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Tagesanbruch: Ein wunderbarer Friede, Merkel zieht Bilanz, Thriller in der Wüste


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

20.07.2018Lesedauer: 5 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Angela MerkelVergrößern des Bildes
Angela Merkel (Quelle: Fabrizio Bensch/Reuters-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Die Menschen tanzten auf den Straßen, konnten ihr Glück kaum fassen. Niemand, wirklich niemand hatte damit gerechnet, dass die Übergänge auf einmal offen sein würden. Dass sich ohne Vorankündigung in kürzester Zeit eine Umwälzung ereignen könnte, die eine schwer bewaffnete Grenze hinwegfegen und auseinandergerissene Familien wieder zusammenbringen würde. Im Fernsehen liefen die Bilder des Jubels quasi in Endlosschleife.

Während Sie jetzt den Taumel des Mauerfalls vor sich sehen und sich vielleicht fragen, warum ich das schreibe, ist doch gar kein Jahrestag, lassen Sie mich kurz noch den Zeitpunkt präzisieren. Wir reden von diesem Monat. Von einem historischen Moment, der jetzt in vollem Gange ist. Die Öffnung der Grenzen und der Friede sind wie aus heiterem Himmel über die Bewohner zweier zutiefst verfeindeter Länder hereingebrochen, deren Schicksal auch uns in Deutschland betrifft. Äthiopien und Eritrea, Letzteres bei uns vor allem als "Herkunftsland" wahrgenommen, haben ihren zwanzigjährigen Konflikt völlig überraschend beigelegt. Vor gerade einmal drei Monaten ist in Äthiopien ein neuer Mann als Ministerpräsident angetreten, hat die bis dahin herrschende, verknöcherte, korrupte Clique beiseite geschoben und eine Flut von Reformen ausgelöst. Politische Gefangene freigelassen. Ausnahmezustand aufgehoben. Opposition erlaubt. Glasnost, so würden wir das nennen. Das gefällt nicht jedem, vor allem aus der alten Garde. Der erste Anschlag, eine Handgranate, verfehlte ihn vor vier Wochen.

Kurz darauf saß Abiy Ahmed, so heißt der Ministerpräsident, beim benachbarten Diktator in Eritrea zum Kaffee. Dort herrscht die alte Garde nach wie vor, und schon deshalb war nicht damit zu rechnen, dass der Herrscher im "afrikanischen Nordkorea", wie Eritrea manchmal genannt wird, sich auf die Avancen seines äthiopischen Amtskollegen einlassen würde. Aber er hat. Isaias Afwerki, Präsident Eritreas, war in Umarmung mit dem ehemaligen Erzfeind zu sehen. Es mag wohl auch geholfen haben, dass der Äthiopier seine erste Auslandsreise zu einer Visite in Saudi-Arabien nutzte, einem mächtigen Unterstützer Eritreas. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate wünschten sich Tauwetter, und als Geldgeber mit einer eigenen Militärbasis im Land hat ihr Wort in Eritrea Gewicht.

Am vergangenen Wochenende kam Afwerki, der Eritreer, zum Gegenbesuch nach Addis Abeba und ließ sich feiern wie ein Held. Nun geht es Schlag auf Schlag. Die gerade noch toten Telefonleitungen zwischen den Ländern verbinden jetzt wieder Familien, die seit Jahrzehnten voneinander abgeschnitten waren. Am Montag öffnete die eritreische Botschaft, am Mittwoch ging die Grenze auf, der erste Direktflug zwischen den Hauptstädten hob ab. Der nächste Flug folgte ihm 15 Minuten später.

Noch immer ist Eritrea eine Diktatur und der Reformer in Äthiopien erst ganz frisch im Sattel. Doch die Atmosphäre des Aufbruchs hat alle erfasst. Bis auf die, die eine Handgranate warfen. Alles ist möglich am Horn von Afrika. (engl.)

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WAS STEHT AN?

Wer zu einer "traditionellen Pressekonferenz vor der Sommerpause" einlädt, darf gewöhnlich nicht damit rechnen, von Gästen überrannt zu werden. Es sei denn, man ist Bundeskanzlerin und kann davon ausgehen, dass immer jemand kommt, egal, wozu man einlädt. "Aktuelle Themen der Innen- und Außenpolitik" stehen heute Vormittag im Haus der Bundespressekonferenz im Berliner Regierungsviertel auf dem Programm, und in normalen Zeiten wäre das für Journalisten eher eine willkommene Gelegenheit für ein Nickerchen zwischen zwei anderen Terminen.

Aber die Zeiten sind nicht normal. Zermürbende Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen, der Handelsstreit mit dem wilden Trump, der Asylstreit mit dem wilden Seehofer, schwindende Zustimmung in der Bevölkerung für ihre Politik, und im benachbarten Frankreich ein junger Mann, der so unfassbar dynamisch ist, alles viel besser kann und immer schon da ist, wenn sie selbst irgendwo ein Thema platzieren will: Angela Merkel hat wahrlich keine leichten Monate hinter sich. Ihre "traditionelle Pressekonferenz" könnte heute also untraditionell spannend werden. Deshalb geht unser Parlamentsreporter Jonas Schaible dorthin und wird Augen und Ohren offen halten, um Sie umfassend zu informieren.

