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Energiekrise Nord Stream 1: Putins perfide Waffe – und Habecks Konter


Tagesanbruch
Putins gefährlichste Waffe

  • Johannes Bebermeier
MeinungVon Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 22.07.2022Lesedauer: 5 Min.
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Wladimir Putin: Lassen wir ihn damit nicht durchkommen.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Lassen wir ihn damit nicht durchkommen. (Quelle: SNA/Grigory Sysoev/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

es mag auch ein bisschen an der Hitze gelegen haben und an seiner Corona-Erkrankung, die ihn gerade ins Homeoffice zwingt – jedenfalls hatte Robert Habeck am Donnerstag Puls.

Er wolle eine Bemerkung, die er gelesen habe, aufgreifen und zurückweisen, sagte Habeck kurz nach Beginn seiner Pressekonferenz. Eine Bemerkung aus dem Kreml: Dass nämlich "Russland Garant der Energiesicherheit in Europa" sei.

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"Das ist eine Verdrehung jeder Tatsache", sagte Habeck. "Denn in der Tat nutzt Russland seine große Macht – eine zu große Macht, die wir Russland gegeben haben –, um Europa und Deutschland zu erpressen." Das sei das "Gegenteil eines Garanten für Energiesicherheit". Paff.

Es war eine bemerkenswerte Botschaft des Wirtschaftsministers an einem Tag, an dem Putin den Gashahn wieder aufgedreht hat. Nicht komplett zwar, aber zumindest zu etwa 40 Prozent, so weit wie auch schon vor den zehntägigen Wartungsarbeiten an Nord Stream 1. Doch statt sich über die gefühlte Entwarnung zu freuen, reagierte Habeck – mit einem Angriff. Nicht nur auf Putins Propaganda. Und das völlig zu Recht.

Wir Journalisten sind im Idealfall gut darin, die Politik zu kritisieren, wenn etwas schiefläuft. Das ist Teil unserer Aufgabe. Etwas wortkarg sind wir meist, wenn mal jemand etwas gut macht. Dabei gehört auch das zu einem vollständigen Bild dazu. Und am Donnerstag hat Habeck etwas gut gemacht. Statt Putins Spiel mitzuspielen, statt dessen gefährlichste Waffe noch stärker zu machen, als sie eh schon ist, hat Habeck versucht, den Schaden zu minimieren.

Und zwar auf mehreren Ebenen. Ganz zu Beginn seiner Pressekonferenz, in der es eigentlich um die Gaslage in Deutschland gehen sollte, wies Habeck darauf hin, weshalb wir eigentlich jetzt so akut in diesem Schlamassel stecken – und dass andernorts alles noch viel schlimmer ist. "Es ist noch immer Krieg in Europa", sagte er. Bei allem, was nun diskutiert werde, dürfe man das nicht vergessen. Und die russische Aggression sei eben auch einer der Gründe für den Gasmangel.

Man darf Habeck unterstellen, dass er das nicht nur aus einem Gefühl der Pflichtschuldigkeit heraus gesagt hat. Es ist vielmehr der Versuch, Putin nicht so leicht davonkommen zu lassen. Denn den interessiert ja nicht wirklich, ob wir kalt duschen und uns dicke Pullover anziehen müssen. Das Gas ist für ihn ein Hebel, um viel mehr zu erreichen.

Putin will unsere Demokratie zerstören, Europa, den Westen an sich. Das ist inzwischen hinlänglich kolportiert. Indem Habeck daran erinnert, wer der Schuldige ist, versucht er, Putin ein Stück weit die Macht zu nehmen, die dieser mit seiner gefährlichsten Waffe über uns hat. Denn mit dem Gashahn schürt Putin nicht nur ganz direkt Verteilungskonflikte in Deutschland und Europa. Das ist schon schlimm genug. Der Gashahn ist auch eine gewaltige Ablenkungsmaschine.

Während wir auf einen Durchflussmesser einer Gaspipeline starren und mit dem hydraulischen Abgleich unserer Heizung beschäftigt sind, führt Putin seinen Krieg in der Ukraine unvermindert weiter, scheitert unser Panzer-Ringtausch mit Nato-Partnern, zerstreitet sich die Ampelkoalition über Entlastungen, entstehen neue Spannungen in der EU, brennt es in Deutschland und der Welt ganz buchstäblich durch die Erderhitzung. Die Liste ließe sich erweitern.

Deshalb ist auch etwas anderes genau richtig, was Habeck am Donnerstag als Reaktion auf Putin getan hat. Statt sich einlullen zu lassen von den 40 Prozent Gas, die Putin gnädigerweise durch die Röhre Nord Stream 1 schickt, und Entwarnung zu geben – schlug Habeck Alarm.

Der Wirtschaftsminister hielt die Versorger dazu an, noch mehr Gas einzuspeichern, er aktivierte neben der Steinkohle- auch die Braunkohlereserve, er ermöglichte mehr Biogasproduktion und er erhöhte den Druck beim Energiesparen. Nicht nur auf Unternehmen, sondern auch auf die Bürger: verbindlicher Heizungscheck, Pflicht zum hydraulischen Abgleich, Gasheizverbot für private Pools.

Im Detail mag sich über das eine oder andere diskutieren lassen. Die Richtung aber stimmt. Denn 40 Prozent Auslastung von Nord Stream 1 bedeuten immer noch, dass Deutschland verdammt viel Gas einsparen muss, um durch die nächsten zwei Winter zu kommen. Mehr noch: Putin kann jederzeit wieder weniger liefern, hat das sogar schon angedeutet mit angeblichen "technischen Problemen", die drohen könnten.

Die Macht über uns nehmen wir Putin nur, indem wir von ihm unabhängig werden – und zwar so schnell wie möglich. Durch Einsparungen und durch den Ausbau der erneuerbaren Energien. Lassen wir uns nicht ablenken. Und schauen wir lieber wieder mehr auf all die anderen Krisen als immer nur auf den Durchflussmesser einer Gaspipeline.


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Johannes Bebermeier
Politischer Reporter
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Mit Material von dpa.

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