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Atomkraft in Deutschland: Kommt jetzt doch der Ausstieg vom Ausstieg?


Längere AKW-Laufzeiten
Es dreht sich

Von Miriam Hollstein

Aktualisiert am 26.07.2022Lesedauer: 4 Min.
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Regierungsmitglieder von SPD und Grünen bei der Koalitionsklausur in Meseberg: In der Frage der AkW-Laufzeiten zeichnet sich eine Kehrtwende der Parteien ab.Vergrößern des Bildes
Regierungsmitglieder von SPD und Grünen bei der Koalitionsklausur in Meseberg: In der Frage der AkW-Laufzeiten zeichnet sich eine Kehrtwende der Parteien ab. (Quelle: Clemens Bilan/getty-images-bilder)

Seit Wochen erklären SPD und Grüne, am Ausstieg aus der Kernkraft trotz Energiekrise festhalten zu wollen. Doch nun gibt es erste Anzeichen für einen Sinneswandel.

Dieser Satz ließ aufhorchen. Am Sonntagabend deutete die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, Franziska Brantner, eine Grüne, an, dass beim Thema Atomkraft das letzte Wort noch nicht gesprochen sein könnte. Anlass war der Streit um den Gasnotfallplan der EU und die schwierige Situation Frankreichs, wo derzeit mehr als die Hälfte aller Atomkraftwerke ausfallen, was die Stromversorgung des Landes gefährdet.

"Wir werden bei dem jetzt stattfindenden Stresstest natürlich auch berücksichtigen, in welcher schwierigen Lage Frankreich gerade ist, weil eben dort sehr, sehr viele Atomkraftwerke nicht laufen", sagte Brantner der "Tagesschau". Dann legte sie nach: "Das werden wir bei uns mit einbeziehen, damit wir im Zweifel auch solidarisch sein können."

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Im Klartext heißt das: Die drei noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke in Deutschland – Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland – die zum Jahresende vom Netz sollten, könnten doch noch länger laufen. Genau das hatten aber die Grünen und auch die SPD bislang immer ausgeschlossen. In den letzten Tagen mehrten sich Hinweise, dass hier eine 180-Grad-Wendung bevorsteht. t-online hat die wichtigsten Zitate aufgelistet:

Ende Februar: Der Ukraine-Krieg befeuert eine bereits beendet geglaubte Diskussion um die Nutzung von Atomkraft. Eigentlich soll Anfang 2023 kein einziger Atommeiler in Deutschland mehr in Betrieb sein. Nun gibt es erste Stimmen, die fragen, ob dieser Ausstieg angesichts der ungewissen Zukunft der Energielieferungen aus Russland noch haltbar ist.

Anfang März: Aus dem von Robert Habeck (Grüne) geführten Wirtschaftsministerium und dem ebenfalls von den Grünen geführten Umweltministerium wird ein gemeinsamer Prüfvermerk durchgestochen, in dem von längeren Laufzeiten abgeraten wird. "Im Ergebnis einer Abwägung von Nutzen und Risiken ist eine Laufzeitverlängerung der drei noch bestehenden Atomkraftwerke auch angesichts der aktuellen Gaskrise nicht zu empfehlen", heißt es darin.

Kurz zuvor hatte der bayerische CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder sich nach einer Kabinettssitzung für längere Laufzeiten ausgesprochen. Ein längerer Betrieb der drei verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland könne für einen "kurz begrenzten" Zeitraum "sehr helfen", sagte Söder in München.

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8. März 2022: In einem Interview mit der dpa bekräftigt Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) ihre Ablehnung eines verlängerten AKW-Betriebs. "Aus Sicherheitsgründen wäre die Laufzeitverlängerung für eine Hochrisikotechnologie gerade jetzt nicht verantwortbar", sagt sie. In den kommenden Wochen wird sie diesen Satz noch mehrfach in verschiedenen Variationen wiederholen. Der frühere Chef des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Lars Feld, rät hingegen in einem Interview mit dem "Handelsblatt" zu einer Verlängerung: "Viel spricht dafür, dass wir die Atomkraftwerke noch etwas länger brauchen, bis die Erneuerbaren stärker ausgebaut sind", sagt der Ökonom, der inzwischen Chefberater von Christian Lindner ist.

17. März 2022: Bei der Konferenz der Ministerpräsidenten fordert Markus Söder, dass die drei verbliebenen AKWs noch drei Jahre länger laufen sollen.

