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FDP-Politikerin kritisiert Union: Ampelregierung muss "bei null" anfangen


Chefin der "Jungen Liberalen"
"Wir alle wissen: Das Rentensystem ist zum Scheitern verurteilt"


16.04.2023Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Franziska Brandmann (Archivbild): Für die Vorsitzende der Jungen Liberalen ist die Schuldenbremse wichtig fürs Überleben der Ampelkoalition.Vergrößern des Bildes
Franziska Brandmann: "Ich finde, wir gehen mit staatlichen Freiheitseinschränkungen zu leichtfertig um." (Quelle: IMAGO/Malte Ossowski/SVEN SIMON)

Wie frei sind junge Menschen in Deutschland? Ein Gespräch mit der Chefin der "Jungen Liberalen", Franziska Brandmann, über Aufstiegschancen und die Frage, warum sie unterstützt, dass Mallorca-Flüge sehr teuer werden könnten.

Franziska Brandmann hat auf ihrem Schreibtisch ein dickes Buch stehen, erzählt sie. "Freiheit ist mehr als ein Wort" von der ehemaligen FDP-Staatsministerin Hildegard Hamm-Brücher. Brandmann, 28 Jahre alt, ist seit 2021 die Vorsitzende der "Jungen Liberalen", der Jugendorganisation der FDP. Ein Gespräch über die Frage, was Freiheit für junge Menschen heute bedeutet – und warum sie manchmal Kritik an der Haltung ihres Parteichefs Lindner übt.

t-online: Wie frei sind junge Menschen in Deutschland noch?

Franziska Brandmann: Das kommt immer darauf an, was man als Maßstab anlegt.

Was meinen Sie?

Ich war vor wenigen Wochen in der Ukraine. Ein Soldat in meinem Alter sagte mir: "Ich weiß, wofür ich kämpfe. Dafür, dass mein kleiner Bruder in einer Demokratie und in Freiheit aufwächst, statt unter russischer Besatzung." Das hat mich bewegt. Wenn man die Bedrohung der Freiheit junger Menschen in der Ukraine als Maßstab nimmt, klar, dann ist die Freiheit junger Menschen in Deutschland nicht bedroht. Aber ich finde, wir gehen mit staatlichen Freiheitseinschränkungen zu leichtfertig um.

Was schränkt die Freiheit in Deutschland denn noch ein?

Sie stellen diese Frage, als könnten Sie sich gar nicht vorstellen, dass es in Deutschland Freiheitseinschränkungen geben könnte. Dabei hat sich doch in der Pandemie gezeigt, dass gerade die Freiheit junger Menschen sehr schnell und leichtfertig reduziert wurde: Zack, wurden die Schulen und die Universitäten geschlossen. Der angerichtete Schaden war und ist immens.

Wie kam es dazu?

Es wurde zu wenig abgewogen, was man jungen Menschen damit zumutet und ob diese Zumutung verhältnismäßig ist. Der Vibe (die Stimmung, Anm. d. Red.) war: Du kannst ja noch dein ganzes Leben lang frei sein, zur Schule, zur Uni und ins Fitnessstudio gehen, jetzt geht es halt mal nicht, stell dich nicht so an. Was das für viele junge Menschen bedeutet hat, das wurde gar nicht beachtet. Aber selbst jetzt, wo die Einschränkungen endlich weggefallen sind, sind junge Menschen immer noch nicht vollends frei, etwa darin, ihren eigenen Lebensweg durch Leistung selbst zu bestimmen.

Weil sozialer Aufstieg in Deutschland für Kinder noch zu häufig vom jeweiligen Elternhaus abhängt.

Exakt. Wir sind bei sozialer Mobilität und Durchlässigkeit auf einem Niveau mit Chile! Man kann den Bildungsweg junger Menschen fast vollständig vorhersehen, indem man sich den Bildungsweg ihrer Eltern anschaut. Das ist doch massiv ungerecht, dass individuelle Fähigkeit und Leistung scheinbar viel zu selten den Unterschied macht. Das müssen wir als liberale Partei zum Thema machen und als Regierungspartei anpacken.

Ihr Parteichef betont gern, dass Grüne und SPD zwei "linke Parteien" seien – deswegen wären liberale Reformen in der Regierung oft nicht so einfach.

Mich holt diese Erzählung nicht ab. Die FDP ist nicht in diese Koalition eingetreten, um einfach nur Schlimmeres zu verhindern. Sie ist in diese Koalition eingetreten, um das Land liberaler zu machen. Für wie links sich die Grünen halten, interessiert mich herzlich wenig. Ich finde, wir sollten uns darauf konzentrieren, Deutschland einen liberalen Stempel aufzudrücken.

Bei den letzten Landtagswahlen wurden die Liberalen aber abgestraft.

Ich komme selbst aus Nordrhein-Westfalen, und das Ergebnis dort hat wehgetan. Wenn Bürgerinnen und Bürger sich von einer Partei abwenden, ist es wichtig, darauf mit Demut zu reagieren und darüber nachzudenken, was man besser machen kann. Wir sollten in den Debatten stärker in die Offensive gehen, eigene Themen einbringen – eben voll in die inhaltliche Offensive!

Und den Zoff muss der Koalitionspartner dann eben aushalten.

Wie komisch wäre es denn, wenn diese drei unterschiedlichen Parteien plötzlich immer der gleichen Meinung wären? Würde das unsere Demokratie weiterbringen? Ich glaube nicht. Sie sprechen hier von "Zoff", ich bleibe lieber bei meinem Vokabular: inhaltliche Offensive! Und die ist doch etwas Gutes.

Wie ist generell die Stimmung in der Ampelkoalition nach knapp anderthalb Jahren des gemeinsamen Regierens?

