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Tagesanbruch: Tod von Piëch, E-Scooter-Chaos und ein planloser Scheuer


Was heute wichtig ist
Herrschaftszeiten, welch ein Käse!

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 27.08.2019Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Herr Scheuer rollert gern.Vergrößern des Bildes
Herr Scheuer rollert gern. (Quelle: imago images)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Ein Mann wie ein Stahlträger: unbeugsam, aalglatt, immer zwischen den Fronten, ein stabiler Anker in Krisenzeiten, ein eisenharter Gegner. In einer Welt austauschbarer Unternehmenslenker war Ferdinand Piëch ein Dinosaurier. Ein Mann mit Prinzipien, selbst wenn sie archaisch anmuteten: du oder ich, Sieg oder Niederlage, schwarz oder weiß. Grautöne waren seine Sache nicht, er schätzte klare Entscheidungen, und am liebsten entschied er selbst. Ein Mann der alten Schule, galant zu den Freunden, loyal zu den Mitarbeitern des VW-Imperiums, unerbittlich zu Rivalen. Seinen zweitgrößten Machtkampf gewann er, als er Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und dessen Steigbügelhalter Holger Härter austrickste, um zu verhindern, dass sie VW schluckten. Seinen größten Machtkampf verlor er, nachdem er seinen Ziehsohn, VW-Chef Martin Winterkorn, durch eine Tuschelei abservierte und von den folgenden Turbulenzen des Abgasskandals mitgerissen wurde. Nun ist Ferdinand Piëch, dreimal verheiratet und Vater von zwölf Kindern, im Alter von 82 Jahren gestorben. “Er war der schillerndste Unternehmenslenker, den ein deutsches Unternehmen in den vergangenen fünfzig Jahren hatte", schreibt unsere Wirtschaftskolumnistin Ursula Weidenfeld in ihrem Nachruf. "Drei Dinge seien ihm wichtig, hat Piëch einmal gesagt: Volkswagen, Familie, Geld. Am Ende blieb ihm nur das Geld." Auch das ist eine Niederlage.


Herr Scheuer hatte eine super Idee: Weil viele Bürger mehr Klimaschutz verlangen, er aber kein schlüssiges Konzept für eine nachhaltige Verkehrswende hat, startete der Verkehrsminister ein Ablenkungsmanöver und rollte E-Scootern den roten Teppich aus. Deren Hersteller fanden die Idee auch sehr super, schließlich können sie mit dem Rollerverleih in Großstädten ein schönes Sümmchen verdienen und bekommen obendrein wertvolle Daten über die Nutzer geliefert. Leider hatte Herr Scheuer auch für die Rollernutzung kein schlüssiges Konzept, weshalb sich nun viele Bürger über die allerorts rumstehenden Dinger ärgern, beinahe täglich und Journalisten herausgefunden haben, dass die Ökobilanz der Scooter überhaupt nicht super ist. Schließlich brauchen sie giftige Batterien, müssen nachts eingesammelt, mit Lastwagen zu Ladestationen gefahren und anschließend wieder in den Straßen verteilt werden. Ach ja, und lange halten tun die Dinger auch nicht.

Was tun? Herr Scheuer wusste nicht so recht weiter. Also sind die Kommunen eingesprungen und haben gemeinsam mit den Rollerherstellern Darin ist von "Obergrenzen" für die Rollerzahl pro Stadtviertel die Rede und von neuen “Bonussystemen“, mit denen die Fahrer animiert werden sollen, ihre Vehikel nur noch an bestimmten Orten abzustellen. Sodann sollen sie (also die Rollerfahrer) ein Foto knipsen, dieses in einer App hochladen und so beweisen, dass sie ordnungsgemäß parkiert haben (also den Roller). Um das ordnungsgemäße Parkieren überhaupt erst zu ermöglichen, sollen in den Städten speziell ausgewiesene Parkplätze markiert werden, damit sie (also die Rollerfahrer) nicht mehr wild in der Gegend rumparken (also die Roller). In Fußgängerzonen will man eine neue technische Infrastruktur errichten, die das Tempo heranflitzender Roller per Funksignal automatisch drosselt. Obendrein sollen sowohl die Hersteller als auch die (steuerfinanzierten) Kommunen “Ansprechpartner mit entsprechender Erreichbarkeit“ abstellen, damit im Falle eines plötzlichen Rollerproblems (oder Rollerfahrerproblems) jederzeit unverzüglich eingeschritten werden kann. So, und damit auch wirklich alles seine liebe Ordnung hat, sollen auch noch sämtliche Radwege-Schilder umgerüstet und durch ein neues Zusatzzeichen namens “Elektrokleinstfahrzeuge frei“ ergänzt werden.

