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"Merkel – Macht der Freiheit": So haben Sie die Ex-Kanzlerin noch nie gesehen


Angela Merkel
So hat man sie noch nie gesehen

Von Miriam Hollstein

22.11.2022Lesedauer: 5 Min.
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Helmut Kohl und Angela Merkel im Jahr 2001: Kohl galt als Förderer von Merkel. Der Altkanzler ernannte sie in der damaligen Regierung zur Umweltministerin.Vergrößern des Bildes
Helmut Kohl und Angela Merkel im Jahr 2001: Kohl galt als Förderer von Merkel. Der Altkanzler ernannte sie in der damaligen Regierung zur Umweltministerin. (Quelle: IPON/imago-images-bilder)

Über Angela Merkel ist alles bekannt? Nein! Ein neuer Dokumentarfilm zeigt eine unbekannte Seite: die eiskalte Machtpolitikerin.

Eines der interessantesten Gedankenspiele geht so: Wenn man heute auf sein jüngeres Ich träfe, wie würde die Begegnung verlaufen? Würde man sich wiedererkennen? Wäre man befreundet? Würde man sich verachten?

Ein neuer Dokumentarfilm eröffnet die Gelegenheit, den Vorher-Nachher-Vergleich zu ziehen. Nicht für sich selbst, aber für eine der berühmtesten Politikerinnen der Welt.

"Merkel – Macht der Freiheit" zeichnet eine fulminante Karriere nach, die in 16 Jahren im Kanzleramt gipfelte. Anhand zahlreicher Interviews unter anderem mit dem ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair, den früheren US-Außenministerinnen Hillary Clinton und Condoleezza Rice und Merkels einstigem SPD-Herausforderer Martin Schulz. Aber vor allem durch teils wenig bekannte Ausschnitte aus älteren Interviews und Auftritten von Angela Merkel.

An diesem Dienstag hat der Film in Berlin und im brandenburgischen Templin, wo Merkel aufgewachsen ist, Deutschlandpremiere. Ab 24. November ist er bundesweit in den Kinos zu sehen.

In 98 Minuten verwandelt sich die "Führerin der freien Welt" der vergangenen Jahre wieder in eine etwas linkisch wirkende junge Frau mit Topfhaarschnitt und verschlossener Miene zurück. Eine, die von den älteren Kollegen gönnerhaft von oben herab behandelt wird, selbst wenn diese, wie der frühere Arbeitsminister Norbert Blüm, selbst einen Kopf kleiner sind als Merkel. Und eine, der vom früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler in einem Interview bescheinigt wird, dass sie durchaus Kanzlerin werden könne. Aber nur, wenn sie sich noch etwas besser anziehe.

Was die wichtigen Männer bei ihrem Blick auf die Äußerlichkeiten übersahen, zeigen die alten Aufnahmen aus den neunziger Jahren zumindest rückblickend nur allzu deutlich: Den Willen und die Fähigkeit der Frau aus Ostdeutschland, sich im westdeutschen Politikbetrieb durchzubeißen. So wie sie sich einst in der DDR durchgekämpft hatte, wo sie als Pfarrerstochter keinen leichten Stand hatte.

"Die meisten Politiker wollen überschätzt werden. Sie wollte unterschätzt werden", sagt Tony Blair im Film über sie. Mit dieser Strategie schaffte sie es, all ihre Rivalen und Parteifeinde in Sicherheit zu wiegen – und im entscheidenden Moment auszubooten oder zu überholen.

Das Kinoplakat zu "Merkel – Macht der Freiheit" zeigt die Politikerin, wie sie einen anderen Staatschef umarmt und dabei über dessen Schulter hinweg mit stahlblauen Augen frontal in die Kamera schaut. Es wirkt wie das Bild zu einem Psychothriller.

Um eine Art Mord geht es tatsächlich auch in diesem Film: um den politischen Vatermord an Helmut Kohl. Die Aufnahmen, die die in Westdeutschland aufgewachsene Regisseurin Eva Weber hierfür gefunden und ausgewählt hat, gehören zu den atemberaubendsten des Films. Zunächst sieht man die junge Angela Merkel, wie sie unter dem gönnerhaften Blick des damaligen Kanzlers Kohl 1991 als Frauenministerin vereidigt wird. Verlegen lächelt sie ihn an. Er weiß: Sie ist sein Geschöpf. Kohls Mädchen. Eine unbekannte Ostdeutsche mit wenig Politikerfahrung, die es nur dank ihm ins Kabinett geschafft hat.

Dieses Interview hätte Kohl warnen sollen

Kohl hätte sich das Interview anschauen sollen, das Merkel im selben Jahr der Journalistenlegende Günter Gaus gab. Sie habe Widerspruchsgeist erst spät gelernt, sagt sie darin, aber dieser sei "außerordentlich wichtig" in der Politik. Geistesgegenwärtig stellt Gaus die Frage: "Es kann sein, in fünf Jahren sind Sie für Kohl nicht mehr so bequem?" Merkel: "Das kann ich nicht ausschließen, das kann man aber auch nicht voraussagen."

