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Tagesanbruch: Keine Waffen für die Saudis


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

29.08.2018Lesedauer: 8 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Nach einem Luftangriff im JemenVergrößern des Bildes
Nach einem Luftangriff im Jemen (Quelle: Hani Al-Ansi/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Die Bilder lassen uns nicht los. Am Frühstückstisch, im Büro, in der S-Bahn: Überall sprechen die Leute über Chemnitz. Die Krawalle nach der Tötung eines jungen Mannes, Angriffe auf Polizisten, Hetzjagden auf Ausländer, herausgebrüllter Hass mitten auf der Straße. Das erinnert viele Menschen nicht von ungefähr an die Pogrome in Rostock, Mölln und Solingen in den Neunzigerjahren.

Was heute aber anders ist als damals, das ist die perfide Professionalität, mit der Rechtsextreme und Populisten gegen Migranten hetzen, mit der sie Lügen und Klischees in die Welt setzen und damit zigtausend Menschen erreichen: auf Facebook und in Internetforen, aber zum Beispiel auch mittels eines geschmacklosen Protestbanners, wie meine Kollegin Sarah Thust zeigt.

Die AfD spielt dabei ein doppeltes Spiel. Parteioffizielle beteuerten, mit den Neonazi-Krawallen nichts zu tun haben zu wollen – gossen aber durch Solidaritätsbekundungen und das Verbreiten von Gerüchten Öl ins Feuer. In Chemnitz marschierten AfD-Mitglieder Seite an Seite mit militanten Neonazis. Das sollte jeder wissen, der diese Partei unterstützt. Mein Kollege Jonas Mueller-Töwe hat die Fakten zum Geschehen in Chemnitz zusammengetragen.

Und mein Kollege Lars Wienand hat mit dem RTL-Reporter gesprochen, hinter dem während einer Live-Schalte in Chemnitz plötzlich ein Mann auftauchte, der den Hitlergruß zeigte.

Es ist wichtig, dass wir solche Entwicklungen, solche Szenen nicht einfach hinnehmen und dann wieder in unseren Alltag am Küchentisch oder im Büro zurückkehren. Wir sollten laut und deutlich unsere Stimme erheben und sagen, dass dies abscheulich und inakzeptabel ist, dass wir es als Bürger dieses Landes nicht dulden. Finde ich. Aber ich bin nur eine Stimme unter vielen. Deshalb habe ich einige Kollegen aus anderen Medien gebeten, knapp aufzuschreiben, was Ihnen angesichts der Bilder aus Chemnitz durch den Kopf geht. Hier sind ihre Antworten:

"Ich glaube, es geht inzwischen um ein größeres Problem – und das heißt Staatsversagen. Beispiele? Bitte: Rechtsradikale, die ihre Gewalt auf offener Straße ausleben (Chemnitz); Behörden, die sich über den Beschluss eines Gerichts hinwegsetzen (Bochum); die Unfähigkeit, einen Flughafen zu bauen (Berlin). Um nicht missverstanden zu werden: Deutschland ist eines der lebenswertesten Länder – und Milliarden Menschen sehnen sich nach unseren Problemen. Aber wenn das Grundvertrauen in Justiz und Verwaltung weitere Haarrisse bekommt, fürchte ich, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft über ganz andere Themen diskutieren. Das sollten wir verhindern."

"Einen quälend langen Moment konnten Nazis eine Großstadt dominieren. Resignation ist jetzt aber so falsch wie Sachsen-Witze, die zu nichts führen als ein paar Twitter-Likes. Dieses wunderbare Bundesland mit all seiner Kultur, seiner demokratischen Tradition und seinem Aufbruchsgeist gehört nicht den Rechten. Um Sachsen muss man kämpfen: um die Straßen, die Schulen, um Liberalität in den Köpfen. Chemnitz bewirbt sich als Europäische Kulturhauptstadt 2025. Auf der Bewerbungs-Homepage steht: 'Chemnitz ist, was wir daraus machen.' Richtig. Und so ist es auch mit Sachsen."

Marc Felix Serrao, Leiter des Berliner Büros der "Neuen Zürcher Zeitung", schreibt:

"Eine bürgerliche Gesellschaft darf solche Exzesse nicht dulden. Wer meint, auf Menschenjagd gehen zu können, stellt sich ins Abseits. Wer Fremde aufgrund ihrer Hautfarbe bedroht und schlägt, verteidigt nicht die Heimat oder Frauen oder wen oder was auch immer. Er überschreitet die Grenze zur Barbarei. Solchen Leuten darf man kein Verständnis entgegenbringen, und man darf ihr Tun nicht rechtfertigen. Man muss sie ächten.

