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Markus Söder hält nach Auschwitz-Pamphlet an Aiwanger fest: Es ist eine Schande


Söder in Aiwanger-Affäre
Gerissen und geschichtsvergessen

MeinungVon Tim Kummert

Aktualisiert am 30.08.2023Lesedauer: 4 Min.
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Söder im Bierzelt (Archivbild): Seine Fragen hat Aiwanger offenbar beantwortet.Vergrößern des Bildes
Söder im Bierzelt: Es ist eine Schande. (Quelle: IMAGO/CR)

Markus Söder will das Bündnis mit Hubert Aiwanger fortsetzen. Der bayerische Ministerpräsident entlarvt sich damit als Opportunist. Für den Erhalt seiner Macht opfert er alles.

Um zu begreifen, aus welcher Fallhöhe Markus Söder gerade abstürzt, muss man zurückspringen in das Jahr 2016. Damals besuchte Söder die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Dort wird der sechs Millionen Juden gedacht, die während des Holocausts – unter anderem in Auschwitz – ermordet wurden. Söder schrieb damals ins Gästebuch: "Wir dürfen es nie vergessen. Wir dürfen es nie wieder zulassen. Wir müssen Antisemitismus bekämpfen."

Eindeutig klang das. Keinen Fußbreit Platz für Judenhass. Söder glasklar.

Und jetzt? Heute, da Söders Stellvertreter Hubert Aiwanger unter Druck ist, weil er als 17-Jähriger ein antisemitisches Flugblatt in seiner Schultasche herumtrug und es ihm "nicht mehr erinnerlich" sei, ob er es auch verteilt habe?

Da stellt sich jener Markus Söder allen Ernstes am Montagabend in ein Bierzelt: "Ich werde in München mal auf den Tisch hauen!" Söder lässt das "R" dabei leicht rollen, manche Beobachter glauben danach, er habe Hitler imitiert – was man in der CSU abstreitet. Dort heißt es, der Vergleich mit Hitler sei abwegig. Aber Söder ist in einer Situation, wo er keine Zweideutigkeiten zulassen darf.

Video | Zieht Söder hier in Hitler-Manier über Aiwanger her?
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Quelle: t-online

"Keinen Anlass, etwas in der Zusammenarbeit mit den Freien Wählern zu ändern"

Es ist eine Entgleisung. Selbst für die Verhältnisse von Söder. Nur wenige Stunden später stellt sich Söder dann an diesem Dienstag vor die Presse. Das Hetz-Flugblatt sei zwar "ekelhaft, widerlich, übelster Nazi-Jargon." Und eben "nicht nur eine bloße Jugendsünde". Kurz wirkt es, als wäre die Koalition am Ende. Aber nicht mit Markus Söder.

Denn Aiwanger müsse man jetzt "Gelegenheit zur Äußerung geben". Man habe ihm 25 Fragen gestellt, die er jetzt schriftlich beantworten solle. Und dann sagt Söder: "Die Zusammenarbeit mit den Freien Wählern wollen wir fortsetzen, es gibt keinen Anlass, daran etwas zu ändern".

Söder befreit sich damit aus seiner machtpolitischen Zwickmühle, in der er saß. Und damit das auch jeder versteht, sagt er am Ende seines Statements: Der "Ball" liege jetzt bei Aiwanger. Zusammenarbeit, ja gern, aber vorher müsse Aiwanger eben noch für mehr Aufklärung sorgen. Bislang hat sich Aiwanger nicht über ein paar dürre Sätze hinaus erklärt; sein Bruder Helmut behauptet, das Flugblatt verfasst zu haben. Söder setzt Aiwanger keine Frist, nur bald sollen die Antworten folgen. Theoretisch kann sich alles bis zur Landtagswahl ziehen – und Söder muss die Koalition nicht auflösen.

