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AfD-Parteitag Magdeburg: Das Aus für die "Höcke-Show"


AfD-Parteitag
Das Aus für die "Höcke-Show"

  • Annika Leister
Von Annika Leister

Aktualisiert am 06.08.2023Lesedauer: 6 Min.
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Björn Höcke: In Magdeburg wesentlich weniger präsent als üblich. (Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur)

Björn Höckes einst so mächtiger Flügel im Osten ist kein Treiber mehr. Auf dem Parteitag in Magdeburg setzt sich eine neue Generation durch – nicht weniger radikal, aber mit anderem Stil.

Alice Weidel spricht langsam und bedacht. Sie klingt stolz an diesem Sonntagmorgen vor den mehr als 500 Delegierten in der Magdeburger Messehalle. "Ich habe die ganz große Ehre zu verkünden, dass aus den zwei Präambel-Entwürfen einer geworden ist", sagt die AfD-Chefin. "Dass sich die Beteiligten in ihrem Fleiß einigen konnten."

Fünf Tage lang hat die AfD da schon über ihr Personal für die Europawahl diskutiert, 35 Kandidaten hat sie auf ihre Liste gesetzt. An diesem Sonntag, dem letzten Tag ihrer Europawahlversammlung, geht es zum ersten Mal um das Programm. Und um die umstrittene Präambel, das Vorwort.

Viele Parteibeobachter, auch viele AfD-Delegierte, hielten vorab für diesen Tag den großen Knall für möglich, eine Eskalation auf offener Bühne – wie so oft bei vergangenen Parteitagen. 2022 hatte Björn Höcke, der thüringische Landeschef und Kopf des ehemaligen mächtigen Flügels, den Bundesparteitag im sächsischen Riesa noch dominiert.

Höcke hatte den Vorstand vor sich hergetrieben und am Ende den Parteitag mit einem Antrag zur EU voll verschwörungstheoretischem Vokabular platzen lassen. Der Vorstand konnte sich der Macht von Höckes Flügel nicht anders erwehren, als die Versammlung frühzeitig aufzulösen.

Auch vor der Versammlung in Magdeburg hatte Höcke sich mit einem Antrag gegen die von der Programmkommission vorgeschlagene Präambel gestellt – mit Unterstützung von Landeschefs und wichtigen Köpfen aus AfD-Verbänden in Ost wie West. Darin richteten sie sich gegen die USA als "eigennützigen Hegemon", gegen "globalistische" Eliten und forderten die Abkehr Deutschlands von der Nato und den USA. Mitten in einem Krieg an den Grenzen der EU, ohne Aussicht auf alternative Verteidigungsbündnisse.

Deswegen die Angst vor einem Riesa 2.0, dem Skandal auf offener Bühne, der ganz großen Peinlichkeit am Ende. Und das auf dem Höhepunkt der Beliebtheit der AfD, wo die Partei mehr als 20 Prozent Zustimmung einfährt, wo sie einen Kanzlerkandidaten für die nächste Bundestagswahl ankündigt, wo sie vor Kraft und Selbstvertrauen nur so strotzt. Und wo sie sich so radikal zeigt wie nie, aber unbedingt staatstragend wirken will.

Mit Weidels Sätzen am Sonntagmorgen ist dann klar: Zum Knall wird es nicht kommen. Peinlichkeit verhindert. Wie ist das der skandalträchtigen Partei gelungen?

Absprachen im Hinterzimmer

Ein Kraftakt hinter den Kulissen war nötig und viele, viele Absprachen im Hinterzimmer. Die AfD propagiert zwar, sie wolle es nicht wie die anderen Parteien machen. In Magdeburg aber tat sie genau das – und das zum ersten Mal mit einigem Erfolg. "Die AfD ist erwachsen geworden", so oder ganz ähnlich formulieren es am Sonntag die Parteichefs Weidel und Tino Chrupalla sowie EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah.

Zuerst einigte sich die AfD an vier Tagen und zwei Wochenenden auf eine Personalliste, die so radikal, so völkisch wie nie ist. Sie lotete im Kampf um die heiß begehrten ersten Listenplätze, die Mandat, ein hohes Gehalt und viel Personal sichern, die innerparteilichen Machtverhältnisse aus. Dann erst einigte sie sich auf ein Programm.

In der Personaldebatte wurde Höcke mehrfach abgestraft, immer wieder wurde deutlich: Er kann nicht mehr selbstverständlich auf Mehrheiten setzen. Das einst auf Parteitagen so einig auftretende Höcke-Lager, das der Thüringer mit einer Meldung am Mikrofon geschlossen hinter sich wissen konnte, gibt es nicht mehr.

"Höcke hat kassiert", so fasst es einer in der Halle zusammen. Nicht wenige hier sehen das mit Genugtuung. Die "große Höcke-Show" auf Parteitagen, sie geht einigen schon lange auf die Nerven.

Eine neue rechte Generation

Diesmal dominieren neue Kräfte, eine neue Generation an Rechten: Der 34 Jahre alte Sebastian Münzenmaier aus Rheinland-Pfalz, der Parteichefin Weidel nahesteht, hat lange im Voraus Absprachen mit Verbänden in Ost wie West getroffen.

Hinter den Kulissen bereitete der Bundestagsabgeordnete mit Mitstreitern eine Personalliste vor, die konsensfähig auch für viele in Höckes Lager ist, warb parteiintern Monate im Voraus für seine Kandidaten in der gesamten Republik. Mit großem Erfolg: Von den ersten 16 gewählten Kandidaten, die die größten Chancen haben, ins EU-Parlament einzuziehen, stehen 13 auf der Münzenmaier-Liste, die t-online vorliegt.