Ein Teil der deutschen Öffentlichkeit hat auf die Ereignisse in Chemnitz aber auf eine Weise reagiert, die selbst extrem ist. So steht für viele linke Politiker und Publizisten fest, dass in Chemnitz 'Nazis' unterwegs waren. Und nicht nur dort. Der Freistaat Sachsen wird von ihnen als Hort von Nazis dargestellt. Als Begründung heißt es, dass die Gewalt der Extremisten von vielen Bürgern dort stillschweigend geduldet werde. Andere verweisen auf die AfD, die in Sachsen bei der Bundestagswahl mit 27 Prozent das stärkste Ergebnis aller Parteien erzielt hat. Beides ist zutreffend, aber es ist keine Legitimation dafür, eine ganze Region zu diffamieren. Was ist mit den Gegendemonstranten? Was ist mit den drei Vierteln der sächsischen Wähler, die der AfD nicht ihre Stimme gegeben haben? … Die demokratische Mitte der Gesellschaft muss sich die Fähigkeit zu differenzieren bewahren. Die Gewalttäter gilt es zu ächten. Alle anderen gilt es zu überzeugen."

"In diesem Land hat sich mehr als nur ein bisschen was verschoben. Und das Dramatische ist, dass die Auswüchse von Gewalt gegen Menschen und die Verachtung demokratischer Strukturen nicht überraschend kommen. Immer wieder hat es Gewaltausbrüche gegeben, und immer wieder gab es Politiker, die das nicht wahrhaben wollten. Zivilcourage ist wichtig, aber noch wichtiger wird die Frage sein, ob der demokratisch organisierte Staat jetzt stark und entschlossen genug ist, sich seiner Gegner zu erwehren. Nicht nur, aber auch mit einer Polizei, die den öffentlichen Raum für die Demokratie verteidigt."

Wahre Worte.

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Nun haben es Union und SPD also geschafft: Im Rentenstreit hat die große Koalition einen Durchbruch erzielt. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung soll schrittweise um – Achtung! – einen halben Prozentpunkt sinken. Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, profitieren ein kleines bisschen. Alle Details finden Sie hier.

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Im Tagesanbruch am vorvergangenen Wochenende unterhielten sich mein Kollege Marc Krueger und ich über die Sommerzeit. Unsere Prognose: Wenn eine große Mehrheit der EU-Bevölkerung sich in der europaweiten Umfrage für eine Abschaffung der Zeitumstellung ausspricht, dann bleibt EU-Kommission und Europaparlament gar nichts anderes übrig, als eine entsprechende Gesetzgebungsinitiative zu initiieren. Genau das ist nun offenbar geschehen. Noch ist das ein langwieriger Prozess, aber Sie können sich darauf einstellen, dass da was kommt.

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WAS STEHT AN?

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Bundeskanzlerin Merkel bricht heute zu einer Westafrikareise auf, erste Station ist der Senegal – aber ich möchte Ihnen heute von einem anderen Land erzählen.

Man könnte zynisch sein und sagen: Wenn die Menschheit nicht weiß, was sie machen soll, dann setzt sie eine Kommission ein und verfasst sie einen Bericht. Man könnte aber auch dagegenhalten: Ein Bericht zwingt zum Hinsehen. Nur kurz. Nur oberflächlich. Nur an dem Tag, an dem er der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Aber was würde sonst passieren? Nichts würde passieren. Wir hätten vergessen, woran uns der Bericht erinnert. Zu viel zu tun. Mit anderem beschäftigt. Wir würden wohl schweigen.

Holen wir also kurz Luft für den folgenden Satz: Eine vom UN-Hochkommissariat für Menschenrechte eingesetzte Expertengruppe hat ihren 41-seitigen Bericht über mögliche Kriegsverbrechen der Konfliktparteien im Jemen vorgelegt. Sind Sie noch da? Sind Sie betroffen? Nun, dann wollen wir es anders probieren. Stellen Sie sich bitte vor, Sie sind auf dem Weg zum Einkaufen und hören ein Geräusch in der Luft. Gerade sehen Sie sich um, da folgt ein ohrenbetäubender Knall: Qualm, Staub, Steine und Metall wirbeln durch die Luft. Man sieht nichts, Schreie sind zu hören. Eine Fliegerbombe. Leute laufen hin, versuchen Verletzte aus dem Chaos zu ziehen, andere wollen die Flammen löschen, ein Krankenwagen kommt an, dann ein zweiter. In diesem Moment fällt die zweite Bombe. Auf denselben Platz.

"Double Tap" nennt man das, "doppeltes Klopfen": eine Bombe gefolgt von einer zweiten, die Retter und Helfer tötet. Das ist nur eines der Kriegsverbrechen, die im Jemen begangen werden. Die Fliegerbomben sind jedoch das tödlichste Werkzeug bei der Vernichtung von Unschuldigen. Sie fallen auf Wohngebiete, auf Märkte, auf Beerdigungen und Hochzeiten, auf Gefangenenlager, selbst auf Fischerboote. Und auf Krankenhäuser.

