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Wir brauchen eine Großen Koalition – und zwar sofort


Ampel-Chaos
Wir brauchen eine Große Koalition – und zwar sofort

MeinungVon Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 31.05.2023Lesedauer: 4 Min.
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Olaf Scholz in Berlin: Vorher war er Finanzminister – in einer Großen Koalition. (Quelle: Thomas Lohnes/Getty Images)

Unser Kolumnist dachte bis vor Kurzem, dass Große Koalitionen unter ihrem riesigen Teppich die Demokratie ersticken. Doch angesichts des Dauerstreits in der Ampel kommen ihm Zweifel.

Es ist ein paar Wochen her, da haben zwei kluge Kollegen, die alterstechnisch dann doch ein paar Jahre auseinander sind, unabhängig voneinander etwas Wesentliches beobachtet und aufgeschrieben. Die Zeitläufte sind allerdings ohne viel Aufhebens darüber hinweggetrampelt. Kein Vorwurf an niemanden. Ist einfach viel los gerade.

Aber jetzt kann man die zwei Stücke noch mal hervorkramen, sie sind aktueller, nicht hinfälliger geworden. Christoph Hickmann notierte im Leitartikel des "Spiegel" nach der Abgeordnetenhauswahl von Berlin, dass in der Hauptstadt "eine politische Leiche zum Leben erwacht" sei. Und Günter Bannas, vormaliger Büroleiter der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und Grandseigneur der ausgehenden Bonner und angehenden Berliner Republik, bemerkte im "Hauptstadtbrief" zur gleichen Zeit, dass bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus etwas Bemerkenswertes passiert sei, das in seiner Bedeutung über die Landesgrenzen hinausreiche.

Die Rede war beide Male von der Großen Koalition, die sich am Sitz der Bundesregierung auf Landesebene zurückgemeldet hatte. Und beide, Bannas wie Hickmann, kamen zu dem Schluss, dass dieses Modell auch für den Bund bei der kommenden Bundestagswahl wieder eine wahrscheinliche Option sein könnte.

Beide wussten: Die Welt geht auch mit dem anderen nicht unter

Ich war nie ein Freund der Großen Koalition. Hielt sie immer nur für zulässig, wenn sie bloß über kurze Zeit und in einer Ausnahmesituation gebildet würde. Aber nicht über mehr als ein Jahrzehnt wie zuletzt unter Angela Merkel. Der Normalfall bis dahin war: Eine der beiden großen Volksparteien regierte, die andere opponierte.

Die Bundesrepublik hatte lange Jahrzehnte gut damit gelebt, dass immer eine der beiden großen Volksparteien an der Regierung war, die andere in der Opposition. Beide wussten: Auch wenn wir das im Wahlkampf behaupten, geht mit den andern an der Macht die Welt auch nicht unter. Und beide waren kraftvoll genug, auch eine starke Opposition abzugeben.

Große Koalitionen, so ging mein Gedanke immer, ersticken unter ihrem großen Teppich die Demokratie wie Entengrütze das Leben im Teich. Opposition findet in nennenswertem Umfang nicht statt, die checks and balances sind weitgehend ausgehebelt, allenfalls der Bundesrat sorgt noch dafür, dass die Regierung nicht einfach ohne große Aussprache und Rücksichtnahme das durchsetzt, was sie für richtig erachtet.

Nach zwei Jahren Ampel sehne ich mich allerdings nach der Großen Koalition zurück. In dieser Ampel ist zusammengeschraubt, was nicht zusammengehört. Die Kräfte, die in die Binnenauseinandersetzung gesteckt werden müssen, sind enorm. Jedes Kraftwerk mit einem Wirkungsgrad wie der Ampel würde sofort abgeschaltet, weil mehr Energie reingesteckt werden muss, als rauskommt.

Grüne und Gelbe können sich nachweislich nicht ausstehen, beide verschanzen sich in ihren ideologischen Zitadellen, und Bundeskanzler Olaf Scholz muss sich vorkommen wie der Therapeut in einem permanenten Stuhlkreis namens Kabinett.

