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Ärger in der Ampel: Scheitert Olaf Scholz mit seinem Führungsstil?


Führungsstil des Kanzlers
Olaf Scholz riskiert seine Zeitenwende

  • Daniel Mützel
Von Miriam Hollstein, Daniel Mützel

Aktualisiert am 14.04.2022Lesedauer: 8 Min.
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Als entrückt empfinden einige inzwischen den Führungsstil von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). (Quelle: photothek/imago-images-bilder)

Ob Ukraine-Krieg oder Impfpflicht – Bundeskanzler Olaf Scholz wirkt immer öfter wie ein Getriebener. Bei Ampelpartnern wächst der Verdruss. Kommt die Methode Scholz an ihre Grenzen?

Das große Ratespiel im politischen Berlin geht derzeit so: Was plant Olaf Scholz? Früher haben sich vor allem Hauptstadtjournalisten und -journalistinnen darüber den Kopf zerbrochen. Doch inzwischen wächst auch bei seinen Koalitionspartnern und sogar bei den eigenen Parteifreunden die Irritation.

Jüngstes Beispiel ist die Frage, ob man Panzer und andere schwere Waffen in die Ukraine liefern sollte. Die Grünen wollen es, bei der FDP wollen es viele und auch die Mehrheit der Bevölkerung ist dafür. Doch der Mann, der dies zu entscheiden hat, schweigt.

"Wenn man bei mir Führung bestellt, bekommt man sie auch", hat Olaf Scholz 2011 einmal gesagt, als er für das Amt des Ersten Bürgermeisters von Hamburg antrat. Die Hamburger bestellten, so wie die Wähler bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst auch – sie machten Scholz und die SPD zur stärksten Kraft.

In Hamburg regierte er als "Olaf der Stille"

In der Hansestadt war Scholz mit seinem Führungsstil überaus erfolgreich, sieht man vom Desaster des völlig aus dem Ruder geratenen G20-Gipfels im Juli 2017 ab. Damals verwandelte sich die Stadt in eine Art Bürgerkriegsschauplatz. Gewaltbereite Demonstranten marodierten durch die Stadt, fackelten Autos ab und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Scholz hatte das Großereignis zuvor mit der Organisation des Hafengeburtstags verglichen, musste hinterher kleinlaut um Entschuldigung bitten.

Ansonsten aber hatte er seine Stadt im Griff. Dabei trat er nie als der große Zampano auf. Nein, Scholz regierte vielmehr als "Olaf der Stille". Seine Anweisungen wurden von seinen Mitarbeitern oft indirekt mit dem Zusatz "Olaf findet das nicht gut" weitergegeben. Scholz' Methode bestand darin, den politischen Mitstreitern viel Raum und Öffentlichkeit zu geben, aber hinter den Kulissen die Zügel straff in der Hand halten. Bei den Hamburgern kam seine Art an: 2015 wurde Scholz im Amt bestätigt, 2018 konnte er die Stadt an seinen Parteifreund Peter Tschentscher übergeben.

Auch nach der Bundestagswahl hat Scholz ganz auf diese Methode gesetzt. Beobachter notierten verblüfft, wie die potenziellen Koalitionspartner FDP und Grüne schon vor der Regierungsbildung auftrumpften, während Scholz sich vornehm zurückhielt. Intern ließ er an seiner Macht indes keine Zweifel aufkommen. So berichtete FDP-Chef Christian Lindner über die Koalitionsgespräche, er habe Scholz "neu kennengelernt", der Kanzler sei eine "starke Führungspersönlichkeit": "Olaf Scholz verfügt über ein inneres Geländer und über eine innere Werthaltung, mit der er das Land als Kanzler führen kann", sagte Lindner damals.

Hashtag #WoIstOlafScholz?

Doch das Prinzip des schweigenden Machtzentrums scheint immer mehr an Grenzen zu geraten. Als im November die Corona-Welle einen weiteren Höhepunkt erreichte, war von Scholz tagelang nichts zu hören. Schließlich rang er sich dazu durch, in dürren Worten die Einrichtung eines "Krisenstabs" anzukündigen.

In den sozialen Netzwerken lästerten die Nutzer über Scholz' Nichtpräsenz unter dem Hashtag #WoIstOlafScholz?

Noch deutlicher wurde die Schwäche von Scholz' Stil bei der Debatte um eine Impfpflicht. Er selbst hatte sie vollmundig bis Ende März versprochen. Als klar wurde, dass die FDP nicht mitmachen würde, überließ er die Entscheidung dem Bundestag und tauchte erst einmal ab. Zu einer ersten "Orientierungsdebatte" im Parlament kam er zu spät und schwieg auch dann noch. Inzwischen ist das Vorhaben gescheitert.

