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Jamaika-Koalition: 10 Lektionen aus den Sondierunsgesprächen – eine Bilanz


Zwischenbilanz der Sondierungen
Drohgebärden, Tweets und ein wirrer Name – zehn Lektionen aus Jamaika

t-online, Jonas Schaible

Aktualisiert am 03.11.2017Lesedauer: 7 Min.
Christian Lindner fotografiert gern: Journalisten, wie hier, oder Papiere aus den Verhandlungen.Vergrößern des BildesChristian Lindner fotografiert gern: Journalisten, wie hier, oder Papiere aus den Verhandlungen. (Quelle: Maurizio Gambarini, dpa)
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Die erste Sondierungsrunde zwischen Union, FDP und Grünen geht heute zu Ende. Tweets sind ein gutes Zeichen, Kohle-Kumpel sitzen mit am Tisch und Jamaika sollte SG2 heißen. Zehn erste Lektionen.

Eine Analyse von Jonas Schaible

Am Abend endet die erste Phase der Sondierungsgespräche. Die vier Parteien haben sich dann einmal durch alle zwölf Themengebiete diskutiert. Am Freitag werden sie eine erste Bilanz ziehen und entscheiden, welche Themen noch einmal besprochen werden müssen.

Was wir bis jetzt gelernt haben – ein Zwischenbericht in zehn Lektionen.

1. Die CDU gibt den Erwachsenen im Raum

Auffällig ist, wie unterschiedlich die Parteien auftreten. Die FDP betont bei jeder Gelegenheit, sie sei wirklich, wirklich, wirklich nicht auf die Koalition angewiesen. Die Grünen haben schon am ersten Tag klargemacht, dass sie beschlossen haben, zuversichtlich zu sein. Die CSU hält ihre Rauflust zurück und gibt sich mit gelegentlichem Knuffen zufrieden. Alle drei haben aber rote Linien formuliert. Alle drei sticheln und drohen und klagen.

Nicht so die CDU. Die gibt sich demonstrativ Mühe, den Laden zusammenzuhalten. Sie mimt den verantwortungsbewussten Erwachsenen, der vernünftig ist, weil irgendwer ja vernünftig sein muss. Aus ihren Reihen kamen bisher keine großen Störfeuer. Nur Jens Spahn schoss gegen die Rente mit 63. Aber an dieser Frage wird die Koalition nicht scheitern. Und Spahn ist im Merkel-nahen Verhandlungsteam eher ein Außenseiter, der sich profilieren muss.

Fraktionschef Volker Kauder gab schon vor den Verhandlungen die Linie vor. “Jeder muss zum Kompromiss bereit sein”, sagte er. Und: keine roten Linien. Dabei ist es geblieben. So, wie Merkel bisher regierte, so verhandelt sie auch. Sehen, was die anderen wollen. Es sich zu eigen machen. Das Eigene zurückhalten. Und auch wenn sie als angeschlagen gilt, hat sie vor allem mit Kauder und Peter Altmaier die Truppe offensichtlich im Griff.

Man kann das profillos finden. Für den Verlauf der Gespräche ist es wahrscheinlich förderlich.

2. Je mehr getwittert wird, desto besser

Gerade Christian Lindner und der neue Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Marco Buschmann veröffentlichen fleißig Fotos von Sondierungsergebnissen. Auch die Grünen twittern viel aus den Verhandlungen. So offen waren Verhandler wahrscheinlich noch nie. Dafür gab es einen Rüffel von Ex-Wirtschaftsminister Brüderle. Er fordert “mehr Konklave, weniger Twitter”.

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Man kann es aber auch anders sehen. Denn wenn es einen Tweet gibt, gibt es auch ein Papier, also wurden Ergebnisse festgehalten und wer immer sie veröffentlicht, glaubt nicht, damit jemanden ernsthaft zu erzürnen. Daraus folgt: Ein Tweet ist ein gutes Zeichen. Je mehr Tweets, desto besser.

3. Nicht jedes Dementi ist ein Dementi

Die Verhandler drohen und raunen und klagen – vieles davon dürfte Taktik sein. Manchmal ist nicht einmal ein Dementi ein Dementi.

Die verwirrende Diskussion um die Rente mit 63 scheint ein Beispiel für einen Testballon zu sein: Erst hieß es, die möglichen Koalitionäre wollten Kürzungen, dann dementierten sie entschlossen, aber an der Sache vorbei. Am Ende war nur klar, dass über die Rente mit 63 noch zu sprechen sein wird und sich niemand für sie in die Bresche werfen möchte.

