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AfD | Alice Weidel: Schlimmer als Gaulands "Vogelschiss"


Alice Weidels ungeheuerliche Aussage
Der extremste Satz der AfD-Führung

MeinungVon Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 12.09.2023Lesedauer: 4 Min.
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AfD-Chefin Alice Weidel im Sommerinterview der ARD. (Quelle: IMAGO/M. Popow)

Alice Weidel hat im Sommerinterview der ARD das Kriegsende 1945 als "Niederlage des eigenen Landes" beklagt. Damit reißt sich die AfD-Chefin endgültig selbst die Maske vom Gesicht.

Sonntagabend, wie immer Eintunen auf den Tatort, Tagesschau als Warm-up. Die ersten drei Meldungen: Sensation beim Basketball, Trainer-Beben beim Fußball, furchtbares Erdbeben und dessen Folgen in Marokko.

Dann aber kam die eigentliche Bombe. Verpackt als eine Art Meldung in eigener Sache. Die ARD hatte die AfD-Chefin Alice Weidel im Sommerinterview befragt. Man sieht, wie sie mit dem Moderator zum Set schlendert und die beiden vor einem Bildschirm stehen bleiben, auf dem Weidels Co-Vorsitzender Tino Chrupalla bei Feiern des 9. Mai 1945, des Sieges über Nazideutschland, zu sehen ist.

Tritt ins Kreuz von Chrupalla

Weidel, sonst über die Maßen loyal zu ihrem intellektuell ungleichen Kompagnon, trat Chrupalla mit einer Aussage voll ins Kreuz: Auf die Frage, warum sie nicht wie dieser am Empfang der russischen Botschaft am Tag der deutschen Kapitulation am 9. Mai teilgenommen hat, antwortete sie: Sie habe sich dagegen entschieden, "die Niederlage des eigenen Landes mit einer ehemaligen Besatzungsmacht zu befeiern". Dann hängte sie noch etwas Raunendes zu einer Fluchtgeschichte in ihrer Familie an. Sie kritisierte ihren Parteikollegen also nicht, weil dieser mit den Aggressoren des Ukraine-Kriegs die Gläser gehoben hatte. Sondern, weil eine "Niederlage Deutschlands" kein Grund zu feiern sei.

Die Aufmerksamkeit für den Tatort war dahin, der flimmerte nach diesem Beitrag nur noch wie hinter Milchglas vorbei. Um es erst einmal kurz zu machen: Dieser Satz von Alice Weidel ist eine Ungeheuerlichkeit. Er ist geschichtsvergessen und versucht, den Lauf der Geschichte und die Übereinkunft darüber, was der Tag des Kriegsendes ist, auf den Kopf zu stellen.

Es ist der extremste Satz, der aus der offiziellen Führung der AfD je zu hören war. Er ist viel schlimmer als Alexander Gaulands "Vogelschiss". Als solchen hatte der geschichtskundige damalige AfD-Vorsitzende und heutige Ehrenvorsitzende 2018 die Nazizeit in der 1.000-jährigen deutschen Geschichte bezeichnet und diese damit aufs Obszönste relativiert. Er ist viel schlimmer als das Hetzblatt, das der Freie-Wähler Chef Hubert Aiwanger in seinem Schulranzen trug. Weil ihn kein rotzlöffeliger Pennäler äußert, sondern eine Parteichefin in Amt und Würden und bei voll entwickeltem Verstand.

Es bleibt kein Raum für wohlwollende Interpretationen

Gaulands Aussage ließ sich bei allerbestem Willen und Wohlwollen immer noch so interpretieren: dass Deutschlands Kultur- und Geistesgeschichte jenseits der Gräuel der Nazizeit viel Großes und Gutes von Weltgeltung zustande gebracht hatte. Aber natürlich hat er mit dem Wort vom "Vogelschiss" bewusst die rote Linie verschoben.

Weidel aber lässt keinen Raum für wohlwollende Auslegung. Oder für Missverständnisse. Sie kehrt das um, worauf sich dieses Land bisher über alle Parteigrenzen und Lager hinweg verständigt hatte. Diese Verständigung geht auf die größte Leistung im politischen Leben des Richard von Weizsäcker zurück. Als Bundespräsident hielt Weizsäcker zum Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs 1985 im Bundestag eine Rede, die im kollektiven Gedächtnis aller Demokraten dieses Landes hinterlegt ist. Und hinter dem sich alle Demokraten bei allem politischen Wettstreit im Grundkonsens seither versammeln.

Weizsäcker definierte den 8. Mai als "Tag der Befreiung" Deutschlands vom massenmörderischen Terrorregime der Nationalsozialisten unter Führung Adolf Hitlers. Die Bilder von der Landung der Alliierten an den Stränden der Normandie nahe Bayeux, die Bilder von der Befreiung der abgemagerten KZ-Häftlinge in Ravensbrück, Buchenwald und überall dort, wo die Nazis in industriellem Maßstab töteten.

Weidel verlässt diesen gemeinsamen Boden. Sie beklagt die Niederlage von Nazideutschland. Beklagt, dass der sechs Jahre dauernde und von Deutschland vom Zaun gebrochene Zweite Weltkrieg von den westlichen Alliierten, aber eben auch von Russland durch einen militärischen Sieg beendet wurde.

Was hätte sich Weidel denn gewünscht?

Man muss einmal die Umkehrprobe machen: Was hätte sich Weidel denn gewünscht statt der Befreiung, die sie Niederlage nennt und Russland eben Sieg? Einen weiter geführten Angriffskrieg des Aggressors Deutschland, den Endsieg? Es bleibt einem die Spucke weg. Und es ist ein Armutszeugnis des öffentlichen Diskurses, wenn man die Aufregung um Aiwanger vergleicht mit der vergleichsweisen Ruhe nach Weidels fürchterlicher Einlassung. Das darf so nicht bleiben. Ohne Aiwanger damit zu exkulpieren: Das hier ist viel schlimmer.

Alice Weidel ist, wenn sie nicht gerade ihren spöttisch-hochfahrenden Gesichtsausdruck bekommt, das vergleichsweise freundliche Gesicht der AfD. Sie ist nicht der Knurrhahn im Tweed-Jackett Alexander Gauland und auch nicht der Zündler und Scharfmacher Björn Höcke aus dem Osten. Sie wird wahrgenommen als die moderne, vergleichsweise gemäßigte Protagonistin der AfD. Sie lebt in einer lesbischen Beziehung, ist kein alter weißer, verbitterter Mann. Kann man doch eigentlich wählen, oder?

Kann man nicht, wenn man sich nur halbwegs auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung dieses Landes bewegt. Sie hat sich am Sonntag im Sommerinterview selbst die Maske vom Gesicht gerissen. Zum Vorschein kam eine Fratze, die mit nationalkonservativ nicht mehr hinreichend beschrieben ist. So wie Weidel in der ARD denken und sprechen Nazis an ihren Lagerfeuern beim Flaschenbier.

Der Tatort im Anschluss nahm Bezug auf Nazi-Netzwerke in der hessischen Polizei, einen realen Fall. Alice Weidel hat am selben Abend offenbart, dass dieses Problem längst den politischen Raum erreicht hat, mit einer Partei, die die Parlamente von Bund und Ländern durchsetzt. Es ist entsetzlich.

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