Münzenmaier steht Weidel nah, die beiden können gut miteinander. Mit seinem Erfolg stärkt er auch die Parteichefin ohne Hausmacht, die von vielen in ihrem Landesverband Baden-Württemberg herzlich gehasst wird.

Doch die Kandidaten seiner Liste sind nicht weniger radikal als Höckes Leute, zum Teil sind es auch Höckes Leute. Unter ihnen finden sich Spitzenkandidat Maximilian Krah, der für einen offen radikalen Kurs der AfD wirbt, der Putin-Freund Petr Bystron (Platz 2), der Burschenschaftler Alexander Jungbluth (Platz 5) und die tief in die rechtsextreme Identitäre Bewegung vernetzte Irmhild Boßdorf (Platz 9).

Insgesamt wirkten die Kandidaten der AfD an beiden Wochenenden wie entfesselt: Einige Bewerber auf der Bühne tauchen in Berichten des Verfassungsschutzes auf, gegen nicht wenige führen oder führten die Behörden Verfahren.

Viele hielten Reden, die von Schlagworten aus der rechtsextremen Szene nur so strotzten und die der Verfassungsschutz fleißig notieren dürfte. Untersuchungshaft für EU-Kommissionschefin von der Leyen und Olaf Scholz wurde da gefordert – oder beinahe unverhohlen nationalsozialistisches Vokabular verwendet.

Weidel und Höcke diskutieren bis in die Nacht

Bei der Diskussion ums Programm aber war mit den Personalerfolgen für das Münzenmaier-Lager klar: Höcke kann sich nicht leisten, es mit dem Kopf durch die Wand zu versuchen. Bei seinem Präambel-Antrag musste er trotz bekannter Mitstreiter um eine Mehrheit fürchten. Er ist nicht machtlos, auch sein Lager findet sich eben auf der Konsens-Liste wieder. Doch er ist nicht mehr der Treiber, der er früher war.

In den vergangenen Tagen feilten Bundesvorstand wie Höcke-Lager dann an einer Lösung für die Präambel. Als am Samstag die eher aussichtslosen Kandidaten ab Listenplatz 21 gewählt wurden, saßen Weidel, Höcke und ihre jeweiligen Programmchefs Marc Jongen und Hans Neuhoff immer wieder mit wechselnden Gesprächspartnern an einem Tisch.

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Sie stritten bis tief in die Nacht, beide Seiten näherten sich einander an. Am Ende formulierten sie eine Präambel, die auf Signalwörter wie "Dexit" oder "Auflösung der EU" weitgehend verzichtet. Auch die Abkehr von der Nato ist nicht mehr in voller Härte drin.

"Deshalb ist es notwendig, dass Europa seine Verteidigungsfähigkeit schrittweise in die eigene Hand nimmt", heißt es jetzt nur noch. Die Marschrichtung ist dieselbe, der Ton wesentlich diplomatischer. Hart hingegen bleibt die AfD bei der EU, die sie als "nicht reformierbar" und "gescheitertes Projekt" bezeichnet. Sie fordert eine Neugründung als "Bund europäischer Nationen".

Im Programm sind zudem Wörter wie "multipolare Weltordnung" oder "Europa der Vaterländer" zu lesen, zu denen in rechten und rechtsextremen Kreisen Vorträge gehalten und Bücher geschrieben werden. Die Wörter verraten Eingeweihten, dass hier gleichgesinnt Radikale sprechen, sagen dem Durchschnittsbürger aber wenig. Und sie lassen viel Luft für Interpretation, versprechen wenig Konkretes.

"Programm – wofür?"

Viele Delegierte in der Halle sind bei der Programmdiskussion – ganz im Gegenteil zum Personal – ohnehin leidenschaftslos: "Programm – wofür?", sagt einer. Die Stimmung in Deutschland sei derzeit so, dass die AfD kein Programm brauche, auch ein paar Besenstiele aufstellen könne – und trotzdem gewählt würde.

Am Sonntagmorgen stellen Marc Jongen und Hans Neuhoff die Präambel nach Weidels Ankündigung gemeinsam vor, erklären die Genese. Damit geht öffentlich das Signal an die mehr als 500 Delegierten im Saal: Konsens gefunden, Lagerstreit beendet.

Danach geht es rasch: Um 16.45 Uhr, nach kaum sieben Stunden, steht das Programm, liegen sich Spitzenkandidat und Vorstand auf der Bühne in den Armen, wird die Nationalhymne gesungen.

Von einem "Sieg für alle Beteiligten" spricht der junge Thüringer René Aust im Gespräch mit t-online. Er ist groß geworden im Höcke-Lager, beliebt aber auch im Münzenmaier-Netzwerk und dürfte als Kandidat auf Listenplatz Nummer 3 sicher ins EU-Parlament einziehen.

Einen "super Kompromiss" nennt AfD-Bayern-Chef Stephan Protschka die Präambel strahlend. Er hatte zuvor noch Höckes Antrag unterstützt.

Etwas weniger begeistert klingt Björn Höcke selbst, betont aber, er sei in innerparteilichen Verhandlungen bereit, Kompromisse zu machen. "Von daher kann ich damit leben."

Strippenzieher Münzenmaier, der große Konnektor, sieht nicht nur die Präambel als großen Erfolg. Die AfD habe aufgezeigt, wie man "wertschätzend und auf Augenhöhe" Lösungen finde und mit breiter Mehrheit verabschiede. "Ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden und freue mich über diesen konstruktiven und erfolgreichen Stil in unserer Partei", sagt er t-online.

Tatsächlich kann die AfD Magdeburg als Erfolg verbuchen – und die Behörden die AfD als Gefahr in neuem Gewand.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen auf der Europawahlversammlung in Riesa
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