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Heizungsstreit: FDP versucht Wandlung – Operation Sinnsuche


FDP in der Ampel
Jetzt wird's ernst


28.06.2023Lesedauer: 5 Min.
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Berlin: Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner.Vergrößern des Bildes
Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner: Die FDP muss ihr Verhältnis zu den Grünen aktuell neu ordnen. (Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur)

Die FDP profitierte im Heizungsstreit davon, bestimmte Vorschläge der Grünen zu verhindern. Reicht das als Strategie für die Zukunft?

Wenn man Christian Dürr danach fragt, wie das Profil der FDP künftig aussehen soll, dann sagt er: "Wenn man gegen eine Politik ist, die viel verbietet, bedeutet das, dass man viel erlauben will." Der Satz ist simpel. So simpel, dass man sich kaum vorstellen kann, wie kompliziert er in der Umsetzung werden könnte.

Dürr, 46 Jahre alt, der oft perfekt sitzende Anzüge trägt, ist Fraktionschef der FDP im Bundestag. Seine Aufgabe ist es, Mehrheiten bei den Abgeordneten zu organisieren. Und gerade ist ihm das wieder gelungen: Die FDP-Abgeordneten werden für das umstrittene Heizungsgesetz von Robert Habeck stimmen. Am Dienstagmorgen wurde bekannt, dass die Ampelkoalition sich auch über weitere Details geeinigt hat.

Weil weniger verboten und mehr erlaubt wird, so sieht es Dürr. Nun können auch Öl- und Gasheizungen betrieben werden, wenn sie klimaneutral genutzt werden. "Ich kann darin keine Verhinderungspolitik erkennen", sagt Dürr, "sondern wir setzen FDP-Programmatik um und damit bin ich zufrieden."

Früher Zitrus, heute Chili

Vor der Überarbeitung des Gesetzes klang das noch ein wenig anders. Bei den Liberalen war von einer "Verbotsorgie" die Rede. Eine Zeit lang trieb der FDP-Finanzpolitiker Frank Schäffler die ganze Partei vor sich her. Schäffler hat einen ausgeprägten politischen Instinkt. Er spürte, dass das geplante Gesetz ein Aufregerthema sein könnte. Also nannte er es "grottenschlecht", versammelte auf dem Parteitag am 22. April etliche Delegierte hinter sich, die Parteiführung schloss sich seinem Widerstand an. Eine ganze Partei bremste nun die ursprünglichen Pläne von Habeck aus.

Dann kam Mitte Mai die Landtagswahl in Bremen, die FDP zog überraschend in die Bürgerschaft ein. Auch die Umfragewerte auf Bundesebene sind seit etlichen Wochen stabil. Die Partei FDP gibt sich in diesen Wochen als Stimme der Vernunft: mehr erlauben, weniger verbieten.

Die Frage ist, ob das reicht. Wenn man in diesen Tagen mit liberalen Politikern spricht, zeichnet sich das Bild einer Partei, die möglichst vernünftig regieren will, aber gleichzeitig auf der Suche nach ihrem eigentlichen Kern ist. Die auf der Suche nach der Frage ist, was weniger Verbote eigentlich bedeuten sollen, außer gegen manche grüne Vorschläge zu sein.

Als noch mehr Einigkeit zwischen den Koalitionspartnern bestand, nannte man das FDP-Grünen-Bündnis: Zitruskoalition. Wenn man in diesem Bild bleiben will, läuft jetzt bei den Liberalen eher Operation Chilischote. Um wieder unterscheidbarer zu werden.

Autos als Kernthema, eine Art Schlager der FDP

Ein Gespräch mit Peter Heidt. Der FDP-Bundestagsabgeordnete sagt: "Natürlich müssen wir als Partei jetzt zunehmend unser Profil schärfen. Aber das machen wir ja auch. Gleichzeitig konnten wir in den letzten Wochen nicht bei allem nur tatenlos zusehen, was die Grünen so planen. Das hat uns eben etwas gebunden."

Wie Heidt klingen etliche Abgeordnete und Mitglieder der Partei. Und schon oft hatte es bei Spitzentreffen der Koalition danach geheißen: Die FDP konnte sich durchsetzen, die Grünen mussten etliche Abstriche machen. Doch viele glauben, dass es so nicht weitergehen kann. Gerade bei der Planungsbeschleunigung, wo die FDP durchsetzte, dass auch der Bau bestimmter Straßen vorangetrieben wird.

In der Frage, wofür die Liberalen künftig stehen wollen, spielt das Auto eine entscheidende Rolle. Es ist eine Art Schlager der FDP, doch rückt er im Zuge der Klimakrise und deren Bewältigung neu in den Fokus.

