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Geiseln der Hamas: Einsatz der deutschen KSK denkbar? Experte im Interview


Befreiung der Hamas-Geiseln?
"Der Zugriff muss dann sehr schnell durchgeführt werden"

InterviewVon Lucas Maier

26.10.2023Lesedauer: 4 Min.
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Soldat des KSK bei einer Übung zu Geiselbefreiung (Archivbild): Deutschland hat zuletzt Truppen des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in den Nahen Osten verlegt.Vergrößern des Bildes
Soldat des KSK bei einer Übung zu Geiselbefreiung (Archivbild): Deutschland hat zuletzt Truppen des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in den Nahen Osten verlegt. (Quelle: Maurizio Gambarini/imago images)

Mehr als 200 Geiseln sind noch in der Gewalt der Hamas. Für ihre Befreiung verfügen Armeen über Spezialeinheiten, in Deutschland ist das das Kommando Spezialkräfte. t-online hat mit dem Mann gesprochen, der die Einheit mit aufgebaut hat.

Im Gazastreifen werden immer noch mindestens 220 Geiseln von Terroristen der Hamas festgehalten, unter ihnen mindestens acht deutsche. Unterdessen geht der Beschuss zwischen Israel und der Hamas weiter. Von Norden greift auch immer wieder die Hisbollah aus dem Libanon an. Vor diesem Hintergrund hat die Bundeswehr weitere Kräfte nach Zypern und Jordanien verlegt, wie in dieser Woche bekannt gegeben wurde.

Zu den verlegten Truppen zählen auch Soldatinnen und Soldaten des Kommandos Spezialkräfte, kurz KSK. Das Spezialkommando wurde in den 1990er-Jahren gegründet. Ein Spezialgebiet der Kämpfer ist die Befreiung von deutschen Staatsangehörigen aus der Gewalt von Terroristen.

Das KSK wurde unter der Führung des damaligen Inspekteurs des deutschen Heeres, Helmut Willmann, aufgebaut. t-online hat mit ihm über die Geisel-Situation im Gazastreifen gesprochen.

t-online: Herr Willmann, wie liefe ein Geiselbefreiungseinsatz ganz konkret ab?

Helmut Willmann: Eine Befreiungsmission gliedert sich grob in vier Stadien. Eine präzise Aufklärung des Ortes, an dem die Geiseln gefangen gehalten werden, ist erst einmal die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Befreiungsaktion.

In der Folge müssen sich die Spezialkräfte unerkannt dem Ort nähern. Der Zugriff muss dann sehr schnell durchgeführt werden. Schließlich müssen die Kräfte samt den befreiten Geiseln wieder sicher zurückgelangen.

Die Lage der Geiseln im Gazastreifen spitzt sich zu. Lassen sich die Geiseln noch befreien?

Keine der klassischen Voraussetzungen für eine Geiselbefreiung ist im Gazastreifen gegeben. In ihrem Tunnelsystem kann die Hamas die Geiseln leicht verstecken. Wahrscheinlich an verschiedenen Orten und in kleinen Gruppen.

Das unterirdische System ermöglicht einen schnellen und unbemerkten Ortswechsel der Geiseln – was die Lage noch verzwickter macht.

Wären solche Einsätze in Gaza derzeit denkbar?

In Gaza stehen selbst Spezialsoldaten vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Das Ausfindigmachen der Geiseln ist durch das Tunnelsystem der Hamas kaum bis gar nicht möglich. Eine unbemerkte Befreiung aus diesen Tunneln liegt ebenfalls außerhalb jeder Möglichkeit. Die Befreiung einer so großen Zahl an Geiseln an verschiedenen Orten im Gazastreifen ist eine nicht lösbare Aufgabe.

Gab es eine solche Einsatzlage schon einmal?

Nein, eine vergleichbare Situation gab es noch nie. Jedenfalls ist mir eine Aufgabe von dieser Komplexität aus den ganzen vergangenen Jahrzehnten nicht bekannt.

Kommen wir zurück zur Situation im Gazastreifen. Wäre es denkbar, während der Bodenoffensive Spezialkräfte einzusetzen?

