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Brüderle und "Stern"-Reporterin: Alarm in Raum 6556


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Brüderle und "Stern"-Reporterin: Alarm in Raum 6556

von Severin Weiland, Spiegel Online

30.01.2013Lesedauer: 4 Min.
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Die Journalistin Laura Himmelreich hatte FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle in einem Artikel sexuelle Belästigung vorgeworfenVergrößern des Bildes
Die Journalistin Laura Himmelreich hatte FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle in einem Artikel sexuelle Belästigung vorgeworfen (Quelle: dapd)

Im sechsten Stock, vor dem geräumigen Raum 6556 mit dem spektakulären Blick auf das Reichstagsgebäude, stehen vier Kameramänner, zwei Fotografen, rund ein Dutzend Journalisten. Dicht an dicht. Eine kleine Mauer.

Nein, hier geht es nicht um den Bundespräsidenten, die Kanzlerin oder einen Minister oder eine Ministerin. Hier bittet FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle zum Gespräch. In den Sitzungswochen des Bundestags gibt er in diesem Raum regelmäßig gegenüber Journalisten Auskunft über die Themen der Woche, bei belegten Broten, Wasser, Kaffee, Tee und Saft. Ein Routinetermin. Eigentlich.

An diesem Mittwoch aber dreht sich alles nur um eine Frage: Wird der 67-Jährige irgendein Wort zum Artikel der "Stern"-Reporterin Laura Himmelreich finden? Himmelreich erscheint um kurz vor halb elf Uhr morgens. Diesmal kommt sie nicht, wie sonst, alleine zur Runde bei Brüderle, sondern in Begleitung des Berliner "Stern"-Büroleiters.

Ein weiterer Kollege, der nicht für das Blatt arbeitet, stellt mit ihm eine Art Schutzgarde. Journalisten wollen einen Kommentar von ihr, Himmelreich lächelt nur, dann geht sie in den Raum. In einer Ecke, von Brüderle kaum einzusehen, findet sie mit ihrem Chef schließlich einen Platz.

Berlin steht Kopf

Es ist ein seltsames Ereignis. Berlin steht Kopf: Journalisten berichten über Journalisten. Ein normalerweise durch und durch harmloses Polit-Meeting erscheint plötzlich als wichtigstes Treffen des Berliner Polit-Betriebs. Die "Bild"-Zeitung berichtet auf ihrer Internetseite per Live-Ticker. Maximaler Alarm. Unweigerlich ist man versucht zu fragen: "Geht's noch?"

Aber es stimmt schon: Natürlich will die Öffentlichkeit jetzt wissen, was Brüderle nach der ganzen Aufregung sagt. Und was sagt Himmelreich? Rund 80 Journalisten sind im Raum, viel mehr als sonst. Manche müssen sich sogar auf den Boden setzen. Die Atmosphäre ist angespannt, schließlich, kurz nach 10.45 Uhr, kommt Brüderle. "Guten Morgen", sagt er und strebt seinem Platz entgegen, diesmal ohne den üblichen Handschlag für jeden Journalisten.

Alle im Raum wissen: Eigentlich geht es nur darum, ob Brüderle eine Erklärung abgibt. Der Liberale hat bislang geschwiegen, er hat seine Linie am Montag im Präsidium der Partei dargelegt, auch am Dienstag in der Sitzung der FDP-Bundestagsfraktion. Er hat seine Parteifreunde darum gebeten, die Debatte nicht durch weitere Kommentierungen zu befeuern.

Längst hat sich auch der politische Gegner des Themas bemächtigt. Die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagt am Morgen in einem "Spiegel Online"-Interview: "Wenn alles wirklich so passiert ist wie beschrieben, hat Herr Brüderle eine deutliche Grenze überschritten." Er solle sich erklären. Es könne nicht sein, dass die FDP eine Art Wagenburg baue.

Das ist harter Tobak, aber er kommt von der Opposition, nicht aus den eigenen Reihen. Die FDP steht zu ihrem Spitzenmann, wenn auch manch einer insgeheim mit gehörigen Bauchschmerzen.