21. Juni 2022: Nun schaltet sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in die Debatte ein. In einem Interview mit dem "Merkur" sagt er, eine Laufzeitverlängerung sei nicht möglich. "Die Fachleute sagen uns: Das wird nicht funktionieren. Der Atomausstieg ist lange beschlossen, die Brennelemente und nötigen Wartungsintervalle der Anlagen sind genau auf den Ausstieg abgestimmt worden", so Scholz: "Die Brennstäbe reichen bis Jahresende. Neue Brennstäbe zu besorgen, dauert nach diesen Aussagen zwölf bis 18 Monate. Mindestens. Deshalb hilft uns die Atomkraft jetzt nicht weiter, nicht in den beiden nächsten Jahren, auf die es ankommt."

Auch der Energiekonzern RWE, dem eines der noch in Betrieb befindlichen AKWs in Deutschland gehört, sieht eine Laufzeitverlängerung skeptisch, begründet dies freilich aber noch einmal anders: "Unser Kraftwerk in Emsland ist auf den Auslaufbetrieb zum Ende des Jahres ausgerichtet, zu dem Zeitpunkt wird der Brennstoff aufgebraucht sein. Ein Weiterbetrieb über den 31.12.2022 hinaus wäre mit hohen Hürden technischer als auch genehmigungsrechtlicher Natur verbunden." Ähnlich haben sich auch die anderen beiden Betreiber, EnBW und Eon, geäußert.

23. Juni 2022: Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet über ein Gutachten des TÜV Süd, dem zufolge eine Laufzeitverlängerung möglich ist. "Aus sicherheitstechnischer Sicht" bestünden "keine Bedenken", heißt es ganz am Ende. Das Gutachten wurde im Auftrag der bayerischen Landesregierung erstellt.

17. Juli 2022: Das Bundeswirtschaftsministerium beschließt eine erneute Überprüfung, ob die Energieversorgung auch ohne Atomkraft weiter sichergestellt ist.

19. Juli 2022: Im "Deutschlandfunk" äußert sich SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert skeptisch zur Laufzeitverlängerung. Man mache jetzt einen "verschärften Stresstest" sagt er über die erneute Prüfung, gibt sich aber auch überzeugt: "Wir haben Grund zur Annahme, dass es nicht notwendig sein wird, die Laufzeiten zu verlängern."

23. Juli 2022: In einem Interview mit der "Bild"-Zeitung spricht sich Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zwar erneut gegen eine Laufzeitverlängerung aus, lässt aber plötzlich eine Hintertür offen. "Wir sind jetzt in einer Notsituation, wo wir alles noch einmal anschauen", sagt Baerbock. Ab diesem Zeitpunkt setzt öffentlich ein Wandel bei der Bundesregierung ein.

24. Juli 2022: Der Unionsfraktionschef und Oppositionsführer Friedrich Merz geht fest von einer Laufzeitverlängerung aus. "Ich sage Ihnen auch voraus, wir werden am Ende des Jahres sehen, dass die 'Laufzeit' der Kernkraftwerke verlängert wird", sagt Merz im ZDF-Sommerinterview.

24. Juli 2022: Die Andeutungen von Franziska Brantner in der "Tagesschau" sorgen für Schlagzeilen.

Noch am selben Abend rückt Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) vom offiziellen Parteikurs ab. In der Sendung "Anne Will" sagt sie auf die Frage, ob die Grünen eine Verlängerung der Meiler für einen befristeten Zeitraum zulassen würden: "Wenn es dazu kommt, dass wir eine wirkliche Notsituation haben, dass Krankenhäuser nicht mehr arbeiten können, wenn eine solche Notsituation eintritt, dann müssen wir darüber reden, was mit den Brennstäben ist."

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Das neue Zauberwort nennt sich "Streckbetrieb". Damit soll die Verlängerung der noch in Betrieb befindlichen AKWs vom ideologisch aufgeladenen Begriff der "Laufzeitverlängerung" abgesetzt werden.

25. Juli 2022: Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums bestätigt, dass es eine erneute Prüfung der Laufzeitverlängerung gibt. Das Ergebnis werde "in den nächsten Wochen" vorliegen. Einen genauen Termin nennt sie nicht. Viel Zeit bleibt der Ampel nicht mehr.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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