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Energiekrise: Was das für unseren Begriff von Wohlstand bedeutet


Tagesanbruch
Die fetten Jahre sind vorbei

MeinungVon Miriam Hollstein

Aktualisiert am 01.08.2022Lesedauer: 6 Min.
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Ein halbleeres Regal in einem Hamburger Supermarkt – solche Bilder könnte es im Winter häufiger geben.Vergrößern des Bildes
Ein halbleeres Regal in einem Hamburger Supermarkt – solche Bilder könnte es im Winter häufiger geben. (Quelle: Ralf Homburg/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

haben wir in Deutschland die richtige Einstellung zum Wohlstand? Spätestens im Herbst werden wir uns dieser Frage stellen müssen. Denn dann werden wir die Auswirkungen der Energiekrise durch den Ukraine-Krieg auch ganz konkret in unserem Alltag merken – und zwar nicht nur bei der Gasrechnung und an der Tankstelle, sondern auch beim täglichen Einkauf. Weil die Landwirtschaft zur Erzeugung von Dünger Gas braucht, könnte es laut Bauernpräsident Joachim Rukwied bei Milch, Butter, Joghurt und anderen Produkten zu Engpässen kommen. Und die Unterbrechung der weltweiten Getreidelieferketten dürfte am Ende auch in deutschen Regalen spürbar sein.

Schon jetzt steigen die Lebensmittelpreise. Ökonomen gehen davon aus, dass es auch im Winter nur wenig Entspannung bei der Inflation geben wird. Ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht. Und selbst wenn es doch in den nächsten Monaten dazu kommen sollte, werden die Folgen der Sanktionen gegen Russland auch bei uns noch lange nachwirken.

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Erste Politiker fordern deshalb ein Umdenken, was unsere Definition von Wohlstand angeht. Die Deutschen müssten lernen, mit Einschränkungen zu leben, sagte zum Beispiel vor ein paar Tagen die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt im Interview mit t-online. "Endloses Wachstum" werde es nicht mehr geben; man müsse sich daher vom Gedanken der "Überflussgesellschaft" verabschieden, so die Grünen-Politikerin.

Auch wenn es vielleicht etwas wohlfeil klingt, wenn mit gut dotierten Diäten ausgestattete Spitzenpolitiker dies fordern, so steckt darin doch eine wichtige Erkenntnis. Über Jahrzehnte herrschte der Glaube vor, die Globalisierung brächte für uns nur einen Markt der unbegrenzten Möglichkeiten mit sich. Alles war permanent verfügbar. Avocados aus Mexiko? Kiwis aus Neuseeland? Erdbeeren im Winter aus Ägypten? Kein Problem.

Der Ukraine-Krieg zeigt uns die Grenzen der globalisierten Wirtschaft auf – beim Öl, beim Gas, beim Getreide. Wir können Spannungen in anderen Teilen der Welt nicht mehr einfach wegatmen und so tun, als gingen sie uns nichts an.

Ein Vorgeschmack haben wir bereits in der Corona-Krise bekommen, als plötzlich Medikamente und Toilettenpapier knapp wurden – auch wenn letzteres vor allem der kopflosen Panik vieler Konsumenten geschuldet war. Wenn China seine Drohungen gegenüber Taiwan wahr machen sollte, dann hätten wir es hier mit der nächsten internationalen Krise und einem Zusammenbruch zahlreicher Lieferketten zu tun.

Um krisenresistent zu werden, müssen wir nicht nur unabhängiger bei der Versorgung werden. Wir sollten uns auch Gedanken machen, wo der alte Wohlstandsbegriff überholt und damit am Ende lähmend ist.

Klar ist: Niemand darf hungern oder frieren in Deutschland. Jenseits dieser roten Linie muss aber nicht jede Einschränkung auch gleich eine Entbehrung sein. Wenn etwa weniger importierte Lebensmittel im Angebot sind, könnte das die regionalen Erzeuger stärken. Für die Konsumenten bedeutete das: frischere Produkte und weniger CO2-Belastung. Die Pandemie hat dazu geführt, dass viele Deutsche in den vergangenen zwei Jahren den Urlaub im eigenen Land verbrachten – und dabei oft überrascht wurden von der Schönheit, die die einheimischen Orte und Landschaften zu bieten haben.

