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Annalena Baerbock vor erster Reise – Putin und Lukaschenko lauern bereits


Tagesanbruch
Baerbock hat einen riskanten Plan

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 09.12.2021Lesedauer: 6 Min.
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Annalena Baerbock bestieg gestern Abend einen Regierungsflieger Richtung Paris.Vergrößern des Bildes
Annalena Baerbock bestieg gestern Abend einen Regierungsflieger Richtung Paris. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa-bilder)

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Deutschlands neuer Kurs

Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. Oder sie. Annalena Baerbock hat nicht mal Zeit, sich daran zu gewöhnen, in welchem Stockwerk des Auswärtigen Amtes sie aus dem Paternoster steigen muss, und schon ist sie wieder weg. Gestern Abend saß sie im Flieger nach Paris, heute geht es weiter nach Brüssel, anschließend ist noch schnell Warschau dran. Wochenende in Liverpool beim Außenministertreffen der G7, Montag wieder nach Brüssel. Ihr Chef Olaf Scholz lässt auch nicht lange auf sich warten, noch diese Woche stehen ebenfalls Paris und Warschau auf dem Reiseplan, Brüssel in der nächsten.

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Nun ist es nicht so, als ob zu Hause nichts los wäre, zum Beispiel diese Sache mit dem Virus. Aber die eiligen Take-offs der Regierungsflieger demonstrieren, wie rasch Bande neu geknüpft, Absprachen getroffen, Verbündete ihres Stellenwerts versichert werden sollen. In einem vernetzten, von Exporten gut lebenden Land wie unserem ist Außenpolitik keine nachgeordnete Angelegenheit. Die europäischen Partner wollen wissen, wie die neue Regierung des größten Mitgliedsstaates sich positioniert. Und auch aus größerer Entfernung verfolgen wachsame Augen, wohin in Berlin die Reise geht.

Die Welt hat der frischgebackenen Außenministerin zum Start einen Aufgabenzettel in die Hand gedrückt, der bereits kräftig verlängert worden ist. Volles Programm, knifflige Probleme – einfache Antworten gibt es zu den meisten Themen nicht. Aktuell ganz oben auf der Agenda: An den Grenzen zur Ukraine versammelt Russland eine Armee von fast 100.000 Soldaten und Massen von schwerem Gerät. Ob dahinter nur eine Drohgebärde oder die Vorbereitung einer Invasion steckt, weiß niemand so genau. Die Ankündigung schmerzhafter Wirtschaftssanktionen soll Wladimir Putin zur Raison bringen. Dazu gehört das mögliche Aus für die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 – ein so heißes Eisen für die Ampelkoalitionäre, dass die Pipeline auf den 177 Seiten des Koalitionsvertrags mit keiner Silbe Erwähnung findet. Einerseits könnte man Herrn Putin vielleicht zum Einlenken bewegen, indem endlich russisches Gas durch die Röhre fließt. Andererseits ist Russland dann nicht mehr auf eine andere Leitung angewiesen, die durch die Ukraine – das potenzielle Kriegsgebiet – Gas nach Europa bringt (und den Rubel nach Russland). Russland bei Nord Stream 2 entgegenzukommen, könnte für die gebeutelte Ukraine Entspannung bringen, macht aber zugleich den Weg für eine Invasion erst richtig frei. Ein Dilemma? In der Tat.

Apropos schwierige Gemengelage, die gibt es nicht nur in der Ukraine. Wenn Frau Baerbock am Freitag in Warschau zur Landung ansetzt, wird sie von folgender Gesamtschau begrüßt: In Belarus missbraucht Diktator Lukaschenko Migranten als "Waffen", um Europa unter Druck zu setzen, und will sie über die polnische Grenze schicken, weshalb Warschau dringend deutsche Rückendeckung bekommen sollte. Zugleich sperrt ebendiese polnische Regierung im Grenzgebiet Hilfsorganisationen und unabhängige Berichterstatter aus. Sie will die Migranten, die es am Ende doch noch auf europäischen Boden geschafft haben, auf belarussisches Gebiet zurückzudrängen, was nach EU-Recht illegal ist. Und wo wir schon beim EU-Recht sind: Die Rechtspopulisten in Warschau untergraben fleißig den Rechtsstaat, sprechen dem Europäischen Gerichtshof die Autorität ab und scheren sich nicht besonders um die demokratischen Grundprinzipien der Gemeinschaft. Es braucht also einerseits deutsche Rückendeckung für die Polen – und andererseits knallharte Kante.