Eine klassische Drohgebärde ist auch, dass die FDP gerade erst wieder mitteilte und von Christian Lindner verbreiten ließ, die Chancen auf ein Bündnis stünden bei “50:50”. Das sagen die Liberalen schon seit Beginn. Wer soll glauben, dass seitdem gar nichts passiert sei? Tatsächlich bedeuten diese Drohgebärden: Wir machen uns rar und teuer.

4. Klima, Asyl, Verkehr: Es bleiben echte Gräben

Real sind die Gräben in folgenden Bereichen: Flucht und Asyl, Umweltschutz, Verkehr, Landwirtschaft und Klimaschutz.

Die Asylpolitik wollen die Parteichefs in kleiner Runde diskutieren. Im Kern geht es vor allem um den Familiennachzug für die Mehrzahl der Syrer, die kein Asyl bekommen haben, sondern so genannten subsidiären Schutz. Sie dürfen bis zum kommenden Jahr keine Familienmitglieder nachholen und Union und FDP wollen, dass das so bleibt. Die Grünen wollen es wieder ermöglichen.

Auffällig ist: Von der Einstufung der nordafrikanischen Länder Algerien, Tunesien und Marokko als sichere Herkunftsstaaten und den Asylzentren, die die Union schaffen will, war zuletzt nicht mehr so viel die Rede. Auch diese Maßnahmen lehnen die Grünen ab. Das heißt nicht, dass sie sich damit abgefunden haben. Aber es könnte ein Indiz sein, wo sie eher zu Kompromissen bereit sind. In der Partei heißt es: Eine bittere Pille müsse man wohl schlucken – drei ganz sicher nicht.

Aufgebrochen ist der Streit auch in der Landwirtschaftspolitik: Die Union sieht sich als Anwältin der vielen konventionellen Bauern im Land. Die Grünen wollen weg von Massentierhaltung und von Spritzmitteln wie Glyphosat. Während der Sondierungen gifteten sich CSU und Grüne Berichten zufolge an.

5. Der Kohle-Kumpel sitzt mit am Tisch

Eine deutsche Heldenfigur aus dem vergangenen Jahrhundert sitzt mit einem Mal wieder mit am Verhandlungstisch: der Kohle-Kumpel. Viele Menschen arbeiten nicht mehr im Bergbau, sehr wichtig ist diese Industrie nicht mehr. Aber es zeichnet sich ab, dass die Kohleenergie zu einer der heikelsten Fragen werden wird.

Die Diskussion über Klimapolitik wurde bereits einmal vertagt und soll auch jetzt nur in kleiner Runde besprochen werden. Die Grünen beharren auf einem schnellen Ausstieg aus der Kohleenergie, die anderen Parteien lehnen das vehement ab.

Für die Grünen geht es dabei um Grundüberzeugungen: Im Vorfeld des Klimagipfels, der ab Montag in Bonn stattfinden wird, haben die Vereinten Nationen noch einmal gemahnt, die Staaten müssten jetzt handeln. Wenn Deutschland seine CO2-Emissionen schnell reduzieren will, und dazu hat sich die Regierung verpflichtet, dann müssen die Kohlekraftwerke bald vom Netz.

Die FDP deutet Kompromissbereitschaft an: Christian Lindner sagte, "eine Politik, die für das Weltklima nichts bringt, aber Arbeitsplätze kostet, könnten wir nicht unterstützen". Damit ließ er die Möglichkeit offen, sich überzeugen zu lassen: von einem Kohleausstieg, der etwas für das Klima bringt.

Allerdings hat Armin Laschet, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen (CDU), sehr deutlich gemacht, dass er mit allen Mitteln gegen einen Kohle-Ausstieg kämpfen wird. Wenn die Grünen auf dem Ausstieg beharrten, sei eine Koalition undenkbar, sagte er. Kohle wird vor allem in der Lausitz und im Ruhrgebiet abgebaut und verfeuert. Für ihn geht es persönlich um viel, nämlich seine Stellung in Nordrhein-Westfalen – das macht es für den Rest der Partei schwierig, Einfluss zu nehmen.

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6. Die Grünen warten noch auf Zugeständnisse

Die Grünen haben den Ruf, eine Partei der Grundsatzüberzeugten zu sein. Dabei haben sie bislang sehr klar bewiesen, dass sie zu Kompromissen bereit sind. Ohne Frage sind sie der ideologische Außenseiter im Vierer-Bündnis. Deshalb ist es kein Zufall, dass viele der echten Streitthemen grüne Themen sind.

Die Frage ist, wo und wann Union und FDP auf sie zugehen. Bisher sieht es so aus: Die FDP wird Zugeständnisse beim Soli und den Steuern bekommen, die Union bei der Flüchtlingspolitik und der Videoüberwachung; all das sind Kernthemen. Aber die Grünen?

