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Tagesanbruch: Steigende Mietpreise – ab jetzt wird jeder enteignet, der nervt!


Was heute wichtig ist
Ab jetzt wird jeder enteignet, der uns nervt!

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 08.04.2019Lesedauer: 5 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Demonstration gegen steigende Mieten in Berlin.Vergrößern des Bildes
Demonstration gegen steigende Mieten in Berlin. (Quelle: dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Das war ein denkwürdiger Aufmarsch: Zehntausende Menschen haben am Wochenende gegen steigende Mieten protestiert. In Berlin begann gleichzeitig ein Volksbegehren zur Enteignung großer Wohnungskonzerne. Ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik. Er verdeutlicht, wie groß das Problem in vielen Städten geworden ist: Indem die Politik das Thema Wohnen jahrelang im wahrsten Sinne links liegen ließ, hat sie den Markt den Immobilienfirmen überlassen. Das ist ungefähr so, als würde man Katzen die Gestaltung des Aquariums anvertrauen. Dementsprechend prekär ist die Lage heute. Und dementsprechend große Schlagzeilen hat die Meldung gemacht, dass auch Grünen-Chef Robert Habeck Enteignungen von Immobilienkonzernen für eine gute Idee hält.

Angesichts der enormen Beliebtheitswerte von Herrn Habeck traue ich mich nicht, ihm zu widersprechen. Der Mann wird schon wissen, was gut für uns ist. Ich bitte lediglich darum, dann aber wirklich konsequent zu sein und alle zu enteignen, die Ihr Business auf Kosten der Allgemeinheit betreiben. Die hat ja nicht nur ein Anliegen an günstigem Wohnraum, sondern auch am Schutz der Gesundheit, an einer intakten Umwelt und an einem stabilen Finanzsystem. Also starten wir bitte eine konzertierte Aktion und enteignen die Inhaber sämtlicher Fastfood-Ketten, aller großen Fluglinien und Banken, die Tabak- und Autokonzerne dito, und wo wir schon mal dabei sind bitte auch die Hersteller von Kaugummi. Deren Hinterlassenschaften im öffentlichen Raum sind nämlich echt mega nervig. Wenn schon, denn schon.

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Und wenn wir dann fertig sind und der letzte Investor Deutschland verlassen hat, könnten wir vielleicht einen Augenblick lang darüber nachdenken, wie wir den populistischen Quatsch künftig sein lassen und anfangen, eine wirklich kluge, nachhaltige Wohnungspolitik zu machen, die Bauherren und Investoren klare Vorgaben macht, ohne sie zu verprellen. Eine effektive Mietpreisbremse und Vorschriften für Wohnungsgrößen könnten ebenso dazugehören wie ein groß angelegtes Sozialwohnungsbauprogramm. Das würde allerdings erfordern, dass Politiker, die jahrelang kommunale Wohnungen an meistbietende Geschäftemacher verscherbelt haben, radikal umdenken. Aber denken soll ja helfen.

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WAS STEHT AN?

Die Menschheit habe aus den Massenmorden des Zweitens Weltkriegs gelernt, dachte man. Doch unser Gedächtnis ist überraschend kurz, und die Bereitschaft, alles zu tun, um Grausamkeiten an jedem Ort dieser Erde zu verhindern, ist geringer, als es Staatenlenker gerne beteuern. Als vor 25 Jahren alarmierende Nachrichten aus Ruanda an die Weltöffentlichkeit drangen, hätte man gewarnt sein können, hätte man einschreiten können: Politiker, die gegen die Minderheit der Tutsi hetzten, Moderatoren, die im Radio Todeslisten verlasen, marodierende Mörderbanden. Aber die Vereinten Nationen beschränkten sich auf eine viel zu kleine Friedenstruppe vor Ort, nahmen die Gefahr im tiefen Afrika ebenso wenig ernst wie die Regierungen in Washington, Moskau, Europa. Dann war es zu spät: In gerade einmal hundert Tagen ermordeten Todesschwadronen der Hutu schätzungsweise 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu, erschlugen sie mit Knüppeln und Macheten. Mütter starben vor den Augen ihrer Kinder, ganze Landstriche wurden ausgerottet. Und die Welt schaute tatenlos zu.

Wenn wir uns heute an dieses Grauen erinnern, wenn wir die Gedenkveranstaltungen in Ruanda sehen, dann sollten wir uns auch dieses Versagen der Weltgemeinschaft vergegenwärtigen. Sind wir heute besser gewappnet, um Massenmorde zu verhindern? Schaue ich zu den Rohingya nach Myanmar oder in den Jemen, fällt die Antwort kurz aus: nein. Vielleicht ist das die Nachricht, die uns am heutigen Tag am meisten zu denken geben sollte.