Dass Krisen auch Chancen sind, ist eine Kalenderweisheit, die oft verbrämen soll, welche Ängste und Belastungen mit solchen Ausnahmesituationen einhergehen. Richtig ist aber: Wenn der Innovationsdruck am größten ist, entstehen meist die besten Erfindungen. Im Chinesischen setzt sich das Wort für Krise denn auch aus zwei Zeichen zusammen: Gefahr und Gelegenheit.

Nachdenken sollten wir in Deutschland aber nicht nur darüber, wie wir Wohlstand künftig definieren wollen, sondern auch, wie wir mit seiner kleinen hässlichen Schwester umgehen: der Neiddebatte.

Dass ausgerechnet in der größten Volkswirtschaft Europas die Menschen untereinander oft so wenig gönnen, ist eine typisch deutsche Untugend. Wer in den USA vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigt, wird bewundert und gilt als Vorbild.

In Deutschland wird erwartet, dass er sich dafür schämt. CDU-Chef Friedrich Merz musste sich unlängst dafür rechtfertigen, dass er mit dem Privatflieger zur Hochzeit von FDP-Chef Christian Lindner flog. Seine Kritiker ignorieren dabei geflissentlich, dass er sich das Geld dafür jenseits der Politik in der freien Wirtschaft verdient hat. Morgen werden sie wieder fordern, dass Politiker auch mal einer "echten" Arbeit nachgehen sollten.

Das nennt sich dann wohl Doppelmoral.


Siegerinnen der Herzen

Haben Sie gestern auch mit unseren Frauen beim EM-Finale mitgefiebert? Dann waren Sie nicht allein: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Männer-Bundestrainer Hansi Flick sind sogar extra nach London gereist, um im Wembley-Stadion die Daumen zu drücken. Für den Sieg hat es am Ende nicht ganz gereicht: In der Verlängerung kassierten die Deutschen das 2:1. Die Herzen der Menschen in der Heimat hatten sie da aber schon längst gewonnen. Heute werden sie dafür in Frankfurt auf dem Römer gefeiert.

Die Chancen stehen gut, dass nach dieser EM der Frauenfußball endlich die Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient. Dafür hat die Leistung der Frauschaft von Trainerin Martina Voss-Tecklenburg, aber auch ihre (Spiel-)Freude gesorgt. Wäre schön, wenn sich das künftig in den Sponsoring-Verträgen niederschlagen würde. Denn im Gegensatz zu ihren millionenschweren männlichen Kollegen müssen die Fußballfrauen alle noch einem Zweitjob oder einer Ausbildung nachgehen.

Was auch von dieser EM bleiben wird: der urkomische Auftritt von Stürmerin Alexandra "Poppi" Popp (die im Finale leider verletzungsbedingt ausfiel). Sie hatte sich für eine Pressekonferenz einen Schnäuzer aus schwarzem Kinesiotape gebastelt.

Der Grund: Die Satire-Plattform "Der Postillon" hatte nach dem Erfolg der Frauen-Elf gegen Frankreich getitelt, Bundestrainer Hansi Flick hätte den "völlig unbekannten Stürmer Alexander Papp" für die DFB-Auswahl nominiert und darüber eine Fotomontage von Popp mit einem Schnauzbart gestellt. Über ihre Parodie der Parodie amüsierte sich Popp mit am meisten. Wenn Talent auf die Gabe zur Selbstironie trifft – eine Traumkombination.


Frau Bätschi ist wieder da

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Andrea Nahles ist zurück. Ab heute ist die frühere SPD-Chefin, die einst mit manch derbem Spruch ("Bätschi", "Gurkentruppe") ihre politischen Gegner auf die Zinne brachte, ganz offiziell neue Chefin der Bundesagentur für Arbeit und damit der größten Behörde in Deutschland.