In einer komplizierten Welt braucht man einen klaren Kompass. Beobachter im Ausland haben mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass die Ampelkoalitionäre sich im Umgang mit autoritären Regimen einen konsequenteren Kurs verordnet haben. Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte waren natürlich immer irgendwie wichtig, jedenfalls solange sie den deutschen außenpolitischen Interessen nicht allzu blöd in die Quere kamen. Die Ampelleute wollen in diesen Fragen nun aber weniger biegsam sein. Das ist richtig so und verdient Applaus. Wie knifflig das allerdings in der Praxis werden kann, lassen die Tagesordnungspunkte Russland und Polen schon erahnen. Dabei sind das noch nicht einmal die härtesten Nüsse, die es zu knacken gilt.

Denn noch weiter im Osten reagiert man schon jetzt säuerlich auf die neue Tonlage in Berlin, und das ist erst der Auftakt: Gegenüber China hat die Ampelkoalition dicke Pflöcke eingeschlagen. Von der "Systemrivalität" mit dem autoritären Riesenreich ist im Koalitionsvertrag die Rede – ein Wort, das den Herren in Peking überhaupt nicht gefällt. Ein "Zusammenspiel von Dialog und Härte" kündigte Frau Baerbock bereits vor ihrem Amtsantritt an und verwies dabei auf Zwangsarbeit und andere Menschenrechtsverletzungen. "Was wir brauchen, sind Brückenbauer anstatt Mauerbauer", ätzte die chinesische Botschaft daraufhin zurück. In seiner Außenpolitik neigt Präsident Xi Jinping nicht zum vielsagenden Lächeln, sondern zum kraftstrotzenden Kung-Fu-Schlag. Wer dem Herrscher auf Maos Thron konsequent mit Menschenrechten ankommt, muss ein druckbeständiger Charakter sein. Halten die Ampelleute ihr Wort, wird die erste deutsch-chinesische Machtprobe nicht lange auf sich warten lassen.

Deutschland bringt auf der internationalen Bühne durchaus Gewicht auf die Waage. Aber im Alleingang gegen China, das wissen auch die Koalitionäre, macht die Bundesrepublik keinen Stich. Ein Kopfnicken aus Berlin geht deshalb an Joe Biden und dessen Leute, die in der Auseinandersetzung mit China die große Aufgabe ihrer Epoche sehen. Aber die Amerikaner verfolgen ihre eigenen Ziele. Das eigentliche Team, das Deutschland für diese Aufgabe braucht, wird in Europa aufgestellt. Wenn ein Wirtschaftsblock von der Größe der EU gemeinsam entschlossen auftritt, muss auch Herr Xi sich bewegen.

Es braucht also eine EU-Außenpolitik mit ethischer Standfestigkeit. Ein kurzer Blick rüber zu den Nachbarn bestätigt uns gewiss, dass beispielsweise Präsident Emmanuel Macron sich schon jetzt von ebensolchen Prinzipien leiten lässt. Von mörderischen Despoten, etwa dem saudischen Herrscher Muhammad bin Salman, hält er sich konsequent fer … Moment mal … er war gerade bei ihm zu Besuch? Freundschaftlicher Handschlag, warme Geste? So ist es. Frankreich verfolgt in seinen Außenbeziehungen eine – sagen wir es vorsichtig – pragmatische Politik.

Auf dem Weg zur ethisch fundierten, gemeinsamen Linie in der europäischen Außenpolitik hat Frau Baerbock also noch ein paar Reisen vor sich. Wenn die Bundesregierung es ernst meint, wird dem neuen Kurs auch die eine oder andere Unterschrift unter lukrative Business-Deals zum Opfer fallen. Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte gibt es nicht zum Nulltarif – und das gilt auch für die Staaten, die sie einfordern. Aber es ist verdienstvoll und die Sache wert. Ob die Koalition ihrer Linie treu bleibt und ob sie damit Erfolg hat, wissen wir nicht. Eine aufregende außenpolitische Zukunft ist uns aber gewiss.

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Ich wünsche Ihnen einen sicheren Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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