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Wohnungsnot in Deutschland | Experten warnen vor "Gefahr für Gesellschaft"


Habeck setzt ein Zeichen
Vor dem Absturz

  • Annika Leister
Von Annika Leister

Aktualisiert am 20.04.2023Lesedauer: 4 Min.
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Klara Geywitz, Robert Habeck: Milliarden fließen zurzeit in den Heizungsaustausch. (Quelle: IMAGO/Frederic Kern)

400.000 Wohnungen pro Jahr hat die Ampelregierung versprochen. Doch der Neubau bricht ein, Experten sehen eine "Gefahr für die Gesellschaft". Auf dem Wohnungsbautag muss sich die Bauministerin rechtfertigen.

Gestiegene Zinskosten, zurückhaltende Investoren, einbrechende Baugenehmigungen – Bauministerin Klara Geywitz (SPD) steht am Donnerstag beim Wohnungsbautag auf dem Podium und startet ihre Rede mit einer ganzen Reihe von Problemen, unter denen die Branche gerade leidet.

"Das ist für mich auch kein Grund zur Freude", sagt Geywitz. "Ich werde das nicht mit Wohlfühlglasur überstreichen."

Dabei müsste dieser Tag eigentlich Klara Geywitz' Sternstunde sein. Seit einem Jahr gibt es ihr Ministerium, es wurde eigens geschaffen, ganz neu eingerichtet, nur für dieses Thema: Bauen und Wohnen. Oberste Priorität: der Neubau von 400.000 Wohnungen im Jahr.

Doch es läuft schlecht mit dieser obersten Priorität. Statt sehr viel mehr wird zurzeit sogar weniger gebaut. Dass auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beim Wohnungsbautag ist und später wie Geywitz noch eine Keynote halten wird, ist dabei ein Symbol für die Macht der Bauministerin. Denn die ist zu klein, um das zu meistern, was eigentlich nötig wäre.

Neue Priorität: Umbau

Das Grundproblem: Geywitz' Ministerium hat zu wenig Geld, um in der aktuellen Krise wirkungsvoll gegenzusteuern. Die Mittel setzt die Regierung zurzeit anders ein: zur Abmilderung der Energiekosten, zum Aufpäppeln der Bundeswehr. Im Bausektor fließen gerade Milliarden in die Förderung von Umbauten für das Klima – also auch an Habecks Ministerium.

Am Tag zuvor erst haben Habeck und Geywitz die Fördermaßnahmen für die Umstellung auf klimaneutrale Heizungen vorgestellt. 30 Prozent der Kosten will der Staat für alle Bürger tragen, noch einmal 20 Prozent für besonders Bedürftige oder Besitzer besonders alter Heizungen.

Das ist dringend nötig, die Umstellung ist teuer. Nur ist es Geld, das auch der Neubau gut gebrauchen könnte. Doch die Prioritäten der Regierung haben sich seit 2021, als der Koalitionsvertrag geschrieben wurde, eben verändert: Umbau statt Neubau gilt zumindest zurzeit.

43 Prozent der Unternehmen bauen nicht mehr neu

Dabei schlagen Experten wie Baubranche schon seit Monaten Alarm. Um die Brisanz noch einmal zu verdeutlichen, haben sechs Verbandschefs aus dem "Verbändebündnis Wohnungsbau" am Morgen eine Pressekonferenz gegeben und in drastischen Worten gewarnt: Die Lage am Bau sei so schlecht wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Wohnungsmarkt stehe an einem Kipppunkt und wenn die Politik nicht handele, stürze der Markt komplett ab. Die Wohnungsfrage entwickle sich zu einer "Gefahr für unsere Gesellschaft".