Geradezu genüsslich schneidet Regisseurin Eva Weber anschließend auf die CDU-Spendenaffäre acht Jahre später, bei der Kohl wegen illegaler Parteispenden massiv unter Druck geriet. Vermutlich hätte er den Skandal politisch dennoch überleben können, hätte seine damalige Generalsekretärin Angela Merkel nicht in einem Gastbeitrag in der "FAZ" eine gnadenlose Abrechnung angekündigt. Dieser Text hätte Merkel alles kosten können. Tatsächlich aber gelang es ihr mit diesem Schritt, die Partei und sich selbst vom Übervater zu befreien. Kohl hat ihr diese Lossagung bis zu seinem Tod nie verziehen.

Wer Merkel zum Weinen brachte

Die kalte Machstrategin ist allerdings nur eine Facette, die der Film zeigt. An anderer Stelle überrascht er mit der Darstellung einer ungewöhnlich emotionalen Merkel. Als Barack Obama sie nach der Wahl Donald Trumps auf seiner Abschiedstour in Berlin besuchte, hatte sie bei seiner Verabschiedung Tränen in den Augen. Obamas Berater Ben Rhodes schildert, wie erschüttert der US-Präsident über diese Tränen gewesen sei. Obama habe den Eindruck gehabt, dass der Schmerz nicht nur ihm gegolten habe, sondern auch der Erkenntnis, nun auch noch den letzten Vertrauten unter den Verbündeten verloren zu haben.

Die Abneigung zwischen ihr und Obamas Nachfolger Donald Trump ist eine der Klammern des Films. Hier der ungehobelte Milliardär, der nationalistische Töne spuckte, Mauern errichten ließ und sich von seiner Ideologie treiben ließ. Dort die kontrollierte Naturwissenschaftlerin, für die der Fall der Mauer nach eigener Schilderung der Glücksfall ihres Lebens war und die Politik meistens pragmatisch und fast nie ideologisch betrachtete.

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Auch Merkels ambivalentes Verhältnis zum russischen Präsidenten Wladimir Putin wird gezeigt: Wie dieser beim zweiten Treffen seine schwarze Labradorhündin auf sie losließ, weil er um ihre Angst vor Hunden wusste. Und wie sie dennoch lange glaubte, dass die Integration Russlands in Europa die richtige Strategie sei.

Dass der Film fast zur Heldenverehrung abdriftet, ist seine größte Schwäche. Die wiederum daran liegt, dass er Merkels Versagen beim Klimaschutz, über den sie schon früh als Umweltministerin mehr wusste als viele andere, nicht zur Sprache bringt. Auch die Pandemie mit all ihren Verwerfungen blendet er komplett aus.

Und dennoch ist der Film sehenswert. Denn an anderer Stelle blitzt schon früh Merkels hintersinniger Humor auf. Etwa als sie in einem alten Fernsehinterview erzählt, sie habe sich in der DDR für die Physik entschieden, weil die Naturwissenschaften ein Gebiet gewesen seien, wo man nicht permanent habe lügen müssen: "Zwei mal zwei war eben auch im Osten vier", sagt Merkel und fügt dann hinzu: "Zumindest, wenn man es selbst ausgerechnet hat."

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Ein kompromissloser Regiestil als Erfolgsrezept

"Merkel – Macht der Freiheit" ist eine regelrechte Wundertüte: voller überraschender Momente über eine Frau, von der man doch alles schon zu kennen glaubte. Das liegt am Stil der Regisseurin, Szenen und Fotos schnell und assoziativ zusammenzumixen, statt sich in langatmigen Erklärungen zu verlieren. Sie und ihr Team haben dafür nach eigenen Angaben 3629 Archivausschnitte, 1925 Fotos, 128 Audioclips, 55 Filme und 43 Interviews ausgewertet.

Es liegt aber auch daran, dass Weber wie ihre Protagonistin mit einer gewissen Härte vorging: Von den zahlreichen Interviews, die sie geführt hat, zeigt sie oft nur Sekundenschnipsel. Das verleiht dem Film eine besondere Dynamik.

Insgesamt wird man 98 Minuten lang bestens unterhalten und hat am Ende eine Menge über Angela Merkel erfahren. Zum Beispiel, dass sie wohl ihrem jüngeren Ich mit Anerkennung begegnen würde: Du hast dich tapfer geschlagen.

Verwendete Quellen
  • Dokumenarfilm "Merkel – Macht der Freiheit" von Eva Weber
  • Trailer zum Film: https://www.youtube.com/watch?v=uSMTZLUNlXI
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