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"Lösche das Video von deinem Handy", befahl der Minister per SMS. "Das darf an niemanden durchsickern." Sein Untergebener – Unterhändler in einer hochbrisanten Angelegenheit – gehorchte sofort. "Diebe, alle miteinander", sagte er über die, mit denen er verhandeln musste. Regierungen in Europa und den USA sprachen von Terroristen. Trotzdem bereitete der Unterhändler einen unglaublichen Transport vor: eine Milliarde Dollar, in bar, in Säcken, angeliefert per Charterflug. Das Video mit der Geisel hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Als die Maschine aufsetzte, geriet die Lage außer Kontrolle: Schwerbewaffnete Soldaten erzwangen die Herausgabe der Säcke und verschwanden. Mit einer Milliarde Dollar. Es herrschte Panik.

An thrillertauglichen Szenen herrscht kein Mangel in dem Drama, das sich von Dezember 2015 über 16 Monate lang im südlichen Irak, in Katar und in Bagdad abgespielt hat und das jetzt neue Sprengkraft entfaltet: Eine Jagdgesellschaft der königlichen Familie Katars hatte alle Warnungen in den Wind geschlagen und war zur Falkenjagd in die leeren Weiten des Südirak aufgebrochen. Dort wurde sie selbst zur Beute proiranischer Milizen.

Der Poker um die Geiseln, die ohne Kontakt zur Außenwelt in fensterlosen Kellerlöchern festgehalten wurden, mündete in einem komplexen Deal. Teil davon: das höchste Lösegeld aller Zeiten – möglicherweise. Katar bestreitet energisch, einen Milliardenbetrag an Terrororganisationen gezahlt zu haben. Die Regierung beharrt darauf, die mysteriösen Bewaffneten auf dem Rollfeld hätten auf Geheiß des irakischen Premiers gehandelt, und das Geld sei dort jetzt bei der Zentralbank "hinterlegt". Die Feinde Katars, eine Allianz unter Führung Saudi-Arabiens, prangern das Land jedoch als Terrorunterstützer an. Sie haben die SMS-Nachrichten zwischen dem katarischen Außenminister und seinem Unterhändler abgefangen, durchsickern lassen – und nun mit Tonaufnahmen nachgelegt. Der Thriller am Golf wird immer dubioser. (engl.)

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WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Sie sehen lange, viel zu lange harmlos aus. Sie schleichen sich heran. "Sneaker waves" nennt man die Wellen, die gar nicht viel anders aussehen als all die anderen, bis sie plötzlich an den Strand schießen wie eine Flut. Es gibt sie an allen großen Meeren, oft sind gefährdete Orte bekannt, aber die Warnschilder (wenn es sie denn gibt) werden nicht immer ernst genommen. Ich möchte Ihnen deshalb zwei Videos solcher Zwischenfälle zeigen. Niemand ist dabei zu Tode gekommen, aber die Gefahr ist mit den Händen zu greifen. Kinder, Erwachsene, Hunde vergnügten sich am Strand in Oregonbis die Situation innerhalb von Sekunden umschlug. In Frankreich machte ein älteres Ehepaar an einem stürmischen Tag ein paar Schritte an den Strand. Ohne einen jüngeren Besucher, der ihnen zu Hilfe kam, wären es ihre letzten gewesen. Wenn Sie diese Szenen gesehen haben, lassen Sie bei unruhiger See das Wasser bestimmt nicht mehr aus den Augen. Und achten auf die Schilder. So soll es ja auch sein.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Seit elf Monaten schreibe ich nun den Tagesanbruch, und das ist trotz mancher kurzer Nächte eigentlich jedes Mal ein Vergnügen. Das liegt allerdings nicht an mir. Sondern an Ihnen. Meinen lieben Leserinnen und Lesern, die mir die Treue halten, auch wenn sie mal mit einem Kommentar oder einer Formulierung nicht einverstanden sind. Die mir in den vergangenen Wochen ungezählte E-Mails geschrieben haben – manche kritische und viele sehr nette. Darüber freue ich mich jeden Morgen. Und dafür möchte ich einfach mal … Sie ahnen es.

Ich wünsche Ihnen einen frohen Freitag und ein entspanntes Wochenende. Bitte halten Sie auch meinen beiden Stellvertretern Rüdiger Schmitz-Normann und Jan Hollitzer die Treue, die in den kommenden drei Wochen den Tagesanbruch schreiben. Und schauen Sie gern regelmäßig auf unserer Homepage vorbei, wo meine mehr als 70 Kolleginnen und Kollegen jeden Tag spannende Artikel und Videos zum Geschehen in Deutschland und der Welt veröffentlichen. Von mir lesen Sie dann wieder am 13. August.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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