Deutschland ist beides: Bequem und verschuldet

Diese selbstbeschäftigte Ampel regiert zu einer Zeit, in der es so dick gekommen ist für dieses Land wie lange nicht. Und es wird noch dicker kommen. Viel dicker. Die Boomer gehen bald in Rente, in hellen Scharen, und dann in Pflege. Kein Mensch weiß, auch Karl Lauterbach nicht, wie dieser Berg an Pflegebedürftigen bewältigt werden soll. Eine Bildungsmisere bringt schwache Schulabgänger hervor, die Leistungsbereitschaft der Generation Schneeflocke kann mit jener der von Konkurrenz zu höchster Anstrengung getrieben Boomer nicht mithalten.

Kürzlich hat ein namhafter Arbeitgebervertreter geklagt, er handle mit seinen jungen Angestellten keine Arbeitsverträge mehr aus, sondern Freizeitverträge. Schuldenbremse und schwarze Null sind Vergangenheit, stattdessen türmen sich die Abermilliarden an neu aufgenommenen Schulden, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mühsam wieder erwirtschaftet werden müssen.

Deutschland ist beides: bequem und verschuldet. Eine schlimme Mischung.

Die Zuwanderung nach Deutschland vollzieht sich weiter ungeordnet und nicht nach Bedarf an qualifizierten Fachkräften. Viele der neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger kommen zudem aus einem Kulturkreis beziehungsweise einem Religionsraum, in dem das Leistungsprinzip schon deshalb nicht richtig Fuß fasst, weil eine ungleich größere Gottgegebenheit zugrunde gelegt wird als im christlichen Kulturkreis.

Das Leistungsprinzip wird entscheidend sein für Wohl und Wehe

Max Weber hatte schon recht, als er einen Zusammenhang herstellte und Parallelen feststellte zwischen dem christlichen Glauben, insbesondere dem Protestantismus, und der Funktionsweise des Kapitalismus. Der wirtschaftliche Niedergang der Türkei fällt zeitlich zusammen mit einem Präsidenten Erdoğan, der die Säkularisierung eines Kemal Atatürk zurückbaut in dem Maße, in dem er selbst immer religiöser wurde. Kann Zufall sein. Muss aber nicht.

Das Leistungsprinzip und die Leistungsbereitschaft werden in den kommenden zehn Jahren entscheidend sein für Wohl und Wehe. Eine so ineffiziente Bundesregierung wie die Ampel kann sich da keiner wünschen. Und das Land nicht leisten.

Wenn es keine Zweierbündnisse mehr aus Union und SPD plus einem kleineren Partner geben kann, dann müssen es die beiden eben zusammen machen. Zumal das neue Parteiengefüge eine funktionierende Opposition auch dann gewährleistet. Die AfD, man mag sie mögen oder eher nicht, nimmt diese Rolle wahr. Und die FDP ist erstaunlicherweise von einer historisch gesehen reinen Regierungspartei zu einer Partei geworden, die sogar in der Regierung die Oppositionsrolle nicht ablegen kann.

Und wer wird dann den Kanzler stellen? Ganz amüsant, dass Hickmann im "Spiegel" ganz selbstverständlich davon ausging, dass Scholz diese Große Koalition leiten würde. Er möge "schon mal überlegen, mit wem er nach der Wahl weitermacht. Und sich das Experiment in Berlin ganz genau anschauen".

Bannas hingegen schloss seinerzeit mit dem Hinweis, dass Scholz im Falle einer Großen Koalition vor der Frage stehen könnte, es wie Franziska Giffey in Berlin zu machen oder machen zu müssen. Noch nie hatte bis dahin ein Regierungschef in einer deutschen Landes- oder Bundesregierung anschließend wieder einen Fachministerposten übernommen.

Mein Gefühl: Wer einmal Bundeskanzler war, wird nicht mehr Minister. "Adieu", schloss Bannas daher folgerichtig seinen Kommentar. Aber offen gestanden: Die Kanzlerfrage ist einerlei. Hauptsache, das Land bekommt wieder eine intakte und effiziente Regierung.

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