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Familienministerin Lisa Paus: "Kindergrundsicherung wird kommen"


Familienministerin Paus über Habeck
"Jetzt sind wir so weit"


Aktualisiert am 13.09.2023Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Lisa Paus und Robert Habeck: Die Minister im Austausch. (Quelle: IMAGO/Bernd Elmenthaler)

Nach langem Streit hat die Ampel sich auf die Details der Kindergrundsicherung verständigt. Im Interview erklärt Familienministerin Lisa Paus, welche Kritik am Gesetz sie verstehen kann – und was sie an Christian Lindner schätzt.

Sie ist ein grünes Herzensprojekt – und machte den Grünen zuletzt vor allem: Ärger. Die Kindergrundsicherung war eines der Vorhaben, über das die Ampelkoalition in den vergangenen Monaten besonders leidenschaftlich gestritten hat. Mittendrin: die zuständige grüne Familienministerin Lisa Paus.

Um für ihr Projekt in den Verhandlungen mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) möglichst viel herauszuholen, blockierte sie vor einigen Wochen ein FDP-Vorhaben im Kabinett – und holte sich dafür einen Rüffel ihres Parteifreunds und Vizekanzlers Robert Habeck ab.

Im Interview mit t-online erklärt die Familienministerin, warum die Kindergrundsicherung aus ihrer Sicht besser ist, als die nackten Zahlen nahelegen – und warum die Grünen anders als die FDP auch in der Krise mehr Geld für Soziales ausgeben wollen.

t-online: Frau Paus, sind Sie mit Robert Habeck noch per Du?

Lisa Paus: Aber sicher.

Sie hätten Grund zum Frust auf den Vizekanzler: Er hatte Sie nach Ihrer Gesetzesblockade im Kabinett öffentlich gerügt, das sei "kein Glanzstück" gewesen.

Robert Habeck und ich arbeiten sehr gut zusammen. Richtig ist aber auch, dass die Verhandlungen über die Kindergrundsicherung über den Sommer nicht einfach waren. Deshalb ist es leider etwas ruckelig geworden. Aber jetzt sind wir so weit: Die Kindergrundsicherung wird kommen.

Die Blockade des Wachstumschancengesetzes war aber schon ein Vorgang, den es nicht oft gibt. War Ihnen die Dimension bewusst und würden Sie das heute noch mal so machen? War es das wert?

Es gab schwierige Verhandlungen, es hat geruckelt, aber jetzt haben wir das als Koalition gemeinsam gelöst. Das Wachstumschancengesetz kommt und wurde sogar noch verbessert. Jetzt starten wir als Koalition gemeinsam in die zweite Halbzeit.

Im Habeck-Lager bezweifelt man, dass die Blockade einen positiven Effekt in den Verhandlungen hatte. Sie wollten zunächst 12 Milliarden Euro und sind bei 2,4 Milliarden gelandet. Verstehen Sie, dass uns da die Sache mit dem Tiger und dem Bettvorleger in den Sinn kommt?

Das Entscheidende ist doch, dass die Kinder in diesem Land gewinnen. Darauf kommt es mir an. Und über die Zahlen können wir jetzt lange philosophieren …

… gerne.

Die 2,4 Milliarden Euro sind konservativ gerechnet und sie gelten für das Startjahr 2025. Da werden wir noch nicht unser Ziel erreichen, dass 80 Prozent der Menschen die Leistungen, die ihnen zustehen, auch in Anspruch nehmen – sondern nur knapp 50 Prozent.

Das heißt, die Summe wächst mit der Zahl der Menschen, die das Geld auch abrufen. Die komplette Lücke zwischen 2,4 Milliarden und 12 Milliarden Euro erklärt das aber noch nicht.

Das stimmt, aber wenn 80 Prozent der Menschen die Leistungen in Anspruch nehmen, reden wir schon über rund 6 Milliarden Euro. Und die Leistungen sehr viel leichter zugänglich zu machen und somit die Inanspruchnahme zu erhöhen, ist eben auch ein zentrales Ziel der Kindergrundsicherung.

6 Milliarden Euro sind aber immer noch nicht 12 Milliarden Euro.

Wir können die 6 Milliarden Euro aber auch nicht direkt mit den 12 Milliarden vergleichen. Die Berechnungsgrundlagen sind andere. Die 12 Milliarden bezogen sich auf eine Kindergrundsicherung bei einer Inanspruchnahme von 90 Prozent. Aus rechtlichen und technischen Gründen tauchen jetzt bestimmte andere Posten, die wir ursprünglich berücksichtigt hatten, in der Summe nicht auf. Dazu gehören Inflationsanpassungen und die weitere prospektive Erhöhung des Kindergeldes. Das Kindergeld bleibt im Einkommenssteuerrecht und wird nicht in die Kindergrundsicherung übergehen.

Aber?

