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"Rechtsextremismus bekämpfen": Für Nancy Faeser gibt es noch viel zu tun


Tagesanbruch
Es gibt sehr viel zu tun

  • David Schafbuch
MeinungVon David Schafbuch

Aktualisiert am 11.05.2022Lesedauer: 6 Min.
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Pro-Palästinensische Teilnehmer bei einer Al-Kuds-Demonstration in Berlin (Archivbild). Auf der Demonstration sind regelmäßig auch antisemitische Parolen zu hören.Vergrößern des Bildes
Pro-Palästinensische Teilnehmer bei einer Al-Kuds-Demonstration in Berlin (Archivbild). Auf der Demonstration sind regelmäßig auch antisemitische Parolen zu hören. (Quelle: Simone Kuhlmey/Pacific Press/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

von einer Begebenheit erzählte Horst Seehofer in seinen letzten Jahren als Bundesinnenminister besonders häufig. Sie ereignete sich, als der CSU-Politiker am 10. Oktober 2019 in Halle eintraf. "Ihr könnt uns nicht beschützen!", soll ihm damals ein junger Mann zugerufen haben. Es war einen Tag nach Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag.

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Seehofer war in die Stadt gekommen, weil zuvor ein bewaffneter Rechtsextremist versucht hatte, in die Synagoge einzudringen und die dort versammelte Gemeinde zu töten. Es gelang ihm wie durch ein Wunder nicht. Dennoch erschoss er zwei Menschen, eine 40-jährige Passantin und einen 20 Jahre alten Mann in einem Dönerimbiss. Die Tat hatte er im Internet angekündigt, seinen Anschlag streamte er live.

"Das war für mich wie ein Stich ins Herz", sagte Seehofer, wenn er sich an die Worte des jungen Mannes erinnerte. Wenn er davon sprach, schob er häufig hinterher, dass der Rechtsextremismus die größte Bedrohung in Deutschland sei. Er versuche, "jeden Tag das Menschenmögliche zu tun, um den Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus mit Nachdruck zu bekämpfen", sagte er noch vor zwei Jahren.

Das Innenministerium leitet mittlerweile nicht mehr Horst Seehofer, sondern Nancy Faeser von der SPD. Ihre Wortwahl unterscheidet sich bei dem Thema wenig. "Ein besonderes Anliegen wird mir sein, die größte Bedrohung, die derzeit unsere freiheitlich demokratische Grundordnung hat, den Rechtsextremismus, zu bekämpfen", gab Faeser im vergangenen Dezember zu Protokoll – da hatte Olaf Scholz sie gerade als neue Innenministerin vorgestellt.

Eine ähnliche Platte hatte Faeser am gestrigen Dienstag aufgelegt, der in mehrfacher Hinsicht ein denkwürdiger Tag werden sollte. Gemeinsam mit dem Chef des Bundeskriminalamtes (BKA) Holger Münch stellte sie den Jahresbericht der politisch motivierten Straftaten in Deutschland vor. Wieder hieß es: Der Rechtsextremismus sei die größte extremistische Gefahr hierzulande und die Demokratie müsse mit aller Kraft geschützt werden.

Große Worte, mal wieder, die von der BKA-Statistik und zwei weiteren Untersuchungen, alle ebenfalls am Dienstag vorgestellt, sogleich kontrastiert wurden. Sie zeigen, wie wenig das Gerede wert ist.

Erstens: Laut der BKA-Statistik haben die politisch motivierten Straftaten 2021 ein Allzeithoch erreicht. Insgesamt wurden mehr als 55.000 Delikte registriert, 41 Prozent entstammen dabei dem rechtsextremen Lager. Vor neun Jahren lag der Wert insgesamt nur halb so hoch. Besonders beschämend ist der Zuwachs an antisemitischen Straftaten: Um fast 29 Prozent stieg die Zahl der Delikte innerhalb von nur einem Jahr.

Beispiele für Judenfeindlichkeit sind allgegenwärtig: Auf propalästinensischen Demonstrationen wurden erst im April in Berlin zahlreiche judenfeindliche Parolen dokumentiert. Aufnahmen zeigen deutlich, wie Teilnehmer Begriffe wie "dreckiger Jude" brüllen und die Arbeit von Journalisten behindern. "Für Judenfeindlichkeit gibt es in unserer Gesellschaft keinen Platz", twitterte daraufhin die Innenministerin.

