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Haushaltskrise 2024: Viele Meinungen, keine Zeit


Wie wollen sie jetzt regieren?
Haushaltskrise der Ampel: Es knallt


02.12.2023Lesedauer: 5 Min.
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Ampel-Partner Lindner (l.), Habeck (M.) und Scholz (r.): Das Ringen um den Haushalt 2024 hat begonnen.Vergrößern des Bildes
Ampel-Partner Lindner (l.), Habeck (M.) und Scholz (r.): Das Ringen um den Haushalt 2024 hat begonnen. (Quelle: Michele Tantussi)

Im Ringen um die Haushaltsplanung 2024 stehen sich die Koalitionspartner unversöhnlich gegenüber. Die Fronten wirken verhärtet – doch die Zeit drängt. Wie könnte eine Lösung aussehen?

Bei Christian Lindner wirkt es, als wäre alles in Ordnung. Es ist kurz nach 9 Uhr an diesem Freitag, Lindner spricht im Bundestag und sagt Sätze wie: "Ich verstehe die aktuelle Herausforderung auch als Chance für unser Land." Es geht um den Nachtragshaushalt für 2023, eilig musste die Bundesregierung dabei noch mal nachbessern. Doch jetzt, versichert Lindner, habe man alles im Griff. "Wir werden die Entscheidungen mit Sorgfalt und Weitsicht treffen."

Und wie geht es weiter? Nur kurz spricht Lindner über die Finanzplanung für das kommende Jahr, worüber er in diesen Tagen mit dem Kanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck so intensiv verhandelt. Wichtige Projekte der Ampel sollten realisiert werden, sagt Lindner. Bei anderen müsse man eben "depriorisieren". Neue Schulden wolle er nicht aufnehmen, allein weil die Zinsen aktuell so hoch seien: "Lieber geben wir Geld aus für die Zukunft als für die Zinsen."

Finanzplanung 2024 weiterhin unklar

Es ist eine klare Ansage, die wirkt, als wäre alles geklärt. In Wahrheit gilt für die Verhandlungen von Lindner, Scholz und Habeck: Alles ist offen. Die Finanzplanung des nächsten Jahres ist völlig unklar.

Der Grund: Die Richter des Bundesverfassungsgerichts hatten die Haushaltspolitik der Ampelkoalition in Teilen für rechtswidrig erklärt. Eine Umwidmung von Corona-Krediten für Klimaschutzpolitik dürfe es nicht geben, so lautete das Urteil aus Karlsruhe.

Deshalb klafft eine Lücke von 60 Milliarden Euro in der Haushaltsplanung für die nächsten Jahre. Allein für 2024 fehlen bislang etwa 17 Milliarden Euro, wie Lindner erklärte. Es geht dabei um die großen Fragen, darum, wie künftig das Land regiert werden soll. Um Heizungen, den Schutz der Umwelt, die Sicherheit von Arbeitsplätzen, um die Deutsche Bahn und günstigen Strom.

Und die Zeit drängt. Wer mit Insidern aus der Koalition spricht, für den zeichnet sich das Bild einer Regierung, bei der sich die Koalitionspartner bislang in politischen Schützengräben verschanzt haben. Die sich aber zugleich – vorsichtshalber – langsam schon einmal von alten Gewissheiten verabschieden.


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Schuldenbremse als liberales Herzensthema

Zu beobachten war das am Freitag unter anderem bei FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Noch bevor Christian Lindner im Bundestag sprach, hatte Dürr im Sender Phoenix einen Pflock eingerammt. Der Pflock heißt: Schuldenbremse. Ein liberales Herzensthema, die FDP hatte bereits im Bundestagswahlkampf damit geworben, sie künftig wieder einzuhalten.

Dürr pries also die Auswirkungen der Schuldenbremse, erklärte, dass sie Staatsfinanzen so solide gemacht habe – und Deutschland deshalb so gut dastehe. Bei der Schuldenbremse wirkt die FDP im Kampf um die Planung des nächsten Jahres wenig kompromissbereit.

Die Liberalen wollen eine Haushaltspolitik, für die wenig Schulden aufgenommen werden müssen. Einzig der Widerstand gegen eine sogenannte Notlage, wie sie bereits in diesem Jahr galt, wird von Lindner offenbar langsam verringert. Seine Äußerungen dazu fallen weniger scharf und eindeutig aus. Es wäre schmerzhaft für die Liberalen, aber ein möglicher Kompromiss – es könnten im nächsten Jahr mehr Schulden gemacht werden, ohne dass die Schuldenbremse generell aufgehoben wird.

Habeck scheut klare Ansagen

Wie offen alles ist, hatte sich zuvor auch an anderer Stelle gezeigt, etwa bei den Grünen. Am Mittwoch war Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck zu Gast im Klima- und Energieausschuss des Bundestags gewesen. Die große, überragende Frage an diesem Vormittag lautete: Wie soll es weitergehen mit der Klimapolitik? Ein Großteil der gestrichenen 60 Milliarden sollte ja verwendet werden, um die Industrienation Deutschland umzubauen zu einem Land mit grüner Wirtschaft.

