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Wie China sich als alternativloses System etablieren will


Tagesanbruch
Der unterschätzte Kampf der Systeme

MeinungVon Miriam Hollstein

Aktualisiert am 30.05.2022Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Will sein Land als alternativloses System etablieren: Chinas Präsident Xi Jinping.Vergrößern des Bildes
Will sein Land als alternativloses System etablieren: Chinas Präsident Xi Jinping. (Quelle: Zuma Press/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

mit Nebensätzen in der Politik ist es manchmal wie mit Bomben mit Zeitzündern. Welche Sprengkraft in ihnen steckt, wird erst viel später deutlich.

So merkte im März 2014 der damalige polnische Ministerpräsident Donald Tusk als Reaktion auf die Krim-Krise eher beiläufig an, Deutschlands Gasabhängigkeit von Russland könne "die Souveränität Europas ernsthaft begrenzen". Angela Merkel reagierte mit der Ankündigung, es werde "eine neue Betrachtung der gesamten Energiepolitik geben". Dann relativierte sie schnell, die Abhängigkeit Deutschlands sei "längst nicht die höchste in Europa". Der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel warnte vor "Panikmache" und betonte: "Selbst in finstersten Zeiten des Kalten Krieges hat Russland seine Verträge eingehalten."

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Damit war das Thema auch schon wieder vom Tisch. Es gab so viele scheinbar wichtigere Themen: den Völkerrechtsbruch Russlands, die Frage, wie es mit der Krim und den deutsch-russischen Beziehungen weitergehen würde. Heute wünschte man, die deutsche Regierung und der Rest Europas hätten mehr auf Tusk gehört. Und Angela Merkel hätte ihre eigenen Worte ernster genommen.

Auch Olaf Scholz hat dieser Tage einen interessanten Nebensatz gesagt, der etwas mehr Betrachtung verdient. Bei einer Diskussion auf dem Katholikentag in Stuttgart warnte er in einer Diskussion, die massive Vergabe von chinesischen Krediten an ärmere Staaten könne eine weltweite Finanzkrise auslösen. Dies könne am Ende nicht nur die betroffenen Länder, sondern auch China selbst und den Rest der Welt in eine globale Krise stürzen.

In der Politikwissenschaft ist diese These unter dem Begriff der "chinesischen Schuldenfallen-Diplomatie" bekannt – und umstritten. Sie stammt ursprünglich vom indischen Wissenschaftler Brahma Chellaney und geht davon aus, dass China mittellose Länder durch billige Kredite in seine Abhängigkeit zu bringen versucht. Können diese die Rückforderungen nicht mehr erfüllen, übernimmt China im Gegenzug kritische Infrastrukturen wie etwa die Häfen.

Kritiker der These wenden ein, dass die allermeisten afrikanischen Länder nur sehr gering bei China verschuldet sind (eine Ausnahme ist Angola, das mit 40 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts bei Peking in der Kreide steht). Auch könne China die Schuldner nicht zur Übereignung von Infrastruktur zwingen, sondern riskiere vielmehr, die Kredite abschreiben zu müssen.

Dass man die Bedenken allerdings nicht einfach so vom Tisch wissen sollte, zeigt der Fall Montenegro. Das hätte im vergangenen Jahr beinahe eine Autobahn an China abgeben müssen, weil es diese mit chinesischem Geld gebaut hatte, dann aber den Kredit nicht mehr bedienen konnte.

Egal, für wie realistisch man die Schuldenfallenthese hält: An Chinas Ambitionen, beweisen zu wollen, dass Autokratien die wirtschaftlich und politisch erfolgreicheren Systeme sind, gibt es keinen Zweifel. Die Europäische Union tut also gut daran, sich nicht spalten zu lassen und zu überlegen, welche Angebote sie ärmeren Regionen machen kann, um diese nicht nur wirtschaftlich zu unterstützen, sondern damit auch politisch stärker an sich zu binden.

Zumal wir als Europäer den Erfolg dieses Prinzips am allerbesten kennen sollten. Der amerikanische Marshallplan half nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur Westeuropa und insbesondere Deutschland wieder auf die Beine. Er war auch das Fundament für die transatlantische Partnerschaft, die trotz aller Krisen bis heute das Herz unserer Außenpolitik ist.


Es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten. Einer, der diesem Sprichwort sicher nicht zustimmen würde, ist Toni Kroos. Der Fußballer hat am Wochenende heftige Diskussionen in den sozialen Netzwerken ausgelöst. Der Grund: Kroos hatte am Samstagabend, nach dem Finalsieg von Real Madrid gegen den FC Liverpool in der Champions League, ein TV-Interview mit den Worten abgebrochen, der Reporter habe ihm "Scheißfragen" gestellt.

Von der einen Seite erhält Kroos dafür viel Applaus. Nach dem Motto: Endlich lässt sich mal einer nicht alles bieten, was Reporter da so an ihn rantexten. Die anderen finden ihn arrogant: Denn Fußballstars wie Kroos (geschätztes Monatsgehalt bei Real Madrid: eine Million Euro) leben auch von der Öffentlichkeit. Da scheint ein kurzes, höfliches Interview nach dem Abpfiff nicht zu viel verlangt.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es natürlich dumme Fragen gibt. Selbst bei Frageprofis wie uns Journalisten. Wer den ganzen Tag von Berufs wegen fragen muss, der fragt auch mal mittelmäßig oder schlecht. Manchmal hat die Zeit nicht nur für eine gute Vorbereitung gereicht. Manchmal hat man einfach einen schlechten Tag.