Die SPD ist keineswegs geschlossen

Auch im Ukraine-Krieg glänzt Scholz weniger durch Führung als durch ihre Abwesenheit. Seit seiner "Zeitenwende"-Rede Ende Februar tritt er nur noch selten in Erscheinung. Er selbst begreift sich immer noch als stabiles Machtzentrum, gibt sich von Forderungen der Koalitionspartner scheinbar unbeeindruckt. Vor dem Krieg war er auch deshalb gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, weil ihm der Gedanke, dass mit deutschen Waffen auf Russen geschossen werden könnte, unerträglich erschien.

Die historische Dimension der Rolle Deutschlands beschäftigt ihn dabei weiter intensiv. Neben der Sorge, dass Russland militärische Unterstützung aus einem Nato-Land zum Vorwand nehmen könnte, um die Nato als "Kriegspartei" zu definieren – mit unabsehbaren Folgen.

Hinzu kommt, dass in Scholz' eigener Partei die Haltung zu Waffenlieferungen keineswegs eindeutig ist. Nicht wenige Sozialdemokraten stammen ursprünglich aus der Friedensbewegung und halten die Aufrüstung der Ukraine (wie auch die Taktik des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj) für völlig falsch.

In anderen Teilen der SPD herrscht wiederum Ratlosigkeit. Mehrere Abgeordnete berichten t-online, dass sie sich fragen, was derzeit im Kopf des Kanzlers vorgehe. Zögert Scholz, schwere Waffen zu liefern, weil die Entscheidung aus seiner Sicht wirklich noch reifen muss? Oder weil er grundsätzlich gegen deutsche Panzer in der Ukraine ist, also sein Schweigen in Wahrheit ein Veto ist?

Einer der wenigen, die Scholz derzeit öffentlich verteidigen, ist Ralf Stegner. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner sieht im Vorgehen des Kanzlers kein Zaudern, sondern "Besonnenheit". Bei Fragen von Krieg und Frieden wünsche er sich "maximales Nachdenken", so Stegner, stattdessen fordere mittlerweile "jeder Hans und Franz" schwere Waffen, ohne die Konsequenzen einzupreisen.

Stegner hat kein Verständnis für jene Parteifreunde, die jetzt die Lieferung schwerer Waffen fordern: "Diese Position entspricht nicht dem, was in der SPD oder der Ampel bislang vereinbart worden ist." Aber auch die teils beinharte Kritik der Ampelpartner an Scholz ärgert ihn: "Was Reinhard Bütikofer oder Volker Beck sagen, es gehe jetzt nicht mehr um die besseren Argumente, sondern darum, auf der richtigen Seite zu stehen, halte ich für gefährlich. Wir schlittern in eine Kriegsrhetorik hinein, wo es für alles nur noch militärische Lösungen gibt."

Andersdenkende würden als "Putinversteher" verunglimpft und in der "veröffentlichten Meinung" gebe es kaum mehr Gegenstimmen. Die Folge, so Stegner: Viele in der SPD-Fraktion trauten sich nicht mehr, ihre Meinung offen kundzutun, wenn schon die Russlandpolitik des Bundespräsidenten "in Bausch und Bogen verurteilt" werde. "Bei aller berechtigten Kritik im Detail gibt es überhaupt keinen Anlass, Diplomatie, Rüstungskontrolle und Entspannungspolitik zu verwerfen."

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Ob sich der Kanzler am Ende dem Druck beugen wird, lässt der SPD-Politiker offen. "Olaf Scholz hat zum Glück die Qualität, sich nicht von Hobbystrategen oder selbstgerechten Leuten drängen zu lassen." Scholz entscheide, "wenn er es für richtig hält".

Auch der mehrfach preisgekrönte Dokumentarfilmer Stephan Lamby, der Scholz seit 2009 kennt und seine Politik beobachtet, teilt die derzeitige Kritik an Scholz nicht. "Bis zum Tag des Kriegsausbruchs wirkte die Kommunikation von Olaf Scholz steif und ungelenk", urteilt er: "Jetzt wirkt derselbe Kommunikationsstil nervenstark und selbstbewusst. Im Gegensatz zu Baerbock, Habeck und auch dem US-Präsidenten Joe Biden vermeide Scholz scharfe Worte. Lamby hält das für klug: "So erhält er sich die Möglichkeit, mit Putin ab und zu zu telefonieren. Das kann ihm später noch nutzen."

In bester Merkel-Tradition

Die Politik von Scholz erinnert auch in weiten Teilen an den (größtenteils sehr erfolgreichen) Führungsstil seiner Amtsvorgängerin Angela Merkel. Er wartet gern ab, wie sich Situationen und Stimmungen entwickeln, bevor er sich endgültig festlegt. Als zu Beginn des Krieges in der Ukraine die europäischen Partner zum Ausstieg aus dem Swift-Abkommen drängten, blockierte Scholz zunächst, um dann doch schließlich nachzugeben.
Die Frage der Inbetriebnahme der Gaspipeline Nordstream 2 hielt er so lange wie möglich offen, bevor er schließlich den (vorläufigen) Stopp verkündete.