Ein wenig verzögern, ein wenig zurückspielen, sich ein wenig lustig machen. Das ist also der Umgang von Markus Söder mit der Affäre. Wie wenig Aiwanger zur Aufklärung bereit ist, zeigt sein Schweigen aus den letzten Tagen. Am Montag sagte er noch zu Journalisten, die Flugblatt-Affäre sei "nicht so wichtig, wie Sie meinen."

Und Söder fordert nun zwar Antworten, wartet ansonsten aber erst mal ab. Es ist ein seltsam laxer Umgang mit diesem Antisemitismus-Vorfall, der nur eine Richtung kennen sollte: Klare Zurückweisung. Stattdessen opfert Söder offenbar seine Werte für den Machterhalt. Seine Zeilen aus dem Gästebuch von Yad Vashem wirken da wie bloße Theorie. In der Praxis sieht alles anders aus. Das ist geschichtsvergessen bis zum Gehtnichtmehr.

Wer ist eigentlich das "wir" im Flugblatt – wenn es nur einen Verfasser gibt?

Die Unglaublichkeit von Söders Verzögern zeigt sich besonders, wenn man das Flugblatt von damals im Detail liest. Dort ist nicht ausschließlich von einem "Freiflug durch den Schornstein von Auschwitz" die Rede. Das Pamphlet ist in seiner brutalen Perfidität kaum zu überbieten. Genüsslich werden dort die Grausamkeiten ausgebreitet. Es geht um einen "Bundeswettbewerb", wer denn nun "der größte Vaterlandsverräter" sei. Die "Preise" sind neben dem "Freiflug" auch: "Ein kostenloser Genickschuss", "Eine kostenlose Kopfamputation durch Fallbeil" sowie "Eine Nacht im Gestapokeller, dann ab nach Dachau." Und: "Wir hoffen auf zahlreiche Teilnahme und wünschen viel Vergnügen den Gewinnern."

Wer trägt so etwas als 17-Jähriger mit sich herum? Auch im Jahr 1988 durfte man in Bayern bereits mit 17 Jahren Alkohol trinken, in Clubs feiern. Man ist kein Kind mehr. Und eine Einbestellung zum Direktor, der Besitz von antisemitischen Flugblättern, all das war eben eine Art Ausrutscher? Und wer ist mit dem "wir" im Flugblatt gemeint, wenn es angeblich nur einen Verfasser gibt?

Für Markus Söder spielt das offenbar nur eine mittelgroße Rolle. Die Freien Wähler sind einfach die bequemste Regierungsoption für ihn. Aiwanger hat die Freien Wähler zu einer Art Ein-Mann-Partei gemacht, seine Anhängerschaft wuchs. Das Regieren war für Söder praktisch geräuschlos möglich. Deshalb ist die Kombination mit der Aiwanger-Partei für den CSU-Chef so reizvoll.

Man muss es so schreiben: Markus Söder ist politisch gerissen. Ein Mann, der offenbar seine Werte opfert für den Erhalt seiner Macht, wirkt unberechenbar. Dass Söder im Umgang mit Aiwanger sich nach Tagen des gärenden Skandals mit 25 zu beantwortenden Fragen zufriedengibt, ohne dass er dafür eine Frist setzt, ist das eine. Dass er zudem seinen Vize mit einem seltsamen Sprech imitiert, sich damit über ihn lustig macht, zeigt, wie wenig ernst Söder die Sache tatsächlich nimmt. Mit diesem nicht vorhandenen Wertegerüst bleibt nur zu hoffen, dass dieser Mann nicht irgendwann doch Kanzler wird.

Anmerkung der Redaktion: Aus der CSU wird abgestritten, dass Söder im Bierzelt Adolf Hitler imitiert habe. Es kursierte zunächst nur ein Mitschnitt des im Kommentar beschriebenen Satzes, der im Kontext der gesamten Rede auch anders interpretiert werden kann. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, Söder habe den Satz "Ich werde in München mal auf den Tisch hauen" so schon öfter in Bierzeltreden formuliert. Wir haben die entsprechende Passage angepasst.

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