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EU-Gipfel: Das Treffen offenbart die Schwachstellen der EU


Was heute wichtig ist
Eine Bedrohung für Europa

MeinungVon Luis Reiß

Aktualisiert am 20.07.2020Lesedauer: 5 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Kanzlerin Merkel (v.l.), Frankreichs Präsident Macron, Schwedens Premierminister Löfven und Finnlands Premierministerin Marin beim EU-Sondergipfel.Vergrößern des Bildes
Kanzlerin Merkel (v.l.), Frankreichs Präsident Macron, Schwedens Premierminister Löfven und Finnlands Premierministerin Marin beim EU-Sondergipfel. (Quelle: ap)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

heute vertrete ich an dieser Stelle Florian Harms – und liefere Ihnen den kommentierten Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

► "Ich weiß nicht, warum er mich hasst." (Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban über seinen niederländischen Kollegen Mark Rutte)

► "Europa wird erpresst." (Italiens Premierminister Giuseppe Conte)

► "Ich habe selten in so vielen Punkten so diametral entgegengesetzte Positionen gesehen." (Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel)

Die drei Zitate zeigen, in welchem Tonfall der EU-Sondergipfel am Wochenende geführt worden ist und wie sehr die Nerven blank lagen. Eine Diskussion unter gleichgesinnten Partnern? Eher nicht. In dramatischen Verhandlungen ging es um die Verteilung von mehr als 1,8 Billionen Euro für den EU-Finanzrahmen der kommenden sieben Jahre sowie einen Wiederaufbaufonds gegen die Folgen der Corona-Krise.

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Geplant waren zwei Tage, nun gibt es auch nach drei Verhandlungstagen noch kein Ergebnis. Ein Scheitern ist möglich. Die Gespräche dauerten die ganze Nacht an. Unabhängig vom Ausgang sagt der Verlauf des Gipfels viel über den Zustand der EU aus.

Gestritten wurde seit Freitag vor allem über zwei Punkte.

Im Mittelpunkt standen die Forderungen der "sparsamen Vier" (Niederlande, Schweden, Dänemark und Österreich), unterstützt auch von Finnland. Sie wollten weniger in den Corona-Fonds einzahlen und verhindern, dass die Hilfsgelder größtenteils als Zuschüsse verteilt werden – also später von Empfängern wie Italien und Spanien nicht zurückgezahlt werden müssen.

Ein weiterer Streitpunkt war der Rechtsstaatsmechanismus. Er sollte schriftlich fixieren, was eigentlich selbstverständlich ist: Wer künftig EU-Geld will, muss sich an die rechtsstaatlichen Grundsätze halten, also zum Beispiel eine unabhängige Justiz haben oder Pressefreiheit garantieren. Vor allem Ungarn und Polen, die über diese Themen schon länger mit der EU und anderen Mitgliedsstaaten streiten, waren vehement dagegen.

Beide Gruppen verhandelten tagelang unerbittlich für ihre Interessen und waren kaum zu Zugeständnissen bereit. Es deutet sich an, dass beide damit erfolgreich sein könnten.

Nun könnte man sagen: So ist das eben, wenn 27 Staaten verhandeln und versuchen, ihre Interessen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Da gleicht jede Einigung einem Wunder. Doch es zeigen sich gefährliche Muster, die den Prinzipien der Union widersprechen. Das betrifft zum Beispiel...

Solidarität. Immer mehr Mitgliedsstaaten suchen vor allem ihren eigenen Vorteil, wollen dafür aber möglichst wenig zahlen und keine Regeln befolgen. Der Konflikt zwischen den reichen Nord-Ländern und dem finanziell notleidenden Süden der EU wird bei nächster Gelegenheit wieder aufbrechen. Der Ausgleich der wirtschaftlichen Interessen wird immer schwieriger – und die Hilfsbereitschaft kleiner.