Alltagsprobleme identifizieren – doch die liberalen Lösungen werden nicht einfach

Bernd Reuther, der verkehrspolitische Sprecher der Fraktion, war vor wenigen Wochen bei der Techno Classica in Essen. Sie gilt als eine der größten Messen für Oldtimer weltweit. Er hielt die Eröffnungsrede, ging zu verschiedenen Ständen, sprach mit etlichen Ausstellern. Wenn man Reuther darauf anspricht, legt er sofort los: "Ich wurde da permanent auf die weitere Zulassung von synthetischen Kraftstoffen angesprochen. Das sind normale Bürger, die gern an alten Autos herumschrauben." Er schiebt nach: "Genau solche Menschen müssen wir noch öfter erreichen – sie sind unser Rückhalt in der breiten Gesellschaft."

Darum geht es Reuther und etlichen, die so denken wie er. Eine Partei sein, die praktische Alltagsprobleme der Menschen identifiziert und dann die Lösungen dafür in eine kluge Politik gießt. Das klingt logisch, doch viele Liberale beklagen, dass das oft gar nicht so einfach sei.

Ein Beispiel dafür ist Andrew Ullmann. Ullmann war so etwas wie der Karl Lauterbach der FDP während der Corona-Pandemie. Als gesundheitspolitischer Sprecher wurde er in diverse Fernsehtalkshows eingeladen. Er warb für die liberale Sicht in der Krise, argumentierte gegen zu strenge Regeln. Ullmann war permanent präsent, nun ist die Pandemie vorbei. Er sagt heute: "Während der Pandemie waren Gesundheitspolitiker sehr gefragt. Jetzt sind andere Themen bestimmend. Russland, die Energiekrise, der Klimawandel. Da wirken die Probleme im Gesundheitsbereich manchmal eher klein." Doch dieser Eindruck täusche, sagt Ullmann. Und wie soll nun die FDP überzeugen?

Und dann ist da noch die CDU

Jetzt steht der Gesundheitsminister im Fokus, aktuell macht sein Hitzeschutzplan Dutzende Schlagzeilen. Ullmann sagt dazu: "Und dann ist da Karl Lauterbach, der für die Medien sehr attraktiv ist. Genauso wie Jens Spahn. Aber Jens Spahn konnte ich als Oppositionspolitiker für falsche politische Entscheidungen noch verantwortlich machen. Das war leichter." In Ullmann spiegelt sich ein besonderes Thema der Liberalen bei der neuen Sinnsuche: Einerseits wollen sie mit der eigenen Sachpolitik punkten, andererseits können sie dabei nicht permanent die eigene Regierung angreifen. Ullmann dürfte hoffen, dass auch gesundheitspolitische Fragen künftig stärker in der Öffentlichkeit eine Rolle spielen.

Das Problem der Partei liegt auch an der Opposition. Die Devise in der CDU-Parteizentrale scheint an manchen Tagen zu sein: "Bei jedem Vorschlag, den die Ampelkoalition vorlegt, wir sind erstmal dagegen." CDU-Chef Merz wettert in diversen Formaten gegen das Einwanderungsgesetz, gegen die Reform bei der Planungsbeschleunigung, kürzlich hat Merz als politischen Hauptgegner auch noch die Grünen ausgemacht. Ausgerechnet. Die FDP versucht also, eine Lücke zu füllen, die von der CDU kleiner gemacht wird.

Innerhalb der Haushaltspolitiker gibt es eine thematische Bastion, die als unverhandelbar für die eigene Regierungspolitik gilt: Die Schuldenbremse soll künftig eingehalten werden, Finanzminister Lindner hat bereits seine Finanzplanung darauf ausgerichtet. Wird das Bürger überzeugen, die dankbar für alle Hilfen des Staates sind?

Der FDP-Abgeordnete Peter Heidt glaubt: "Wenn ich Besuchergruppen bei mir im Bundestag habe und denen sage: Früher zahlten wir drei Milliarden Zinsen für die aufgenommenen Schulden, heute sind es schon 40 Milliarden Euro Zinsen: Die verstehen das. Das leuchtet einfach jedem ein." Wie groß der Rückhalt für die Schuldenbremse wirklich in der Bevölkerung ist, dürfte die Preisentwicklung der nächsten Wochen zeigen. Und davon abhängen, welche Krisen noch bewältigt werden müssen. Wohin der Weg der FDP führt, weiß die Partei vielleicht selbst noch nicht ganz sicher.

Verwendete Quellen
  • Austausch mit Christian Dürr, Andrew Ullmann, Bernd Reuther und Peter Heidt
  • Eigene Recherche
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Meinung|Beschlüsse auf dem FDP-Parteitag
  • Florian Schmidt
Von Florian Schmidt



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