Es gibt im Falle einer Bodenoffensive genau zwei Optionen: Entweder die Zugriffe zur Geiselbefreiung erfolgen vor der Offensive. Was militärisch schier unmöglich ist. Oder es wird versucht, im Rahmen der Offensive die Geiseln zu befreien.

Das wird nicht immer gelingen. Ein schreckliches Dilemma für die militärische und politische Führung Israels. Das gab es in Israel bisher noch nicht.

Helmut Willmann in seiner Rolle als Inspekteur des Heeres (Archivbild): Unter der Führung von Willmann wurde in den 1990er Jahren das Kommando Spezialkräfte aufgebaut.
Helmut Willmann in seiner Rolle als Inspekteur des Heeres (Archivbild): Unter der Führung von Willmann wurde in den 1990er Jahren das Kommando Spezialkräfte aufgebaut. (Quelle: Ute Grabowsky/imago images)

Helmut Willmann

ist ein pensionierter General der Bundeswehr, von 1996 bis 2001 war er Inspekteur des Heeres. Die Umstrukturierung der Bundeswehr zu einer Einsatzarmee und damit verbunden die militärische Gründung des Kommandos Spezialkräfte (KSK) gehen auch auf ihn zurück. Die engen militärischen Verbindungen zwischen der israelischen und deutschen Armee sind ebenfalls auf Willmann zurückzuführen. Dafür wurde er als erster nicht-israelischer Soldat mit der "Honorary Citation" ("ehrenvolle Erwähnung") ausgezeichnet.

Was würde eine Bodenoffensive für die Geiseln in der Gewalt der Hamas bedeuten – Freiheit oder Lebensgefahr?

Die Offensive würde für die Geiseln definitiv Lebensgefahr bedeuten. Verzichtet aber Israel auf die Bodenoffensive, um die Geiseln eventuell in diplomatischen Verhandlungen freizubekommen, dann wird die Bevölkerung Israels die kommenden Jahre weiter unter den Angriffen der Hamas leiden müssen.

Die Abschreckungswirkung der israelischen Armee würde empfindlich geschwächt werden. Weitere Terrororganisationen könnten zu Angriffen motiviert werden. Es bestünde die Gefahr, dass sich Angriffe wie am 7. Oktober wiederholen werden.

Die Bodenoffensive ist aus israelischer Sicht unverzichtbar, um die Hamas militärisch als auch politisch zu zerschlagen. Wenn die Bodenoffensive startet und die Geiseln nicht befreit sind, dann bedeutet das für die Geiseln höchste Lebensgefahr. Kommen die Geiseln also nicht durch politische Verhandlungen frei, ist ihr Leben in höchster Gefahr.

Noch eine Frage zum KSK: Zuletzt hat Deutschland verschiedene Spezialkommandos nach Zypern und Jordanien verlegt. Wäre ein Einsatz im Gazastreifen denkbar?

Das KSK wird mit Sicherheit nicht im Gazastreifen zum Einsatz kommen. Die israelischen Spezialkräfte sind sehr erfahren und gut aufgestellt. Eine Unterstützung von außen wird hier sicher nicht benötigt.

Die Verlegung in den Nahen Osten soll eine eventuell notwendige Evakuierung von deutschen Staatsbürgern aus dem Libanon ermöglichen.

Die Verbindungen zwischen dem israelischen Militär und der Bundeswehr haben Sie maßgeblich mitgestaltet und sind dafür auch ausgezeichnet worden. Haben Sie sich von ihren israelischen Kollegen etwas für das KSK abschauen können?

Ja, das ist richtig. Aufgrund meiner Beziehungen war es dann auch möglich, am Know-how der israelischen Kommandosoldaten teilzuhaben. Konkret gab es in der Ausbildungsphase eine Zusammenarbeit. Das betraf in erster Linie die Geiselbefreiung.

Aufgrund der langjährigen Konflikte mit ihren Nachbarn haben die israelischen Streitkräfte hier eine große Expertise. An dieser haben sie uns teilhaben lassen.

Herr Willmann, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Helmut Willmann
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