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Wir dürfen davon ausgehen, dass das Rollerregelungspaket gut und gerne einen mehrstelligen Millionenbetrag verschlingen wird. Wenn deutsche Behörden etwas regeln, dann regeln sie es richtig. Und wenn nach Einführung all der vielen Regeln niemand mehr Roller fährt, weil das Prozedere einfach viel zu kompliziert geworden ist, ist der Irrsinn hoffentlich vorbei. Herr Scheuer wird dann vermutlich bereits die nächste Karrierestufe erklommen haben. In der CSU scheint es ja nicht so schlimm zu sein, keinen Plan zu haben.

So, und wenn Sie sich jetzt fragen, warum ich über diesen ganzen Irrsinn so viele Zeilen verliere, füge ich abschließend hinzu, dass wir hier ein Paradebeispiel für die verkorkste Umweltpolitik der Bundesregierung vorgeführt bekommen. Herrschaftszeiten, welch ein Käse!


Was bleibt vom G7-Brimborium in Biarritz? Zumindest zwei Erkenntnisse: Ja, so ein Gipfel ist einerseits ein absurdes Spektakel. Da kommen die Mächtigen für ein paar Tage in einer Sicherheitsblase zusammen und sollen mal eben die Probleme der Welt lösen: Handelskrise, Klimakrise, Irankrise, irgendwo ist ja immer Krise. Zwar kostete das Treffen weniger als frühere Gipfel, aber mehr als 30 Millionen Euro werden es schon gewesen sein. Man neigt schnell dazu, in den Mammutkonferenzen ein ebenso überteuertes wie überschätztes Schaulaufen der Regierenden zu sehen.

Andererseits: Taucht wirklich mal ein durchsetzungsstarker, charismatischer Staatenlenker auf, der nicht nur eine Taktik, sondern auch eine Vision und eine Strategie hat, dann kann so ein Gipfel tatsächlich seinem ursprünglichen Zweck nahekommen – wie damals, als Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing bei einem guten Glas Rotwein am Kamin die Weltpolitik regelten. Emmanuel Macrons Eifer wird hierzulande oft belächelt. Wir Deutsche, an Angela Merkels stoischen Regierungsstil gewöhnt, tun uns schwer mit dem Hansdampf in Paris. Dabei bringt der Mann richtig Schwung in die Bude. Der Zwist um die Digitalsteuer entschärft, ein neuer Vermittlungsversuch im Irankonflikt, versöhnliche Töne im Handelsstreit, Geld für die Feuerwehrleute im brasilianischen Regenwald, Hilfe für den Kampf gegen Islamisten in der Sahelzone: Die Ergebnisse des G7-Treffens sind keine weltbewegenden Erfolge, aber immerhin ermutigende Initiativen (hier der Überblick). “Emmanuel Macron denkt groß“, schreibt unser Kolumnist Gerhard Spörl in seiner Analyse. “Das ist in einer Welt, in der kein Land abseits seiner Eigeninteressen Verantwortung übernimmt, fast schon ein Segen.“ Dem stimme ich zu.

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WAS STEHT AN?