Rechtstreue. In Ungarn und Polen werden Demokratie und Rechtsstaat ausgehöhlt. Alle Anstrengungen der EU dagegen verpuffen bislang. Ein fundamentaler Grundsatz der Union, wie das Bekenntnis zu einer unabhängigen Justiz, ist plötzlich sogar verhandelbar. Eine Lösung ist auch hier kurzfristig nicht in Sicht.

Fähigkeit zum Kompromiss. Hart und teilweise tagelang wurde bei EU-Gipfeln schon immer verhandelt, vor allem dann, wenn es um viel Geld ging. Doch dass Staatschefs nun nach Verhandlungen öffentlich von Erpressung und Hass sprechen, ist besorgniserregend und hat eine andere Qualität.

Hinzu kommt: Beim Gipfel hat auch die deutsch-französische Führung nicht funktioniert. Der ursprüngliche Vorschlag für den Corona-Hilfsfonds von Merkel und Macron wurde von den "Sparsamen" auch deshalb torpediert, weil sie sich übergangen fühlten. Ohne von allen respektierte Anführer droht die EU auch künftig noch mehr in verschiedene Lager zu zerfallen.

Das größte Problem scheint aber das Fehlen einer gemeinsamen Vision für Europa zu sein. Eigentlich sollte die EU doch viel mehr sein als nur eine Zweckehe. Sie steht für Frieden, Freiheit, offene Grenzen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – und hat den Wohlstand insgesamt vergrößert. Europa könnte sich den USA, China und Russland gegenüber nicht nur als Kontinent der kulturellen Vielfalt positionieren, sondern auch als Klimavorreiter.

Ohne einen Hauch von Gemeinschaft ist das alles aber nicht möglich. Anstatt sie zu vereinen, hat die Corona-Krise die Mitgliedsländer offenbar noch weiter auseinandergetrieben. Bei geschlossenen Grenzen versuchte jedes Land für sich die Pandemie zu bekämpfen – mit den täglichen Infektionszahlen als Zeugnis. Das Muster setzt sich auch bei der wirtschaftlichen Bekämpfung der Krise fort. Und bedroht den Kern der EU und Europa.

WAS STEHT AN?

Knapp zwei Milliarden Euro sind verschwunden. Der frühere Konzernchef wurde zwischenzeitlich verhaftet, ein Ex-Manager hat sich offenbar nach Weißrussland oder Russland abgesetzt – und damit für Spekulationen über eine Zusammenarbeit mit dem russischen Geheimdienst GRU gesorgt.

Es wird noch brisanter: Die Bundesregierung soll sich international noch für das Unternehmen eingesetzt haben, als sie längst von Ermittlungen der Finanzaufsicht wusste. Als Vermittler soll Ex-Minister und CSU-Hoffnungsträger Karl-Theodor zu Guttenberg fungiert haben.

Nein, das ist kein Hollywood-Thriller, sondern einer der größten Firmen-Skandale der deutschen Geschichte. Im Fall des mittlerweile insolventen Dax-Konzerns Wirecard kommen Stück für Stück neue Informationen ans Licht – aber reicht das?

Die Obleute des Finanzausschusses im Bundestag beraten heute, sie verlangen Aufklärung von der Regierung. Wer wusste wann was – und welche Unterstützung hat Wirecard genau erhalten? Eine Sondersitzung in der Sommerpause ist wahrscheinlich.


Nach Stuttgart nun auch Frankfurt am Main: Erneut ist es in einer deutschen Großstadt zu Auseinandersetzungen mit Hunderten Beteiligten gekommen. 39 Menschen wurden festgenommen, nachdem sie unter anderem Flaschen auf Polizisten geworfen hatten. Gewalt gegen Ordnungshüter wird zu einem brandgefährlichen Trend. Polizei und Stadt Frankfurt beraten heute über Konsequenzen und wollen über die Hintergründe aufklären.

WAS LESEN ODER ANSCHAUEN?

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WAS AMÜSIERT MICH?

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Morgen schreibt an dieser Stelle wieder Florian Harms für Sie.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche!

Ihr

Luis Reiß
Chef vom Dienst t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Twitter: @reiss_luis

Mit Material von dpa.

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