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"Wir wollen einen Neustart beim Verfassungsschutz!"


Interview mit Anton Hofreiter
"Wir brauchen keine Leitkultur"

t-online, Marie Illner

Aktualisiert am 10.07.2017Lesedauer: 5 Min.
Anton Hofreiter (Grüne)Vergrößern des BildesAnton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag. (Quelle: Friso Gentsch/dpa-bilder)
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Anton Hofreiter fordert den Umbau der Geheimdienste.

t-online.de: Die Grünen haben bei der NRW-Wahl ein Ergebnis von 6,4 Prozent eingefahren und verzeichnen damit Verluste von fast 5 Prozent. Wie erklären Sie sich die Wahlschlappe und welche Konsequenzen ziehen Sie daraus für die Bundestagswahl?

Anton Hofreiter: Wir haben fast zeitgleich eine Wahl in Schleswig-Holstein gehabt, bei der wir fast 13 Prozent erhalten haben. Daran sieht man, wie sehr es bei diesen Wahlen um Länderthemen ging. Neben den Auseinandersetzungen in der Bildungspolitik war eine der Hauptursachen für NRW, dass wir es nicht geschafft haben, klarzumachen, wofür die Grünen eigentlich innerhalb der rot-grünen Landesregierung standen.

Die Schlussfolgerung für die Bundestagswahl lautet, dass wir geschlossener auftreten und mit klaren Ecken und Kanten eigene Positionen vertreten müssen. Das ist auf dem Bundesparteitag gelungen. Wir gehen jetzt mit Rückenwind in den Wahlkampf.

Die Grünen werden mit der eigenen, neuen Werbeagentur „Ziemlich Beste Antworten“ (ZBA) in den Bundestagswahlkampf ziehen. Die prägenden Wahlkampf-Manager stammen aus dem Umfeld von Winfried Kretschmann. Unter ihm wurden die Grünen in Baden-Württemberg stärkste Kraft - werden aber zum Teil als „CDU-light mit Insektenschutzprogramm“ bezeichnet. Ist die CDU nun auch auf Bundesebene der passende Koalitionspartner?

Mit einer Koalitionspräferenz hat das nichts zu tun. Die Menschen, die diese Agentur extra für unseren Wahlkampf gegründet haben, sind einfach sehr kreative Menschen und haben in Baden-Württemberg eine kreativ-coole Kampagne gemacht. Wir haben dort einen Wahlkampf für grüne Ziele geführt und wir werden auch für die Bundestagswahl einen Wahlkampf organisieren, der für grüne Ziele steht.

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Auf Ihrer Website schreiben Sie: „Die Basis für ein friedliches Zusammenleben verschiedener Ethnien, Kulturen und Religionen in unserer pluralistischen Gesellschaft ist unser Grundgesetz.“ Braucht es darüber hinaus Prinzipien, die unsere Gesellschaft zusammenhalten, etwa im Sinne einer Leitkultur?

Das, was bei uns im Land gilt, sind das Grundgesetz und die Gesetze - alles andere ist privat. Wenn ich mir anschaue, welche Spießigkeit zum Teil von Teilen der Union und der SPD propagiert wird – das ist für mich auch eine Parallelgesellschaft, mit der ich selbst nichts zu tun haben will.

Entscheidend ist, dass Integration gelingt. Dazu braucht es keine Leitkultur, sondern vernünftige praktische Politik: genügend Integrationskurse, Ausbildungs- und Arbeitsplätze, bezahlbarer Wohnraum, nicht nur in einzelnen Stadtteilen. Und ganz besonders müssen wir die Schulen unterstützen, damit dort gemeinsames Lernen gelingt.

Ebenfalls auf Ihrer Website ist zu lesen: „Wer die europäische Einigung neu beleben will, muss nationale Interessen und Stimmungslagen auch mal zurückstellen.“ Können Sie Beispiele für Interessen geben, die es zurückzustellen gilt? Die „Flucht ins Nationale“ bezeichnen Sie als Irrtum. Welches ist das stärkste Argument, dass heute für Europa spricht?

Was mich immer wieder stört, ist die Kurzsichtigkeit. Wenn man zum Beispiel beim Umgang mit Griechenland sagt: „Die dürfen auf gar keinen Fall eine Schuldenerleichterung kriegen.“ Wenn Griechenland aber aus dem Euro purzelt und wir am Ende den Zusammenhalt der EU und den Erhalt des Euros riskieren, dann kostet uns das unendlich viel mehr, als Griechenland solidarisch aus der Krise zu helfen. Nur wenn es den Anderen innerhalb der Europäischen Union gut geht, wird es auch uns langfristig gut gehen.

Und eines der stärksten Argumente für Europa ist die Größe der Herausforderungen in der Welt: Von Klimakrise über die vielen Kriege und Bürgerkriege um die EU herum bis zu den Menschen, die auf der Flucht sind, oder die Frage des Umgangs mit autoritären aber ökonomisch erfolgreichen Länder wie China. Für all diese Herausforderungen ist jedes einzelne europäische Land für sich alleine deutlich zu klein - selbst das im Verhältnis mächtige und große Deutschland. Das schaffen wir nur, wenn wir als Europäische Union zusammenhalten.

