t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikTagesanbruch

Tagesanbruch: DFB, Politik, Medien – Scheinheiligkeit, wohin man schaut


Was heute wichtig ist
Scheinheiligkeit, wohin man schaut

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 03.04.2019Lesedauer: 5 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Reinhard Grindel, Angela Merkel.Vergrößern des Bildes
Reinhard Grindel, Angela Merkel. (Quelle: Reuters-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Wo der Schein hinfällt, da wird es hell. Aber kommt auch noch Heiligkeit hinzu, wird es grell. In diesen Tagen erleben wir Sternstunden der Scheinheiligkeit. Da ist zum einen Herr Grindel, der im Deutschen Fußball-Bund Aufbruch und Transparenz predigte, aber Extrahonorare von fast 80.000 Euro verschwieg und sich von einem ukrainischen Oligarchen eine Luxus-Uhr kredenzen ließ. Der es gestern nach seinem erzwungenen Rücktritt für eine gute Idee hielt, diesen Satz zu sagen: "Ich kann es mir nur so erklären, dass ich zutiefst davon überzeugt war, dass ich nichts Unrechtes tue und im Stress des Amtes einfach zu wenig hinterfragt habe." Amen.

Da sind zum zweiten eine Kanzlerin, viele Bundesminister und noch mehr Bundestagsabgeordnete, die Lobeshymnen auf eine 16-jährige Klimaschutzaktivistin aus Schweden singen und deren Schulstreik preisen – aber, sobald die Mikrofone und Kameras ausgeschaltet sind, weiter an ihrer ambitionslosen Klimapolitik herumdoktern.

Da sind zum dritten die Digitalstrategen der Bundesregierung wie Staatsministerin Dorothee Bär, die alle naselang erzählen, wie doof sie Facebooks Angriffe auf den Datenschutz finden – und im nächsten Atemzug stolz Selfies mit Herrn Zuckerberg verbreiten. Natürlich auf Instagram, das ebenfalls Herrn Zuckerberg gehört. Eine so fröhliche Skrupellosigkeit erfordert ein gehöriges Maß an Selbstverleugnung.

Und da sind viertens Zeitungsverlage, deren Manager kaum eine Gelegenheit auslassen, auf Digitalkonzerne wie Facebook zu schimpfen, weil die ihr Geschäftsmodell zerstören – aber artig die Hand aufhalten, wenn Herr Zuckerberg ein paar Silberlinge rüberschiebt. "Facebook überweist 2 Millionen Euro Lokalzeitungsentwicklungshilfe nach Deutschland – ein Teil der angekündigten 300-Millionen-Initiative", meldete der Mediendienst Turi2 gestern. "13 deutsche Verlage nehmen das Angebot an, unter ihnen die "Rheinische Post", Funke, DuMont und Ippen." Die Kunst, Gegner zu Gefolgsleuten umzupolen, beherrscht Herr Zuckerberg aus dem Effeff. Daran dürfen wir uns erinnern, wenn wir den nächsten Leitartikel zu einem Digitalthema aus einem dieser Verlagshäuser aufgetischt bekommen.

Nun muss man nicht jedes Wort, jedes Bild und jede Geschäftsentscheidung auf die Goldwaage legen. Aber Amts- und Verantwortungsträger sollten sich schon bewusst sein, dass sie eine Vorbildfunktion haben. Wer Hü sagt, aber Hott macht, verliert seine Glaubwürdigkeit. Da unterscheidet sich der Fußball nicht von der Politik und von der Medienwelt. "Wenn jeder Scheinheilige wie eine 60-Watt-Birne leuchten würde, könnte man nachts nicht mehr ohne Augenbinde schlafen", hat der Lyriker Wolfgang J. Reus geschrieben. So gesehen ist es in diesen Tagen viel zu hell.


Vielleicht habe ich das Hin und Her um den Brexit die ganze Zeit falsch verstanden. Ich dachte, es gehe um die politische Zukunft Großbritanniens. Tatsächlich werden wir Zeugen einer dramatischen Talfahrt beim Riesenslalom. Gestern Abend hat Theresa May eine besonders scharfe Wendung vollführt: Sie bot der Labour-Opposition an, in gemeinsamen Gesprächen eine Vorstellung vom künftigen Verhältnis zur EU zu entwickeln und das Ergebnis verbindlich zu vereinbaren. Im Gegenzug möge Labour aber bitte dem Austrittsabkommen zustimmen, das Frau May mit der EU ausgehandelt hat und das schon dreimal im Parlament durchgefallen ist. Für diesen Deal möchte sie die EU noch mal um mehr Zeit bitten: bis knapp vor der Wahl des Europaparlaments im Mai.

Soso, denken Sie jetzt vermutlich, mal wieder eine allerallerletzte Verlängerung? Hatten wir das nicht schon alles? Ja, hatten wir, aber diesmal ist tatsächlich das Ende in Sicht. Denn, und das ist entscheidend: Großbritannien wird bei dieser Lösung an der Europawahl nicht mehr teilnehmen können. Die Vorbereitungen dazu müssten sonst in Kürze beginnen. Ohne bei den Wahlen mitzumachen, darf Großbritannien aber nicht in der EU bleiben, sonst wird die Legitimität des EU-Parlaments rechtlich anfechtbar – und damit sämtliche Beschlüsse, die es fasst. Dieses Risiko will in der EU niemand eingehen. Für eine neue Volksabstimmung über den Brexit ist bis dahin ebenfalls nicht mehr genug Zeit. Der britische Austritt, ob mit oder ohne Abkommen, ist damit in Stein gemeißelt.