Allerdings nimmt auch bei den europäischen Nachbarn das Unverständnis über das Verhalten Deutschlands zu. Deutschland sei die "größte Bremse", wenn es um entschiedenere Sanktionen gegen Moskau gehe, sagte Polens Premier Mateusz Morawiecki Anfang April. Auffällig war auch, dass niemand aus Europa die Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier durch Kiew kritisierte – nicht einmal die Präsidenten von Polen und den baltischen Staaten, die die Reise gemeinsam geplant hatten.

Für Olaf Scholz ist es wichtig, sich nicht von den Emotionen und der Analyse des Moments in unüberlegte Entscheidungen treiben zu lassen. Doch mit dieser Haltung wirkt er zunehmend wie ein Getriebener. "Es entsteht der Eindruck, dass Deutschland nie vor der Welle ist, sondern immer nur hintendran", klagt ein führender SPD-Politiker. Damit verspiele Scholz den Eindruck, dass er das Land in einer "Zeitenwende" neu aufstellen wolle, so wie er es in seiner Regierungserklärung formuliert hatte.

"Kanzler der Zögerlichkeit"

Offene Kritik kommt bislang noch in erster Linie aus der Opposition. "Die Ampel hat eine gewaltige Funktionsstörung", sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zu t-online: "Ständige Regierungskrise statt Krisenmanagement kann sich Deutschland nicht erlauben. Wenn Olaf Scholz Führung verspricht, sollte er bei seinem Bundeskabinett mal damit anfangen."

Doch aus der Koalition selbst mehren sich die Vorwürfe – wenngleich bislang noch aus der zweiten Reihe. "Ganz Europa wartet auf Scholz", sagte Anton Hofreiter, Grünen-Politiker und Vorsitzender des Europa-Ausschusses des Bundestags, zu t-online. Der Kanzler müsse Führung zeigen. "Deutschland verliert mit jedem Tag weiter an Ansehen in der Welt."

Sein Parteifreund, Ex-Grünen-Chef und Europapolitiker Reinhard Bütikofer, kündigt an, dass die Grünen beim Thema Waffenlieferungen für die Ukraine "weiter Druck" machen werden. Er macht für das Zaudern nicht allein den Kanzler verantwortlich. "Ich hoffe darauf, dass Olaf Scholz sich als der Kanzler der Zeitenwende bewähren wird und sich nicht von bestimmten Bedenkenträgern in der SPD, deren Russlandpolitik noch nie richtig war, zum Kanzler der Zögerlichkeit machen lässt. Das ist auch in seinem ureigenen Interesse."

Auch die Liberalen drängen Scholz

Auch bei der FDP rumort es. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hat sich bereits für die Lieferung schwerer Waffensysteme für Kiew ausgesprochen. Auch der parlamentarische Geschäftsführer der Liberalen im Bundestag, Stephan Thomae, macht Druck. Thomae sagt von sich selbst, er sei vielleicht "einer der Ungeduldigsten", wenn es um Waffenlieferungen gehe. Der stellvertretende Vorsitzende der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe hat die Ukraine mehrfach bereist und hat noch viele Freunde dort. Die Lage vor Ort bedrücke ihn sehr, das Land könne nicht mehr warten.

Scholz' Vorgehen, schwierige Fragen auch diskutieren zu lassen, sei richtig, sagt Thomae, aber eine Entscheidung sei "jetzt fällig". Thomae fürchtet, dass die Ungeduld in Teilen der Koalition weiter zunehmen werde, wenn nicht in den nächsten Tagen eine Entscheidung für die Lieferung schwerer Waffen falle. "Das Land ist bereit, die Politik ist bereit, der allergrößte Teil der Koalition hat es verstanden: Jetzt muss der Kanzler in die Offensive und Führung zeigen."

Für die öffentlichen Attacken der Ampelpartner an Scholz zeigt Thomae Verständnis: "Das ist kein koalitionsunfreundliches Verhalten, sondern als Koalitionspartner erwarten wir, dass im Kanzleramt zügig eine Entscheidung fällt."

Drohender Krach am Kabinettstisch

Noch halten sich Scholz' unmittelbare Nachbarn am Kabinettstisch mit persönlicher Kritik zurück. Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) werben zwar seit Tagen für die Lieferung schwerer Waffen, haben direkte Kritik an der Person des Kanzlers aber bislang vermieden.

Das könnte sich in den nächsten Tagen ändern, wenn Scholz bei den Lieferungen nicht einlenkt. Denn für eine Weigerung Deutschlands müssten am Ende auch Baerbock und Habeck einstehen.

Olaf Scholz hat das große Problem, dass große Krisen und Kriege keine Zeit für Zauderer oder Lange-Nachdenker sind. Sie erfordern schnelle Entscheidungen, die sich dann meist nicht mehr korrigieren lassen. Und von denen niemand weiß, ob sie sich im Nachhinein nicht als völlig falsch erweisen. In der geschichtlichen Nachbetrachtung gehen sie aber nicht mit jenen heim, die sie am laustärksten gefordert und gedrängelt haben. Sondern mit denen, die sie entschieden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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