Brüderle sieht mitgenommen aus. Sein Gesicht ist schmaler geworden. Seitdem der Text vergangene Woche in der Hamburger Illustrierten erschien, verging kein Tag, an dem sein Name nicht groß in den Medien war; seine Frau wurde in die Berichterstattung mit hineingezogen, das hat viele in der FDP empört.

Mediales Sperrfeuer

Am Sonntag widmete ARD-Talker Günter Jauch der "Stern"-Geschichte und ihren Folgen eine Sendung, an diesem Mittwoch geht es gleich weiter mit Anne Will im ersten Programm. So ein mediales Sperrfeuer kann selbst dem härtesten Spitzenpolitiker arg zusetzen.

Viel ist im Vorfeld spekuliert worden: Wird Brüderle doch noch, in welcher Form auch immer, auf die Reporterin Himmelreich zugehen? Doch Brüderle bleibt in seiner Frühstücksrunde bei seinem Kurs. Er wisse, dass manche nur wegen eines Themas hier seien, sagt er als erstes und fügt hinzu: "Ich habe mich bisher nicht zum Thema geäußert. Ich werde es weiterhin auch nicht tun. Ich bitte um Verständnis."

Dann macht er weiter, als sei dies eine ganz normale Frühstücksrunde in einer ganz normalen Sitzungswoche des Bundestags. Er geht die Themen dieses Tages und der kommenden Tage durch: Gedenkstunde für die NS-Opfer im Bundestag, Einsatz in Mali, Zypern-Hilfe, Koalitionsausschuss, EEG-Umlage, Rente. Auch vielen Journalisten ist die Situation unangenehm, in ihren Redaktionen gab es in den vergangenen Tagen kaum ein Thema, das so hitzig debattiert wurde: War es richtig, was der "Stern" da gemacht hat?

Die unvermeidliche Frage kommt

Die ersten Fragen der Journalisten an Brüderle drehen sich noch um Sachthemen. Dann kommt die unvermeidliche Frage zum "Stern"-Artikel, schließlich folgen zwei weitere, die Fragesteller sind durchweg Männer. "No Comment", sagt Brüderle.

Ob er eine Belastung für die FDP sei? "Ich sehe das so, dass ich sehr wohl der Partei sehr nütze", sonst hätte sie ihn nicht als Spitzenmann aufgestellt. Auch die Frage nach einer Entschuldigung gegenüber Himmelreich fällt, aber Brüderle geht darauf nicht ein. "Ich werde weiter keinen Kommentar dazu abgeben", lautet seine Antwort.

Längst hat sich die Berichterstattung über den "Stern"-Artikel in eine allgemeine Debatte über Sexismus gedreht. Die Medien sind voll mit Berichten über das Verhältnis von Frauen und Männern, über den richtigen Umgang miteinander, vornehmlich am Arbeitsplatz. Auch dazu wird Brüderle gefragt. "Sexismus ist eine Debatte, die läuft, die sicherlich auch ihre gesellschaftliche Relevanz hat", sagt er.

45 quälende Minuten

Nach 45 quälenden Minuten ist die Frühstücksrunde vorbei. Die Journalisten warten ab. Himmelreich geht als eine der ersten, begleitet von ihrem Büroleiter. Der sagt zum jungen Kollegen, der sie ebenfalls begleitet: "Ich gehe nach vorne jetzt, du hinter ihr her". Dann streben sie hinaus, vorbei an den Kameras, ohne ein Wort.

Schließlich, nach einer ganzen Weile, geht auch Brüderle. Kurz vor der Tür stoppt er mit seiner Pressesprecherin vor einem Reporter. Der Mann hat Fotos mit seinem Smartphone gemacht, während der Sitzung. Seine Sprecherin weist ihn höflich darauf hin, dass das bei dieser Runde nicht erlaubt sei.

"Sie wissen es und tun es doch", sagt Brüderle und blickt ihn an. Er ist misstrauisch geworden, seitdem der "Stern" von seiner Begegnung mit der Reporterin an einer dichtgedrängten Hotelbar vor einem Jahr berichtete. Noch einmal schaltet sich Brüderles Pressesprecherin ein. Der Reporter versichert: Es werde keine Bilder geben. Dann geht auch Brüderle, vorbei an den Kameras. Diesmal ohne Kommentar.

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