Eine neue Studie des Wohnungs- und Bauforschungsinstituts ARGE, die am Donnerstag vorgestellt wird, stützt die Klagen der Verbände mit düsteren Zahlen: Statt die von der Bundesregierung versprochenen 400.000 Wohnungen wurden 2022 nur 280.000 gebaut. In diesem Jahr werden es vermutlich nur 240.000 sein. Dabei sei Personal auf den Baustellen inzwischen ausreichend vorhanden, auch Baumaterialien gebe es nach Lieferschwierigkeiten wieder zur Genüge.

Es ginge also einiges auf Deutschlands Baustellen. Eigentlich. Wenn da nicht das zentrale Problem der gestiegenen Kosten wäre: Baumaterialien sind sehr viel teurer als vor Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine, auch die Bauzinsen bei den Banken sind in die Höhe geschossen. Rentables Bauen, vor allem von bezahlbarem Wohnraum, ist so kaum möglich. Von 1.500 Unternehmen sagen laut Studie 43 Prozent: Wir stellen den Neubau vorläufig ein, weil es sich zu den Preisen nicht lohnt.

Die Verbände appellieren deswegen am Donnerstagmorgen vereint an die Politik: Es brauche ein Sondervermögen von 50 Milliarden Euro für den Neubau. Und zwar sofort.

"Das ist ein Batzen Geld"

Doch Geywitz erteilt dieser Forderung in einer Rede vor der Diskussionsrunde rasch eine Absage: Sondervermögen klinge super, sagt die Ministerin. Aber: "Das ist ein Batzen Geld, in Wirklichkeit ist es ein Batzen Schulden." Stattdessen zählt sie fast eine halbe Stunde lang die Maßnahmen auf, die ihr Ministerium bereits angegangen ist: 14,5 Milliarden flössen bereits in den sozialen Wohnungsbau, 500 Millionen in das Programm "Junges Wohnen", dann die große Wohngeldreform, die Städtebauförderung.

Die Keynote der Ministerin klingt so in großen Teilen wie eine Rechtfertigung – und endet wenig ermutigend. "Wird in Deutschland gebaut?", fragt Geywitz da nämlich. "Ja, es wird gebaut. Ich hoffe, dass auch sozialer gebaut wird." Im Publikum schütteln Vertreter der Baubranche die Köpfe.

Statt Geld verspricht Geywitz vor allem eines: die Vereinfachung und Vereinheitlichung von Vorgaben für die Branche. Schließlich gibt es noch immer 16 unterschiedliche Bauordnungen, für jedes Bundesland eine. Auch das ist eine zentrale Forderung der Verbände, sie stöhnen über den "Bürokratie-Irrsinn".

An einer Lösung aber arbeitet die Bundesregierung schon lange und immer wieder. Der Föderalismus ist bisher stärker. Und wichtiger für die Branche, auch Geywitz gegenüber betonen die Verbandschefs es, ist eben: Geld.

Habeck schenkt Hoffnung

Die Aussicht darauf schenkt der Branche am Wohnungsbautag erstaunlicherweise nicht die Bauministerin, sondern Wirtschaftsminister Robert Habeck. Auch er listet lange die aktuellen Probleme auf. "Es wäre falsch zu versprechen, dass wir den Zustand von 2021 wieder herstellen können", sagt er. Aber das heiße nicht, "dass wir nichts tun können und dass wir zurzeit genug tun".

In der Diskussion mit den Branchenvertreten sagt Habeck schließlich den entscheidenden Satz: "Ich würde dafür werben, dass die Kollegin mehr Geld ausgeben darf", sagt er über Geywitz. Die politische Begründung dafür sei gegeben: Viele der Gelder aktuell seien zur Überbrückung der Krise da – und die Baubranche sei in der Krise.

Es sind Sätze, die vorsichtig und im Konjunktiv formuliert sind – aber auf diese Sätze haben die Verbände gewartet. Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbandes der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW, spricht nach Habeck von einem "kleinen Hoffnungsschimmer". Doch er betont: Es müsse schnell gehen.

Klara Geywitz wird so schnell keine Ruhe bekommen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Beobachtungen auf dem Wohnungsbautag
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