Im Ergebnis mussten wir allerdings Abstriche von etwa 2 Milliarden Euro bei den Leistungsverbesserungen machen. Sie sehen, wir sind gar nicht so weit von den 12 Milliarden Euro entfernt. Wenn wir dann noch die weiteren Kosten für die bereits erfolgten Kindergelderhöhungen, den höheren Kinderzuschlag und zukünftige Kindergelderhöhungen dazu nehmen, sind wir schon bei deutlich über 10 Milliarden Euro. Aber die Debatte um diese Zahl ist sekundär. Das Entscheidende ist die Substanz.

Es gibt aber doch nichts Substanzielleres als diese Zahl, als das Geld.

Die Summe hat aber aus den genannten Gründen nur eine bedingte Aussagekraft. Entscheidend für mich ist, was im Gesetz steht. Und dass Kinder unter sechs Jahren 2025 mindestens 530 Euro und Kinder zwischen 14 und 18 Jahren mindestens 636 Euro bekommen werden.

Sie haben aber schon bei der Vorstellung der Kindergrundsicherung gesagt, dass Sie sich noch mehr Geld hätten vorstellen können. Warum hat das nicht geklappt?

Weil wir drei Koalitionspartner mit unterschiedlichen Prioritäten sind und in den Verhandlungen nicht mehr möglich war.

Es war ursprünglich geplant, die Kindergrundsicherung an diesem Mittwoch im Kabinett zu beschließen. Das passiert nun doch nicht. Gibt es erneut Ärger?

Nein, wie kommen Sie darauf? Es war immer geplant, sie im September zu verabschieden. Das werden wir auch schaffen. Politisch ist alles geeint, es geht um juristische und technische Details, die wir noch miteinander klären. Das ist bei so einem Gesetzeswerk nicht ungewöhnlich. Schließlich führen wir unterschiedliche kindbezogene Leistungen zu einer Leistung zusammen.

Setzen Sie noch auf das Struck'sche Gesetz, dass die Kindergrundsicherung nicht so aus dem Parlament herauskommt, wie sie nun bald hineinkommt?

Mit Sicherheit wird es auch an diesem schönen Gesetz noch Verbesserungen geben. Dass sich bei der Summe noch viel ändert, glaube ich aber nicht. Die Zahlen haben der Bundeskanzler, der Finanzminister und ich ausverhandelt.

Haben Sie Fehler gemacht in diesen Verhandlungen?

Es gibt sicher Dinge, die man hätte besser machen können. Mir würde aber jetzt auf Anhieb kein grober Schnitzer einfallen.

Finanzminister Christian Lindner hat auf dem Höhepunkt der Debatte argumentiert, es gebe einen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Kinderarmut. Ziel müsse die Arbeitsmarktintegration der Eltern sein, Sozialtransfers würden nicht zwingend helfen. Hat er recht?

Ich sehe den Zusammenhang so nicht. Die Gruppe, von der Herr Lindner spricht, das sind 1,9 Millionen Kinder. Von der Kindergrundsicherung profitieren 5,6 Millionen Kinder. Das Spektrum ist also viel größer.

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Aber eine relevante Zahl ist es schon.

Das liegt aber auch daran, dass wir uns als Ampel gemeinsam entschieden haben, die Flüchtlinge aus der Ukraine von Bürgergeld und Kindergrundsicherung profitieren zu lassen. Anders als andere Flüchtlinge übrigens. Und das finde ich nach wie vor richtig. Das ist aber nicht die relevante Diskussion.

Sondern?

Wir haben seit Jahrzehnten strukturell verfestigte Kinderarmut in Deutschland. Wir können und dürfen Kinderarmut nicht nach Nationalitäten bekämpfen. Auch wegen des Fachkräftemangels muss jedes Kind seine Chancen bekommen. Dafür müssen wir eine gute Infrastruktur schaffen mit Kitas und Schulen.

Sozialverbände wie der VdK kritisieren, dass die Höhe der Kindergrundsicherung nicht ausreiche, um Kinder aus der Armut zu holen. Können Sie das nachvollziehen?

Ja, das kann ich. Ich beschäftige mich seit Längerem mit dem Thema. Wenn man bei der Frage, wie das soziokulturelle Existenzminimum berechnet werden müsste, der Wissenschaft folgt, dann ergeben sich höhere Summen. Wir haben die Berechnung nun verbessert, aber ich persönlich hätte mir noch mehr Mittel für die Kindergrundsicherung gewünscht. Das habe ich in den Verhandlungen und vor dem Hintergrund engerer Haushaltsspielräume nicht rausholen können.

Eine weitere Kritik lautet, dass das Geld eben nicht automatisch bei den Menschen ankommt. Wer einen Anspruch auf den Zusatzbetrag hat, soll zwar angeschrieben werden – aber muss trotzdem noch einen Antrag stellen.

Es wird noch deutlich einfacher werden. Genau dafür führen wir den Kindergrundsicherungs-Check ein. Und wir werden die Verfahren weiter vereinfachen. Dazu gibt es auch schon belastbare Überlegungen. Aber wir müssen jetzt erst mal schauen, was bis 2025 in einem ersten Schritt tatsächlich umsetzbar ist.