Als Antwort auf die europäischen Reformvorschläge von Frankreichs Präsident Macron kommt aus dem Bundeskanzleramt vor allem Schweigen. Gut, dass der Bundespräsident mehr zu sagen hat. Beim Bürgerdialog im Schloss Bellevue diskutiert Frank-Walter Steinmeier heute mit deutschen und französischen Wissenschaftlern über die Vertiefung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion.


Italiens Innenminister Matteo Salvini eröffnet heute gemeinsam mit anderen Rechtspopulisten in Mailand den Europawahlkampf. Aus Deutschland ist AfD-Parteichef Jörg Meuthen dabei, daneben Olli Kotro von der Partei Die Finnen und Anders Vistisen von der Dänischen Volkspartei. Allen gemeinsam ist, dass sie ihre Kritik an der EU nicht auf konstruktive Vorschläge beschränken, was man wie verbessern sollte, um die europäischen Prozesse und Institutionen effektiver, bürgernäher und transparenter zu gestalten – sondern dass sie zum Generalangriff auf die EU blasen. “Freiheit statt Brüssel“ nennt Meuthen das. Freiheit statt Meuthen wäre mir lieber.


Die Angriffe auf die EU bereiten auch dem deutschen Mittelstand wachsende Sorgen – ebenso allerdings wie die schwerfälligen Prozesse in Europa. “Eine Politik, die die Wettbewerbsfähigkeit gefährdet und Freihandel ablehnt, nutzt kurzfristig wenigen und schadet langfristig allen“, sagt Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft im Interview mit meiner Kollegin Sabrina Manthey. “Europa muss sich weiterentwickeln. Hier meine ich eine demokratisch besser legitimierte Währungsunion, die Schaffung einer echten europäischen Verteidigungsunion und ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten, das alle Mitgliedsländer einbindet, kurz: Subsidiarität und Eigenverantwortung statt EU-Superstaat.“ Dafür hat Herr Ohoven eine bemerkenswerte Kampagne initiiert.

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Ein herzlicher Gruß geht heute an alle Tagesanbruch-Leser in Zürich. Viel Spaß beim Sächsilüüte!


WAS LESEN?

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Suchte man den Ort auf der Welt, der das Wirtschaftsleben unserer Zeit am stärksten geprägt hat, dann wäre es wohl das Silicon Valley. Apple, Google, Facebook: Viele der erfolgreichsten Digitalkonzerne kommen von dort. Das liegt auch daran, dass sich in diesem sonnenverwöhnten Tal in Kalifornien eine einzigartige Mischung aus kreativer Schaffenskraft, visionärer Risikobereitschaft und hemdsärmeligem Was-kostet-die-Welt-Denken entwickelt hat. Und genau dieser Geist verschwindet nun. Sagt nicht irgendwer, sondern sagt Peter Thiel, einer der erfolgreichsten Investoren im Valley, der dort Milliarden verdient hat. Den Kollegen der “Neuen Zürcher Zeitung“ hat er ein langes Interview gegeben, in dem er die Lage der digitalen Wirtschaft schonungslos hinterfragt.


Seit fast zwei Jahrzehnten arbeitet Michaela Schaffrath als erfolgreiche Schauspielerin. Die ausgebildete Kinderkrankenschwester musste in ihrer Karriere allerdings auch Krisen bewältigen, ging aus finanziellen Gründen ins "Dschungelcamp". Meine Kollegen Marc von Lüpke, Caroline Mayr und Arno Wölk haben mit Schaffrath ein kontroverses Gespräch geführt: über Gleichberechtigung, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern und die Frage, was Frauen den Männern voraus haben.


Sein letzter Text widmete sich der Musik, natürlich. Darüber konnte Werner Theurich schreiben wie kein zweiter. Opern, klassische Konzerte, Jazz, elektronische Musik: Sein Urteil kam leichtfüßig, aber entschieden daher; man durfte sich von ihm leiten lassen, und wer es tat, der lernte und entdeckte neue Klangwelten. Ich habe mich ebenso gerne von ihm leiten lassen wie ich mit ihm plauderte, diskutierte, arbeitete. Damals, Anfang der 2000er Jahre im alten “Spiegel-Online“-Gebäude in der Hamburger Verkehrsschneise, die damals noch Ost-West-Straße hieß. Ein freundlicher, galanter, umfassend gebildeter Kollege, ein Vorbild. Danke für alles, Werner, vor allem für die Musik. Ich höre dich noch immer.


WAS AMÜSIERT MICH?

Ach ja, der Brexit. Die Briten sind sich noch nicht einig, was sie wollen, lesen wir allerorten. Dabei ist es doch ganz einfach, wie unser Cartoonist Mario Lars weiß:

Ich wünsche Ihnen einen schwungvollen Start in die Woche. But mind your step.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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