Mancher Grüner hatte auf klare Ansagen von Habeck gehofft. Doch der hat in den vergangenen zwei Jahren oft genug gemerkt, dass er beim Regieren in eine Zwickmühle gerät, wenn er sich auf solche Ansagen einlässt – weil ihn das praktische Regierungshandeln doch zu Kompromissen zwingt.

Habeck löste das am Mittwoch so, indem er erklärte, sein Haus arbeite an einer Liste, um die Vorhaben zu priorisieren. Doch die große Ansage? Blieb aus. Sein Auftritt wirkte dabei schon fast wie von Lindner, der vom "Depriorisieren" spricht. Nichts ist mehr sicher, nur so viel ist klar.

Es knirscht bei den Grünen

Die Grünen sehen sich dabei vor einer neuen Lage: Sie traten vor allem wegen besserer Klimapolitik in die Koalition ein, die teuer wird – und deshalb jetzt wankt. Wie sehr es mittlerweile schon knirscht innerhalb der Öko-Partei, zeigte sich kürzlich am Grünen-Parteitag. Nur mit Mühe konnte die Parteitagsführung dabei eine Eskalation um die Frage nach der richtigen Migrationspolitik verhindern.

Wie das erst werden soll, wenn kein Geld für die klimaneutrale Wirtschaft möglich sein soll, wollen sich viele nicht vorstellen. Klar ist: Eine erneute Notlage für das Jahr 2024 würde zwar etwas mehr Geld zur Verfügung stellen – was für viele Hardliner bei den Grünen aber noch lange nicht ausreichend wäre.

"Kollaps der Regierung nicht auszuschließen"

In der SPD ist man sich der Dramatik der Lage bewusst. "Ein Kollaps der Regierung ist weiterhin nicht auszuschließen", sagt ein Genosse hinter vorgehaltener Hand. Noch immer sei unklar, wie sich die drei Ampelpartner aus der Pattsituation befreien könnten.

Das liegt auch daran, dass Olaf Scholz in seiner vagen Rede keine Richtung vorgab. Deshalb richtet sich der Blick bei den Sozialdemokraten auf ihre Spitzenfunktionäre. Für die SPD verläuft die rote Linie bei den Sozialausgaben. Das hat Parteichef Lars Klingbeil kürzlich erneut betont.

Auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch warnt davor, in den Verhandlungen die Axt an den Sozialstaat zu legen. "Wir müssen aufpassen, dass unser Land nicht auseinanderfliegt", sagt Miersch zu t-online. Inflation, Energiekrise und die wirtschaftlichen Verwerfungen durch den Ukraine-Krieg dürften nicht dazu führen, "breiten Teilen der Gesellschaft" die Krisenkosten aufzubrummen.

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Konkret heißt das: An der Erhöhung des Bürgergeldes zum 1. Januar 2024 und jener der Kindergrundsicherung – zwei soziale Kernprojekte der Genossen – wird aus SPD-Sicht vermutlich nicht gerüttelt. Stattdessen fordert Miersch ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse 2024, also das, was die FDP wiederum nicht will.

Doch welches Vorhaben ist die SPD zu opfern bereit? Nach außen hin mauern die Sozialdemokraten. Die Ampel-Partner bräuchten jetzt "Empathie für die andere Position", so Vizefraktionschef Miersch. Doch das wird kaum reichen, um einen Kompromiss zu finden.

Reizthema Steuererhöhungen

Immerhin scheint sich die SPD darauf verständigt zu haben, den Liberalen das Leben nicht noch schwerer zu machen, indem sie lautstark für Steuererhöhungen trommelt. In ihrem Leitantrag für ihren Parteitag nächste Woche fordern die Genossen zwar höhere Reichensteuern, einen höheren Mindestlohn und eine Krisenabgabe für Spitzenverdiener. Aber Sozialdemokraten, die diese Forderungen beherzt in die Öffentlichkeit tragen, sind schwer zu finden. "Wir sollten die FDP nicht zu sehr reizen im Moment", so ein führender SPD-Politiker.

Allerdings wich Parteichef Lars Klingbeil bereits wieder davon ab: Am Samstag erklärte der SPD-Chef, dass der Verzicht der Ampel auf Steuererhöhungen auf dem Prüfstand stehe (hier lesen Sie mehr dazu) – und ging damit in die offene Konfrontation mit dem liberalen Koalitionspartner.

Fieberhafte Suche nach der Lösung

Hinter den Kulissen wird an diesem Wochenende fieberhaft weiterverhandelt. Auch FDP-Chef Christian Lindner ging am Samstag in die Offensive und erklärte öffentlich, wo er den Rotstift ansetzen wolle: "Wir werden uns mit drei großen Kostenblöcken beschäftigen müssen", so der FDP-Chef zu den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Neben Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit und dem Subventionsabbau nannte Lindner mögliche Einsparungen im Sozialbereich. Er kündigte an, die anstehende Erhöhung des Bürgergeldes überprüfen zu wollen, denn "es müsse immer einen spürbaren Unterschied machen, ob jemand arbeitet oder nicht arbeitet".

Klingbeils Rede von Steuererhöhungen, Lindners Äußerungen zum Bürgergeld – es sieht derzeit nicht danach aus, als würden die Ampelpartner am Wochenende zu einer Lösung finden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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