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

Aber selbst wenn Frau May und Labour-Chef Corbyn sich einigen: Die Opposition hat ihre Abgeordneten genauso wenig im Griff wie die Konservativen. Weshalb also sollte das Abkommen in einer vierten Abstimmung endlich die ersehnte Mehrheit finden? Gut, ich wage eine Prognose: Jetzt, wo der Brexit nicht mehr abzuwenden und ein weiterer Aufschub nicht mehr möglich ist, wird kurz vor Ablauf der letzten Frist eine knappe Mehrheit der Abgeordneten über ihren langen Schatten springen. Denn es gibt nur noch die Wahl zwischen a) Mays Plan und b) einem brutalen Ausstieg ohne jede Vereinbarung. Alles andere ist vom Tisch. Die Hardliner unter den Brexit-Befürwortern wird das nicht beeindrucken – aber alle anderen Abgeordneten schon. Sie werden das kleinere Übel über die Ziellinie bringen. Bis dahin werden wir im Riesenslalom noch viele scharfe Wendungen erleben, aber am Ende behielte ich bitte gerne Recht. Und falls meine Prognose nicht stimmt, rast Großbritannien nicht nur aus der Kurve, sondern vor die Wand.


WAS STEHT AN?

Die Außenminister der Nato-Staaten feiern heute in Washington den 70. Jahrestag der Gründung des Militärbündnisses. Für Deutschland darf Heiko Maas mitfeiern. Ob ihm nach der Begrüßungsrede noch zum Feiern zumute sein wird, darf aber bezweifelt werden: Die deutsche Weigerung, endlich mehr Geld für Verteidigung auszugeben, bringt nicht nur Herrn Trump auf die Palme, sondern verärgert inzwischen auch immer mehr US-Kongressabgeordnete.


"Blühende Landschaften" prognostizierte Helmut Kohl einst in Ostdeutschland. Das klang fast nach dem himmlischen Jerusalem. Nun hat sich in den neuen Bundesländern enorm viel getan, aber niemand würde behaupten, dass alles in Butter ist. Auch die Ministerpräsidenten der Ostländer nicht. Heute treffen sie sich im thüringischen Neudietendorf mit der Bundeskanzlerin, um ihr zu erklären, dass sie noch jede Menge Geld brauchen, um die Landschaften allerorten zum Blühen zu bringen. Von Angela Merkel weiß man, dass sie solche Termine schätzt wie der Teufel das Weihwasser, aber da muss sie durch. Immerhin, die Lokalität passt: Zinzendorfhaus, Konferenzraum "Himmlisches Jerusalem".

Loading...
Loading...
Loading...
Täglich mehr wissen

Abonnieren Sie kostenlos den kommentierten Überblick über die Themen, die Deutschland bewegen. Datenschutzhinweis


Bundesweit wird heute auf Straßen geblitzt. Gut also, wenn man Bescheid weiß, in welchen Ländern die Radarfallen stehen. Noch besser, wenn man immer das Tempo einhält. Ist für alle Beteiligten gesünder.


WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Die Bundesanstalt für Risikobewertung muss man nicht kennen, aber wenn ich Ihnen verrate, dass die Behörde gestern höchstrichterlich dazu verdonnert wurde, 14.000 Bürgern ein vier Jahre altes Papier zu schicken, fragen Sie sich vielleicht: Ist ja ein Ding, weshalb denn das? Deshalb: Weil das Papier ein Gutachten zum Krebsrisiko von Glyphosat ist, gegen dessen Veröffentlichung sich die Behörde bisher mit Händen und Füßen gewehrt hat. Nun muss sie das brisante Dokument doch rausrücken. Mein Kollege Lars Wienand hat die Details.


Stellen Sie sich vor: Sie sind auf einer Veranstaltung und kennen dort niemanden weit und breit. In der Pause bilden sich Grüppchen, begrüßen sich Leute, "lange nicht gesehen!" – aber Sie sind außen vor. Manchen von uns ist das egal. Andere haben ein Talent dafür, mit Fremden ins Gespräch zu kommen. Aber das ist nicht jedem gegeben. Es gibt genug Menschen unter uns, für die es der blanke Horror ist, in einer fremden Gruppe einsam und verlassen herumzustehen. Dabei könnte ein kleiner Akt der Solidarität sofort helfen – getreu der "Pacman-Methode": Wenn man in einer Gruppe zusammensteht, lässt man den Kreis an einer Seite einfach ein bisschen offen. Für die, die sich ganz unverbindlich mal dazugesellen wollen. Ein simpler Trick, aber womöglich für viele Menschen eine große Erleichterung.


WAS AMÜSIERT MICH?

Ach ja, der Herr Grindel. Der weiß halt Bescheid. Der kennt seine Vorgänger, der kann rechnen und der weiß, was gut für ihn ist. Weiß auch unser Experte Mario Lars:

Ich wünsche Ihnen einen ertragreichen Tag.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

Den täglichen Newsletter von Florian Harms hier abonnieren.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website