Energetische Sanierungen helfen auch Vermietern und führen zu höheren Mieten. Tiefgrün sind sie nicht. Bislang sträuben sich Union und FDP, bei Klimaschutz, Verkehrspolitik, Landwirtschaft, oder Zuwanderung auf die Grünen zuzugehen. Das wird sich ändern müssen. Sonst droht auf dem grünen Parteitag ein Aufstand.

7. Die AfD ist der neue Fixpunkt der politischen Debatte

Wenn ihnen ein Vorschlag nicht passt, spielen die Verhandler gern die AfD-Karte. Wenn ihr das wirklich durchsetzt, drohen sie dann, hilft das der AfD! An dieses rhetorische Manöver wird man sich gewöhnen müssen.

Armin Laschet etwa mahnte, „wenn Braunkohlewerke in der Lausitz schließen und das die Erwerbsgrundlage für Tausende Menschen entzieht, dann haben Sie demnächst 30 Prozent AfD“, sagte er. Christian Lindner sagte zur Forderung der Grünen, den Familiennachzug zu lockern: “Das wäre ein Konjunkturprogramm für die AfD”.

So bequem diese Argumentation auch ist, so gefährlich ist sie. Sie beschert der AfD weiter Aufmerksamkeit und macht sie größer, als sie ist.

8. Es gibt kein schwarz-rotes Sicherheitsnetz

Die SPD hat deutlich gesagt: Sie steht nicht bereit für eine große Koalition. Zu Beginn hätte es noch Taktik sein können, aber mittlerweile ist der Rückweg abgeschnitten.

Schon in der konstituierenden Sitzung des Bundestags schaltete die SPD auf Krawall-Opposition. Der Parlamentarische Geschäftsführer Carsten Schneider warf Angela Merkel vor, ihre Politik habe die AfD groß gemacht (siehe Lektion 7). Dabei heißt es in der SPD, man müsse sich noch zurückhalten, schließlich regiere man ja noch.

Jetzt doch noch einzulenken, könnte die Partei endgültig zerreißen. So töricht kann die aktuelle Spitzenriege um Schulz und Gabriel nicht sein, auch wenn ihnen nur eine Große Koalition weiter Macht und Einfluss sichern würde.

Es gibt kein schwarz-rotes Sicherheitsnetz. Oder es gibt bald keine SPD mehr. Das heißt auch: Schwarz-Gelb-Grün muss klappen.

9. Die Opposition spielt Verstecken

Die möglichen Koalitionspartner haben es auf eine Art erstaunlich leicht: sie können sich momentan nur selber stören.

Während sie sich untereinander beharken, fallen ihre eigentlichen Gegner kaum auf. Die SPD ist zwar scharf, wenn sie die Union kritisiert, tut das aber selten, weil sie die meiste Zeit mit sich selbst beschäftigt ist. Die Linke ist mit sich selbst beschäftigt und die AfD ist mit sich selbst beschäftigt. Allen fehlen Lust, Ideen oder Mittel, um Schwarz-Gelb-Grün vor sich herzutreiben.

10. Jamaika ist kein guter Name: Warum nicht SG2?

Es sei ein weiter Weg bis Jamaika, witzelt die FDP gerne, mehr als 8000 Kilometer! Die Verhandlungen würden nicht geprägt von “Reggae und Bob Marley und irgendeinem lässigen Style”, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer zu Beginn. Die “Zeit” titelte “Fluch der Karibik” und Fotomontagen mit Joints sind Legion. Heißt: Jeder, wirklich jeder Namenswitz ist gemacht.

Absurd wurde es, als die Deutsche Presse-Agentur kürzlich meldete: “Jamaika bekennt sich zu Klimazielen”. Dabei hat Jamaika, also der Karibik-Staat, das Pariser Klimaabkommen schon im April 2016 unterzeichnet und seitdem keine Anstalten gemacht, davon abzurücken.

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Das heißt: Der Name klingt nicht nur albern, sondern er verwirrt. Immerhin, es gibt Alternativen.

Christian Lindner gibt sich alle Mühe, den Begriff “Kleeblatt”-Koalition zu etablieren. Er soll freundlicher klingen als “Jamaika”. Unterdessen versuchen die drei Oppositionsparteien, die “Schwarze Ampel” oder “Schwampel” zu prägen. Das soll unfreundlicher klingen.

Zwischen all diesen parteipolitisch motivierten Initiativen geht die naheliegende Bezeichnung unter: Schwarz-Gelb-Grün. Zu Rot-Rot-Grün sagt man auch Rot-Rot-Grün, das hat genauso viele Silben und ist genauso neutral.

Und selbst die Abkürzung R2G ließe sich kopieren: SG2.

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