Das ist Wunschdenken, das hart an der Realität vorbeigeht. Denn der Antisemitismus hat in Deutschland einen recht großen Platz. Das zeigt eine zweite Studie des American Jewish Institute (AJC): "Die Ergebnisse verdeutlichen abermals, dass Antisemitismus nicht allein ein Problem der politischen Ränder ist, sondern in der Mitte der Gesellschaft tief verankert ist", heißt es in der repräsentativen Untersuchung. Demnach glauben 23 Prozent der Befragten, Juden seien in der Wirtschaft zu mächtig. 27 Prozent denken, dass Juden im Schnitt reicher seien als andere Deutsche. Besonders verbreitet sind antisemitische Vorurteile nicht nur unter Muslimen, sondern auch unter Anhängern der AfD.

Neu sind all diese Probleme nicht. Judenfeindlichkeit kommt in Deutschland aus verschiedenen Richtungen – und ist überall gleichermaßen unerträglich. Auch wenn in der BKA-Statistik die Delikte von rechts leicht zurückgingen: Die größte Bedrohung kommt weiter von dort.

Dem ein oder anderen mögen die Zahlen zu abstrakt sein. Es reichen vermutlich auch wenige Worte, um die Dimension rechter Gewalt zu verdeutlichen: NSU, Halle, Hanau, Walter Lübcke. Und wer kann mit Sicherheit sagen, ob die Statistiken des BKA auch nur annähernd vollständig sind?

Zweifel daran äußerte die dritte Studie zu dem Thema an diesem Dienstag: "Wir sehen mit Besorgnis, dass die Untererfassung rechter Gewalt zunimmt", teilte Robert Kusche vom Vorstand des Beratungsstellenverbands VBRG mit.

Mehr politisch motivierte Straftaten, mehr antisemitische Vorfälle, eine möglicherweise höhere Dunkelziffer bei rechter Gewalt – das ist also auch die Erkenntnis von diesem Dienstag.

Ein weiterer Aspekt: Zunehmend registriert das BKA Delikte, die sich nicht eindeutig politisch zuordnen lassen. Dazu gehören etwa Taten, die aus der Corona-Leugnerszene stammen oder bei Wahlveranstaltungen auftraten. Auch hier muss niemand lange nach Beispielen suchen: Mittlerweile scheinen unangemeldete "Spaziergänge" fast alltäglich geworden zu sein, bei denen krudeste Verschwörungstheorien verbreitet und Journalisten immer direkter attackiert werden.

Gleichzeitig werden Politiker in einem neuen Ausmaß niedergebrüllt oder angegriffen. Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wurde etwa zuletzt mit Eiern beworfen. Außenministerin Annalena Baerbock musste einen Auftritt absagen. Unbekannte hatten zuvor den Veranstaltungsort mit Buttersäure angegriffen.

Kommunalpolitiker müssen mittlerweile ähnlich hart im Nehmen sein – und das ganz ohne gepanzerte Limousinen oder Sicherheitspersonal. Allein in Brandenburg wurde bereits mehr als jeder dritte Kommunalpolitiker attackiert.

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Wer glaubt, dass diese Probleme einfach weggehen, irrt. Auch wenn die Corona-Regeln sich gerade auflösen und der Sommer vor der Tür steht: "Viele Corona-Leugner von gestern sind die Putin-Fans von heute", warnte FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle.

Deutschland steht gesamtgesellschaftlich vor großen Hürden – egal ob im Kampf gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus oder bei "Querdenkern", die nach neuen Wutthemen suchen. Das bedeutet eine Menge Arbeit für uns alle – aber ganz besonders für Nancy Faeser.


Endlich in Kiew

Nun ist es geschafft: Als erste Ministerin der Ampel hat Annalena Baerbock (Grüne) die Ukraine nach Kriegsbeginn besucht. Zwar wartet die deutsche Öffentlichkeit noch immer auf die Reise des Bundeskanzlers zu Präsident Wolodymyr Selenskyj – symbolisch dürfte der Besuch trotzdem sowohl bei uns als auch in der Ukraine Gewicht haben.

