kuhhandel, den Lindner wohl kaum ernsthaft durchziehen würde – schließlich lehnt seine Partei ein Tempolimit vehement ab. Doch auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki kündigte bereits Mitte Oktober mit Blick auf den AKW-Kompromiss an: "Ich gehe davon aus, dass wir Anfang kommenden Jahres wieder über die Zukunft der Energieversorgung über den 15. April hinaus sprechen werden."

Die Grünen aber haben auf ihrem Parteitag Mitte Oktober festgelegt, dass sie einer Laufzeitverlängerung bis ins Frühjahr zustimmen. Die AKW dürfen aber keine neuen Brennstäbe erhalten und es darf keine weitere Laufzeitverlängerung geben. Und das haben die Parteispitzen auch immer wieder in öffentlichen Statements festgemeißelt: "Das Gesetz sagt eindeutig, dass am 15.4. abgeschaltet wird, dass keine neuen Brennelemente beschafft werden sollen", betonte Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) am Freitag vor der Abstimmung im Bundestag in der Sendung "Frühstart". Sie bejahte die Frage, ob das Atomzeitalter in Deutschland damit zu Ende sei.

Klöckner: "Das ist wie moderner Kolonialismus"

Der Union, die die AKW ebenfalls länger laufen lassen will, bietet die Haltung der Ampel jedenfalls schon jetzt viel Angriffsfläche. "Es geht ihnen nur noch um Parteipolitik", kritisierte CDU-Politikerin und Ex-Ministerin Julia Klöckner am Freitag in einer Rede. Die Bundesregierung wolle Fracking-Gas importieren, aber nicht selbst in Deutschland fördern; sie wolle Atomenergie aus anderen Ländern beziehen, aber die eigenen AKW nicht weiterlaufen lassen. Klöckners Vorwurf: Deutschland agiert asozial, die Folgekosten für das Nutzen der Fossilen schiebt die Ampel ab. "Das ist wie moderner Kolonialismus", ruft sie scharf.

Je nachdem, wie hart die Energiekrise Deutschland im Winter trifft, ist schon jetzt klar: Grünen-Politiker wie Bernhard Herrmann werden ihre rote Linie sehr bald erneut verteidigen müssen.

Verwendete Quellen
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