In Italien naht die Stunde der Wahrheit: Ringen sich die Sozialdemokraten und die Fünf Sterne zu einer Koalition durch – oder gibt es Neuwahlen, in denen sich der Rechtspopulist Matteo Salvini Hoffnungen auf einen Erdrutschsieg machen kann? Heute könnte eine Entscheidung fallen, länger als bis Mittwochabend aber kann Staatspräsident Mattarella wohl nicht warten, dann muss er Neuwahlen ausrufen. Aus Rom hören wir, dass der sozialdemokratische Strippenzieher Matteo Renzi hohe Forderungen stellt – und dass die Fünf-Sterne-Politiker inzwischen regelrecht Angst vorm Regieren haben. Für die Stabilität dieses großen EU-Landes klingt das nicht gut.


DIE GUTE NACHRICHT

Gern wird beklagt, dass in Ostdeutschland zu wenige Bundesbehörden, Industriebetriebe und Forschungsstätten angesiedelt worden seien. So gesehen feiert Görlitz heute einen großen Erfolg: In der Stadt an der polnischen Grenze wird das Casus-Institut eröffnet, ein nigelnagelneues Wissenschaftszentrum. Biologen, Astrophysiker und andere Forscher sollen dort komplexe Umweltphänomene wie die Folgen der Klimakrise mit neuen digitalen Methoden erforschen. So könnte der Strukturwandel in der Braunkohleregion Lausitz gelingen. Stark!


WAS LESEN?

Bei den Ausschreitungen nach dem Mord in Chemnitz vor einem Jahr gab es Angriffe von Rechtsradikalen – zugleich entbrannte eine bundesweite Diskussion über die Frage, ob es auch “Hetzjagden“ auf Ausländer gab. Angela Merkels Regierungssprecher hatte den Begriff verwendet, der folgende Streit um den damaligen Verfassungsschutzchef Maaßen trieb die Bundesregierung an den Abgrund. Ermittlungen des sächsischen Landeskriminalamts liefern jetzt neue Indizien dafür, dass Rechtsextreme sich tatsächlich zur Jagd auf Ausländer verabredeten.


Wie ticken die Deutschen 30 Jahre nach dem Mauerfall, wie sehen sie das wiedervereinigte Land? Peter Förster kann uns Antworten geben. Der Pädagoge leitet die Sächsische Längsschnittstudie: Seit 32 Jahren begleiten er und seine Kollegen mehrere Bürger des Jahrgangs 1973 und befragen sie immer wieder zu ihren Einstellungen. Dabei kommt heraus: Zwar befürworten fast 90 Prozent der Befragten die Wiedervereinigung – zugleich zweifeln sie aber immer stärker daran, dass die innere Einheit bald gelingt. “Die Studie belegt zugleich, wie sich in einem dramatischen psychosozialen Prozess die ‘seltsame Stimmung‘ entwickelt und gefestigt hat, die sich auch in Wahlergebnissen und radikalem Denken äußert“, erzählte mir Professor Förster. “Dieser Prozess dauert noch an, und er kann durchaus noch härtere Züge annehmen, wenn die Politik nicht endlich gegensteuert.“ Mehr erfahren Sie hier.


Zwei Jahre nach seiner Einführung nervt der Video-Beweis immer noch viele Fußballfans: Bringt der wirklich was, macht der nicht das Spiel kaputt? Mein Kollege David Digili hat jemanden gefragt, der darauf kluge Antworten geben kann: den ehemaligen Top-Schiedsrichter Markus Merk.


WAS AMÜSIERT MICH?

Die Berliner Behörden haben schon wieder eine neue Idee, wie sie dem Mietpreiswucher den Garaus machen können. Jede Wette, dass die Immobilienmakler sofort mit einer noch besseren Idee kontern.

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Tag. Morgen schreibt mein Kollege Peter Schink den Tagesanbruch, ich bin ab Donnerstag wieder für Sie da.

Herzliche Grüße,

Ihr





Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Twitter: @FAHarms

Mit Material von dpa.

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