Die öffentlich bekannten Resultate des Treffens sind dagegen überschaubar. Die deutsche Botschaft in Kiew nahm unter Anwesenheit der Ministerin wieder den Betrieb auf. Der ukrainische Außenminister Kuleba soll am G7-Außenministertreffen teilnehmen. Eine schnelle EU-Mitgliedschaft wollte Baerbock dem Land aber nicht versprechen. Viel wichtiger dürfte für die Ukraine ohnehin gerade sein, dass die ersten ukrainischen Soldaten schon in Deutschland sind, um den Umgang mit der Panzerhaubitze 2000 zu erlernen.


Was steht an?

Wie geht es weiter in Mali? In einer EU- und einer UN-Mission sind derzeit in dem Land noch Soldaten der Bundeswehr im Einsatz. Der gilt nicht nur als gefährlich, sondern wird auch zunehmend infrage gestellt. Heute diskutiert der Bundestag über die Zukunft des Einsatzes. Zudem stellt sich Justizminister Marco Buschmann (FDP) einer Regierungsbefragung.

Der Bundesrat befasst sich mit dem Ergänzungshaushalt: Mit knapp 40 Milliarden Euro will die Ampel die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges in Deutschland abfedern. Darum geht es heute in einer Sondersitzung des Bundesrats. Mit dem Paket soll unter anderem eine Gasreserve angelegt oder das Neun-Euro-Ticket für den Nahverkehr finanziert werden. Damit würde die Neuverschuldung in diesem Jahr auf fast 139 Milliarden Euro steigen.

Wieder am Boden: Vergangene Woche ging die Weltraumreise von Matthias Maurer zu Ende. Am frühen Freitagmorgen landete der 52-jährige Saarländer nach rund sechs Monaten im All vor der Küste von Florida. Wie hat er den Trip erlebt? Darüber gibt der Astronaut heute auf einer Pressekonferenz Auskunft.


Was lesen?

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) muss derzeit viel einstecken. Aufsehen erregte die Politikerin nun erneut, weil ihr Sohn mit ihr im Regierungshubschrauber unterwegs war. Doch für Empörung gibt es keinen Grund, findet meine Kollegin Sonja Eichert.


Nach anfänglich zelebrierter Einigkeit wird in der Ampel nun heftig gestritten: über die Corona-Regeln, über die Impfpflicht – und über den Ukraine-Krieg. Ist das Bündnis gefährdet? Meine Kollegen Johannes Bebermeier und Tim Kummert waren auf Spurensuche.


Farhat S. flüchtete 1989 vor dem Krieg in Afghanistan nach Deutschland. In seiner ursprünglichen Heimat arbeitete er nach zehn Semestern Medizinstudium als Arzt, doch in Deutschland wurde sein Abschluss mit der Mittleren Reife gleichgesetzt. Dass ukrainische Flüchtlinge nun ohne Schulabschluss an deutschen Unis studieren dürfen, findet er gut – aber nicht gerecht. Mein Kollege Stefan Simon hat mit Farhat gesprochen.


Eigentlich ist diese besondere Gorilla-Dame schon im Rentenalter. Warum sie aber weiterhin für Begeisterung sorgt, lesen Sie hier.


Erling Haaland war für Borussia Dortmund ein Volltreffer: In bisher 88 Pflichtspielen machte der 21-Jährige sensationelle 85 Tore für den BVB. Doch damit ist nach der Saison Schluss: Wie einst sein Vater läuft Haaland kommende Saison für Manchester City auf – und setzt auch mit der Transfersumme eigene Maßstäbe. Unser Sportchef Robert Hiersemann hat nachgerechnet, wie viel Haaland kosten könnte.


Was amüsiert mich?

Wann haben Sie das letzte Mal für eine Prüfung gelernt? Hoffentlich waren Sie ehrlicher zu sich selbst.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Mittwoch. Am Donnerstag lesen Sie wieder von Florian Harms.

Ihr

David Schafbuch
Redakteur Politik und Panorama
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Mit Material von dpa.

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