Die Grünen haben eine Reform hin zu einem einzigen Inlandsgeheimdienst gefordert. Die Linken fordern eine Abschaffung des Verfassungsschutzes, schon dieser sei intransparent und lasse sich nicht kontrollieren. Wie sollte dann die von den Grünen angestrebte Riesenbehörde erst steuerbar sein?

Wir wollen keine Riesenbehörde, wir wollen einen Neustart beim Verfassungsschutz. Dessen bisherige Hauptaufgabe, gewaltfreien Extremismus zu beobachten, wollen wir einem unabhängigen Institut übertragen. Die restlichen Verfassungsschutzaufgaben sollen in einer neuen Behörde wahrgenommen werden: Spionageabwehr und Erkennung von terroristischen Gefahren. So wie es jetzt ist, darf es nicht weitergehen.

In den gemeinsamen Terrorabwehrzentren sitzen 16 Landes-Inlandsgeheimdienste, ein Bundesinlandsgeheimdienst; dann sitzt da noch der Bundesnachrichtendienst drin, alle Landeskriminalämter und das Bundeskriminalamt - und die werkeln ohne gesetzliche Grundlage nebeneinander her. Sie haben weder die NSU-Mordserie noch den Amri-Anschlag verhindern können. So funktioniert unsere Sicherheitsarchitektur nicht.

Das Thema „Innere Sicherheit“ spielte bei den Grünen bisher keine besonders große Rolle. Wie wichtig ist es, es nun zu besetzen?

Der Eindruck ist falsch. Schauen Sie mal auf unsere diversen Positionen und Beschlüsse zum Thema Innere Sicherheit. Die gibt es nicht erst seit gestern. Wir haben bloß eine andere Herangehensweise an das Thema Innere Sicherheit. Wir sind davon überzeugt, dass es nichts hilft, immer nur neue Gesetze aufzuschreiben, die die Rechte für alle Bürger und Bürgerinnen in unserem Land einschränken. So macht das die Union, die seit zwölf Jahren den Bundesinnenminister stellt.

Uns kommt es darauf an, die Sicherheitsbehörden so zu organisieren, dass sie funktionieren. Wir fordern schon seit vielen Jahren mehr Mittel für die Polizei und mehr Polizistinnen und Polizisten. Wir haben eine innenpolitische Sprecherin, die ehemalige Polizistin und Kommissarin ist. Und wir machen seit Jahren konstruktive Vorschläge für Reformen der Geheimdienste, der Polizei und deren europäischer Zusammenarbeit.

Nahezu alle Terroranschläge der letzten Jahre in Europa wurden von Tätern begangen, die den Sicherheitsbehörden bestens bekannt waren. Wir müssen die Struktur der Sicherheitsbehörden so umbauen, dass sie in der Lage sind, die Menschen hier zu schützen - und dabei auch die Prävention nicht aus den Augen lassen. Je weniger Menschen sich radikalisieren und gefährlich werden, umso mehr erleichtert das den Strafverfolgungsbehörden natürlich die Arbeit.

Der Grünen-Politiker Boris Palmer hat in einem Interview mit dem Deutschlandfunk gesagt, die Grünen in NRW hätten - wie in Baden-Württemberg unter Kretschmann - Zuzug aus Maghreb-Staaten begrenzen können, indem sie sie als sichere Herkunftsländer anerkennen. Begründet hat er das damit, das NRW rein zahlenmäßig das Land sei mit dem größten Problem krimineller Asylbewerber aus diesen Staaten. Wäre ein solcher Kompromiss mit Ihnen machbar?

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Uns Grünen geht es nicht um Prinzipienreiterei. Natürlich sind wir zu Kompromissen bereit. Aber grundlegende Menschenrechte müssen eingehalten werden. Länder zu sicheren Herkunftsstaaten zu etikettieren, in denen Lesben und Schwule unterdrückt und politische Oppositionelle verfolgt werden, ist Willkür. Das beschneidet das Recht auf Asyl und das geht nicht. Und es ist eine Maßnahme, die viel mit Wahlkampfgetöse von Union und FDP und wenig mit realer Problemlösung zu tun hat.

Was wir brauchen, sind bessere Rückübernahmeabkommen. Denn es geht um die Frage, wie bei Personen ohne Aufenthaltsrecht aus den Maghreb-Staaten die Rückkehr oder die Abschiebung umgesetzt wird. Um sie zurückzuschicken bräuchte man aber nicht die Einstufung als sicheres Herkunftsland, sondern dazu bräuchte man ein funktionierendes Rückübernahmeabkommen mit den Ländern. Und daran ist die Bundesregierung bisher immer gescheitert.

Die arabische Koalition hat die Beziehungen zu Katar abgebrochen - mit dem Vorwurf das Emirat unterstütze den islamistischen Terror. Wie sollte die Bundesregierung reagieren? Ist eine Fußball-WM in diesem Land noch tragbar?

Die Bundesregierung hätte schon lange kommunizieren müssen, dass wir diese massive Unterstützung des Wahhabismus und des Islamismus nicht tolerieren können - sowohl in Richtung Katar als auch in Richtung Saudi-Arabien. Das heißt: keine Waffen mehr dahin liefern und raus aus der Abhängigkeit vom Rohöl. Und zur WM in Katar: Nicht erst die aktuelle Situation zeigt, dass Katar als Austragungsort für eine Fußball-WM denkbar ungeeignet ist. Der DFB muss sich für eine Verlegung des Austragungsortes einsetzen.

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