Die 52-Jährige folgt auf den bisherigen Vorstandsvorsitzenden Detlef Scheele, der aus Altersgründen ausscheidet. Nach ihrem Rücktritt als Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD im Juni 2019 war es still um Nahles geworden. Im Gegensatz zu manch anderem Vorgänger verkniff sie sich Sticheleien und Belehrungen vom Seitenrand.

Auf die erste Frau an der Spitze der Arbeitsagentur warten große Aufgaben. So könnte die Energiekrise viele Menschen in Deutschland in Kurzarbeit zwingen oder sogar den Job kosten. Außerdem muss das Bürgergeld umgesetzt werden. Nahles profitiert dabei davon, dass sie als frühere Bundesarbeitsministerin mit der Materie vertraut ist und zudem ein paar Wochen Einarbeitungszeit in der Behörde in Nürnberg hatte. In einem ersten Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" hat sie geschildert, wie sie die Probleme angehen will.


Tod einer Impfärztin

Mit zwei Trauerkundgebungen wird heute Abend um 20 Uhr in Linz und Wien der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr gedacht. Die Allgemeinmedizinerin aus Seewalchen am Attersee war am Freitag tot in ihrer Praxis aufgefunden worden.

Die zuständige Staatsanwaltschaft schließt ein Fremdverschulden aus. Kellermayr war bekannt geworden, weil sie sich als Impfärztin engagierte und auch öffentlich äußerte. Dafür wurde sie massiv bedroht. Vor einem Monat hatte Kellermayr ihre Praxis nach Wochen der Zermürbung dauerhaft geschlossen. Sie fühlte sich von den österreichischen Sicherheitsbehörden im Stich gelassen. Tatsächlich zeigten sich diese nicht in der Lage herauszufinden, wer hinter den Drohmails steckte. Eine deutsche Hackerin, die sich in den Fall einschaltete, brauchte nach eigenen Angaben nur sechs Stunden, um als mutmaßlichen Urheber zweier Morddrohungen einen deutschen Rechtsextremisten zu recherchieren.


Was lesen?

Früher war sie der Inbegriff des idyllischen Landlebens, heute gilt sie als Klimakiller: die Kuh. Wie das Tier und seine Milch zum Auslaufmodell wurden, schildert meine Kollegin Theresa Crysmann hier.


Ein ukrainischer Agrarunternehmer ist am Wochenende durch eine Rakete ums Leben gekommen. War es ein gezielter Anschlag? Meine Kollegin Annika Leister hat Informationen zu dem Vorfall gesammelt.


Der frühere DFB-Star Gerald Asamoah leidet heute unter den körperlichen Spuren, die der Profi-Fußball bei ihm hinterlassen hat. Wie er dafür kämpfen will, dass es der nächsten Generation von Kickern und Kickerinnen besser geht, schreibt er in einem Gastbeitrag.


Was mich amüsiert

Wer in den sozialen Netzwerken unterwegs ist, erlebt in diesen Tagen mal wieder viel Wut und Hass. Wenn es mir zu viel wird, schaue ich mir Twitter-Videos von "Emmanuel" an. Nein, nicht vom französischen Präsidenten, sondern von einem Emu, der auf einer Farm in Florida lebt. Dieser drängt sich stets vorwitzig vor die Kamera, wenn seine Besitzerin, die Landwirtin Taylor Blake, Aufnahmen von ihrer Farm machen will. Deren (erfolglose) Erziehungsversuche sind so lustig wie zehn Katzenvideos. Es ist eben nicht alles schlecht in diesem Internet.

Kommen Sie gut durch die Woche und lassen Sie sich nicht ärgern!

Morgen schreibt an dieser Stelle mein Kollege Tim Kummert für Sie.

Ihre

Miriam Hollstein
Chefreporterin im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @HollsteinM

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Mit Material von dpa.

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