Wann muss die Kindergrundsicherung durch den Bundestag sein, damit Sie alle Vorbereitungen hinbekommen und sie am 1. Januar 2025 starten kann?

Je schneller, desto besser. Die Bundesagentur für Arbeit hat sich jetzt ja auch damit beschäftigt …

… sie hat zum Gesetzentwurf erklärt, dass der Start zum 1. Januar 2025 "nicht mehr vorstellbar" sei. Sie also Ihr Ziel verfehlen.

Die Bundesagentur für Arbeit hält das für schwierig, weil sie sagt, sie brauche für die Vorbereitungen ausreichend Zeit. Wir werden jetzt die Stellungnahme der Bundesagentur genau anschauen, noch mal mit allen Beteiligten sprechen und dann die Umsetzungsfristen festlegen. Klar ist aber: Es muss jetzt rasch gehen.

Lassen Sie uns den Blick etwas weiten. Die Kindergrundsicherung kommt nun zwar, dafür ist Ihr Ministerium im Haushalt 2024 gerupft worden, oder täuscht der Eindruck?

Es ist richtig, dass wir kürzen müssen. Das Schicksal teile ich aber mit allen meinen Kolleginnen und Kollegen, bis auf den Verteidigungsminister.

Es sind schmerzhafte Kürzungen.

Natürlich ist das schmerzhaft. Mein Haus hat drei zentrale gesetzliche Leistungen, die finanziert werden müssen: das Elterngeld, der Kinderzuschlag und der Unterhaltsvorschuss. Deshalb mussten wir bei den freien Programmen kürzen. Und das tut weh, denn die Menschen im Land sind durch die verschiedenen Krisen ohnehin schon mitgenommen.

Es gibt Einschnitte etwa bei den Freiwilligendiensten, bei Jugendsozialarbeits- und Integrationsprojekten, bei Mehrgenerationenhäusern, dem Müttergenesungswerk und der Gleichstellung von Mann und Frau. Was tut Ihnen persönlich besonders weh?

Das ist alles schmerzhaft. Es geht in meinem Haus viel darum, die einzelnen Bevölkerungsgruppen und die Zivilgesellschaft zu unterstützen. Gerade die Zivilgesellschaft ist wichtig für eine lebendige Demokratie und leistet einen entscheidenden Beitrag für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Ich hoffe aber, dass ich den bestmöglichen Umgang mit den Kürzungsvorgaben gefunden habe. Es gibt gute Gründe, die Schuldenbremse einzuhalten. Aber das bedeutet eben derzeit konkret: Kürzungen.

Haben Sie die Hoffnungen, dass das Parlament noch etwas herausholt bei dem einen oder anderen Posten?

Natürlich. Das Haushaltsrecht ist das Königsrecht des Parlaments. Deshalb hoffe ich auf Verbesserungen.

Christian Lindner hat bei der Präsentation der Kindergrundsicherung gesagt, er gebe die Prognose ab, dass das die letzte Sozialreform in dieser Legislatur sei. Ihre Grünen haben gerade angekündigt, gerade jetzt müsse das Soziale im Mittelpunkt stehen. Wie soll das zusammengehen?

Wir haben als Ampel einen Koalitionsvertrag beschlossen und sind jetzt erst in der Halbzeit angekommen. Es steht ohnehin noch einiges an, die Rentenreform zum Beispiel. Insgesamt machen wir schwierige Zeiten durch und da sind wir gut beraten, beides zu tun: die Wirtschaft anzukurbeln und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stabilisieren. Darum ist es gut, dass die Grünen den Wirtschaftsminister stellen und die Familienministerin. Wir müssen resilient sein als Gesellschaft. Das ist gut investiertes Geld.

Dahinter steht aber doch ein Grundsatzkonflikt: Lindner sagt, Sozialausgaben können nur erhöht werden, wenn sie vorher erwirtschaftet werden. Sie sagen: Sozialausgaben gewährleisten wirtschaftliche Prosperität und generieren damit Staatseinnahmen. An welchem Lehrstuhl in Deutschland wird das gelehrt?

Das ist ein klassisches Henne-Ei-Problem. Ich bin überzeugt, dass es richtig ist, in unsere Gesellschaft und Wirtschaft zu investieren. Jede Ökonomie braucht Ressourcen im weitesten Sinne. Und das sind nicht nur Rohstoffe und Maschinen, sondern auch Menschen. Ohne Kinder, die gut aufwachsen, gibt es keine Produktion und keinen Wohlstand. Und ohne soziale Gerechtigkeit gibt es keinen gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Da scheinen Sie mit Christian Lindner trotzdem nicht ganz einig zu werden. Abgesehen davon: Was schätzen Sie an Christian Lindner?

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Lisa Paus im Familienministerium am 12. September 2023
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