Ich zitiere mal Ricarda Lang: "Das haben wir uns anders vorgestellt". Durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die daraus resultierende Energiekrise, durch die Inflation – da ist viel auf die Regierung zugekommen, was zu Beginn nicht absehbar war. Das hat zu Reibereien geführt. Ich nehme aber wahr, dass es weiter einen gemeinsamen Willen gibt, die Herausforderungen dieses Landes zu lösen. Und wenn ich noch eines sagen darf …

Ja?

Es war schon überraschend, wie leer die Schubladen in den Ministerien waren, nach 16 Jahren Union in der Regierung. Viele Ideen zur Erneuerung und Beschleunigung dieses Landes müssen ganz grundsätzlich erst geschaffen werden. Nehmen Sie zum Beispiel die 200-Euro-Zahlung an Studierende. Es hat monatelang gedauert, das auf den Weg zu bringen – weil der Staat weder wusste, wer studiert, noch, wie man ihn erreichen kann oder wie man so viele Zahlungen technisch auf den Weg bringen kann. Darüber hatte sich niemand jemals Gedanken gemacht. Die Bundesregierung musste in vielen Bereichen echt bei null anfangen.

In welchen Bereichen sind die Jungen Liberalen konsequenter als die Mutterpartei?

Ehrlich gesagt: in allen.

Klar. Und wirklich?

Als Jugendorganisation können wir einfach sagen, was wir denken. Nehmen Sie als Beispiel die Rentenpolitik. Wir alle wissen, dass das deutsche Rentensystem durch den demografischen Wandel zum Scheitern verurteilt ist. Die von Finanzminister Christian Lindner angestrebte Aktienrente ist deshalb wichtig. Aber wir Jungen Liberalen sagen klar: Die Aktienrente allein wird nicht ausreichen. Wir müssen in Deutschland eine ehrliche Rentendebatte führen und zugeben: Man wird in Zukunft mehr privat vorsorgen müssen, anders wird es faktisch nicht gehen. Ein anderes Beispiel sind staatliche Subventionen: Wir Junge Liberale sind dafür, die Subventionen dafür komplett zu streichen. Wieso sollte jemand, der sich ein E-Auto für 30.000 Euro kauft, eine Subvention erhalten, die durch die Steuerzahlungen von Geringverdienern finanziert wird?

Wie wollen Sie konkret stattdessen den Klimawandel bekämpfen?

Ich bin Verfechterin eines harten CO2-Limits und eines konsequenten Zertifikatehandels. Das heißt, wir errechnen eine Grenze, die festlegt, wie viel CO2 noch genutzt werden kann, ohne dass wir unsere Klimaziele gefährden. Die Knappheit, die so entsteht, muss dann durch marktwirtschaftliche Mechanismen geregelt werden.

Und wer trotzdem nach Mallorca fliegen will?

Der kann das gerne machen. Aber der Zertifikatehandel regelt eben, dass Fluggesellschaften Zertifikate erwerben müssen, um Flüge anzubieten. Wenn es weniger Zertifikate gibt, weil wir weniger ausstoßen können, werden die Preise für Aktivitäten, die dem Klima schaden, steigen.

Das klingt nach schablonenhafter FDP-Politik: Freiheit für die Reichen.

Ich bitte Sie, das ist nun wirklich Unsinn. Wir wollen erreichen, dass Menschen davon profitieren, CO2 einzusparen, indem eine Klimadividende an die Bürgerinnen und Bürger zurückgezahlt wird. Das ist eine Klimapolitik, die alle mitnimmt. Im Übrigen: Was wäre denn die Alternative?

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Sie würden vermutlich sagen: staatliche Verbote.

Eben. Wenn wir einen Weg finden wollen, die Klimaziele einzuhalten, gibt es zwei Wege: entweder durch Marktmechanismen oder durch staatliche Verbote. Ich finde: Die Politik sollte das Ziel, nämlich mehr Klimaschutz, vorgeben. Aber wie genau Bürgerinnen und Bürger dieses Ziel erreichen wollen, das können sie selbst entscheiden.

Bei der Diskussion um das Verbrenner-Aus bei Autos in der EU trat FDP-Verkehrsminister Volker Wissing vehement dafür ein, dass Autos auch künftig mit E-Fuels weiterfahren dürfen.

Gott sei Dank! Mir konnte noch keiner erklären, warum man klimaneutrale Kraftstoffe verbieten sollte. Wenn die Grünen der Meinung sind, dass E-Fuels sich am Markt nicht durchsetzen werden – warum wollen sie diese dann verbieten? Ich kann die Aufregung nicht nachvollziehen und bin froh, dass die FDP sich davon nicht beirren lässt.

In den 70er-Jahren witterte auch mancher eine immense Freiheitseinschränkung: Dann wurde die Gurtpflicht trotzdem eingeführt – der Schaden für die Freiheit scheint überschaubar zu sein.

Sie könnten jetzt jede Freiheitseinschränkung fordern und bei Widerspruch rufen "Aber die Gurtpflicht!", aber das beachtet nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Vergleich hinkt auch offensichtlich. Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen der Einführung der Gurtpflicht und der Zulassung von E-Fuels.

Nämlich?

E-Fuels sind doch eine Innovation, keine Gefahr. Und: Die Gurtpflicht verpflichtet Menschen dazu, einen Gurt zu tragen. In der E-Fuels-Debatte geht es aber gerade nicht darum, Menschen zu irgendetwas zu verpflichten. Im Gegenteil: Es geht darum, ihnen die Wahl zwischen möglichst vielen Technologien zu ermöglichen. Innovationen, die uns ermöglichen könnten, in Zukunft klimaneutral mobil zu sein – die sollten wir feiern, nicht verbieten.

Frau Brandmann, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Video-Interview mit Franziska Brandmann
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