Das gilt aber genauso für Antworten. Das eine oder andere Politikerinterview hätte ich schon gern mal mit einem Kroos-Satz abgebrochen. Etwa, wenn zum x-ten Mal die immergleiche, nichtssagende Phrase kam. Oder wenn ein Politiker ungehalten wurde, weil ihm die Fragen nicht genehm waren. Und auch, was mancher Fußballer nach einem großen Spiel von sich gibt, fällt nicht unbedingt immer in die Kategorie Brillanz.

Vielleicht hilft es, sich in diesen Momenten daran zu erinnern, dass beide Seiten einander brauchen, um ihren Job gut zu machen. Und dass wir deshalb ein Minimum an Respekt und Höflichkeit beibehalten sollten. Denn am Ende geht es nicht um die Befindlichkeit eines Fußballers, eines Politikers oder eines Journalisten. Sondern um das Publikum.


Termine des Tages

Der Krieg in der Ukraine ist das große Thema des EU-Sondergipfels in Brüssel, zu dem sich die Staats- und Regierungschefs am Montag und Dienstag treffen. Doch statt eines geeinten Auftretens steht Streit auf der Agenda: die Weigerung Ungarns, das sechste Sanktionspaket gegen Russland mitzutragen. In dessen Zentrum steht ein Importstopp für russisches Öl.

In Berlin könnte weiter über das geplante Sondervermögen der Bundeswehr debattiert werden. Union und Koalition hatten sich am Sonntagabend auf die gesetzlichen Grundlagen für das geplante Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro geeinigt.

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Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe verhandelt am Vormittag über ein Schmährelief ("Judensau") aus dem 13. Jahrhundert an der Wittenberger Stadtkirche. Es zeigt eine Sau, an deren Zitzen Menschen saugen, bei denen es sich um Juden handeln soll. Der jüdische Kläger will erreichen, dass die Plastik entfernt wird. In den Vorinstanzen ist er gescheitert. Die Kirchengemeinde weigert sich und verweist auf eine Erklärtafel zum Relief, die sich von der Darstellung distanziert.


Was lesen?

Sonntags halte ich persönlich es mit Loriot: Ein Leben ohne "Tatort" ist möglich, aber sinnlos. Zugegeben, Loriot hat sich damals auf den Mops und nicht auf den Sonntagskrimi bezogen, der nicht mit jeder Folge überzeugen kann (der Pseudo-Horrorfilm-Verschnitt gestern eher nicht). Aber als Spiegel bundesrepublikanischer Zeitgeschichte und als letztes großes TV-Lagerfeuer der Nation ist die 1970 gestartete Krimi-Reihe immer wieder spannend.

Wenn Sie sich gefragt haben, woher Sie im gestrigen Bremer "Tatort" den seltsamen Ex-Mann der Toten kennen, finden Sie hier Aufklärung. Matthias Matschke ist einer der vielseitigsten Schauspieler des deutschen Fernsehens. Ich hatte das Glück, ihn vor drei Jahren persönlich zu erleben, als er in meiner Kirchengemeinde einen Tag lang ehrenamtlich für das Vorlesen von Bibelstellen im Gottesdienst schulte. Beeindruckt hat mich damals nicht nur sein schauspielerisches Können, sondern auch, wie gut er die Bibel kannte. Erst später erfuhr ich, dass er Theologie studiert hat.


Mut ist keine Frage des Alters. Das zeigt uns die Russin Jelena Ossipowa. Sie ist 76 und wurde zur Ikone des zivilen Widerstands gegen Putin, als sie zu Beginn des Ukraine-Krieges bei einer Friedensdemonstration verhaftet wurde. Meinen Kolleginnen Sophie Loelke und Iliza Farukshina hat sie erzählt, woher sie die Stärke nimmt und wie sie in Russlands Zukunft blickt.


Dass Querdenker nicht nur harmlose Schwurbler sein können, zeigt der Fall der Enkelin von Wolfgang Reiniger, Essens früherem Oberbürgermeister. Diese ist von ihrem Vater nach Paraguay entführt worden, nachdem sich dieser immer mehr in Verschwörungsmythen verloren hatte. Mein Kollege Christof Paulus hat ihre Mutter getroffen, die verzweifelt um ihre Tochter kämpft.


Normalerweise sind eher Delfine die Stars im Kino. Dass dies auch kleinere Meeresbewohner vermögen, bewies dieser Film 2003. Den kann man auch vier- oder fünfmal schauen und immer noch neue wunderbare Details. Worum es ging, lesen Sie hier.


Was mich amüsiert

Es hätte noch deutlich schrägere Reporterfragen gegeben, findet unser Zeichner Mario Lars.

Morgen schreibt an dieser Stelle wieder unser Chefredakteur Florian Harms für Sie.

Ihre

Miriam Hollstein
Chefreporterin im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @HollsteinM

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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