Sie können sich vielleicht ausmalen, was passiert, wenn eine Explosion den Trakt eines Krankenhauses zerfetzt. Das Chaos, die Panik, die Wunden. Man würde die Opfer ins Krankenaus bringen, aber da sind sie ja schon. Nur dass man ihnen dort nicht mehr helfen kann. Die Bomben, die das anrichten, werden von einer Koalition geworfen, die von Saudi-Arabien angeführt wird. Man würde gerne sagen, dass auf der anderen Seite des Konflikts tapfer die Guten kämpfen, aber nichts wäre von der Wahrheit weiter entfernt. Die vermeintlichen "Guten" schicken Kinder in den Krieg – einige ihrer Kämpfer würden bei uns in die zweite Klasse gehen. Menschen verschwinden, manche für immer. Man hört von Folter. Auf allen Seiten. Den Koalitionstruppen werden Vergewaltigungen von Flüchtlingen vorgeworfen, Frauen wie Männern. Und die Liste der Verbrechen ist noch lange nicht zu Ende.

Machen wir uns nichts vor: Wir haben keine Möglichkeit, dem rasch ein Ende zu setzen. Aber wir müssen uns die Frage gefallen lassen, ob unsere Regierungen den Druck auf die beteiligten Staaten ausüben, zu dem sie fähig wären. Ob wir verantworten können, dass auch nur eine einzige Patrone in die Region geliefert wird. Denn wir wissen, wen wir da beliefern. Es steht in dem neuen Bericht.

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"Das Schweigen des Löw" könnte fast ein Filmtitel sein, so lange dauert es schon an. Heute hat es endlich ein Ende: Ab 12 Uhr will der Bundestrainer seine Analyse des deutschen WM-Debakels präsentieren. Die Aufgabe könnte größer nicht sein. Löw muss nicht nur gute Argumente liefern, sondern auch eine ganze Nation wieder von ihren besten Fußballern überzeugen. Da wird es wohl um deutsche Fußballtugenden wie Kampfgeist und Leidenschaft gehen, aber sicher auch ums kickende Personal. Wer, wie, was? Mein Kollege Luis Reiß gibt Ihnen für den Morgen schon mal einen Vorab-Überblick.

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Ach so, ach ja, und dann ist heute auch ein Jahrestag: 125 Jahre ist es her, seit ein gewisser Whitcomb Leonard Judson ein Patent auf eine Erfindung erhielt, die, das darf ich wohl so sagen, nicht nur einen ganzen Wirtschaftszweig, sondern auch den Alltag von Millionen Menschen zumindest ein kleines bisschen revolutionierte. Geht jedenfalls seither alles schneller morgens beim Anziehen, abends beim Ausziehen und natürlich auch, wenn man seine/n Auserwählte/n auszieht.

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WAS LESEN?

Ist ja derzeit wieder mal viel von Migration die Rede. Einwanderern, die den deutschen Pass erhalten möchten, werden grundlegende Sprachkenntnisse und Wissen über unseren Staat abverlangt. Das ist sinnvoll – aber einfach ist es nicht immer. Oder könnten Sie alle Fragen des Einbürgerungstests beantworten? Versuchen Sie’s doch mal!

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Haben Sie mal die Rolling Stones live gesehen? Okay. Udo Lindenberg auf dem Höhepunkt seines Schaffens, die "Götterhämmerung" 1984? Okay. KISS? Nein, ich meine: KISS in Originalbesetzung? Also gut, dann sind wir schon zwei. Aber hey, waren Sie auch in Woodstock? Waren Sie einer von mehr als 400.000 Hippies, die im August 1969 auf dem Gelände einer Farm im US-Bundesstaat New York Musik, Freiheit und Liebe feierten, haben Sie Jimi Hendrix, Janis Joplin, Grateful Dead gelauscht? Okay, ich gebe zu: Jetzt muss ich passen. Aber dafür weiß ich, was heute an dem Ort zu sehen ist. Er wird nämlich gerade von Archäologen untersucht. Genau, so richtig mit Metalldetektoren und Sieben. Warum? Das erzählt Ihnen meine Kollegin Angelika Franz.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Heute zeige ich Ihnen einfach mal eine neuartige ... Tür. Wie bitte? Ja. Eine Tür. Ist nicht ganz dasselbe Niveau wie die Erfindung des Reißverschlusses – aber es geht in die richtige Richtung. Über den praktischen Nutzwert muss ich noch ein bisschen nachdenken, aber die Nachbarn werden jedenfalls blass vor Neid. Also Vorhang – ach nee – Tür auf!

Ich wünsche Ihnen einen Tag voll neuer Einblicke.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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