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Ökologischer Fußabdruck: Experte zum Ressourcenverbrauch der Menschheit


Raubbau an den Ressourcen
Wir verspielen unsere eigene Existenz

MeinungVon Kuno Kirschfeld

30.12.2023Lesedauer: 5 Min.
Meinung
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USA-WILDFIRES/Vergrößern des Bildes
Golfspiel trotz Waldbrand: Das Foto von Kristi McCluer symbolisiert die Unbeschwertheit vieler Menschen im Angesicht der Klimakrise. (Quelle: Stringer .)

Alle Welt redet vom Klima. Dabei sind die Probleme, die auf uns zukommen, viel umfassender: Der ökologische Fußabdruck der Menschheit ist zu groß. Meint unser Gastautor und hat ein paar dringende Vorschläge.

Ein Gastbeitrag von Kuno Kirschfeld

Die Erde stellt Ressourcen für alle Lebewesen zur Verfügung, also auch für uns Menschen. Das Problem: Die Menschheit verbraucht mehr, als die Erde liefern kann. Wenn ein Waldbesitzer mehr Holz entnimmt, als natürlich nachwächst, so verschwindet der Wald nach einiger Zeit – was bleibt, ist ein Grundstück ohne Bäume.

Woher wissen wir, dass die Menschheit zu viel verbraucht? Die Daten stammen aus der Arbeit des Global Footprint Network, einer Non-Profit-Organisation. Jeder hat schon vom ökologischen Fußabdruck gehört oder davon, dass es dreier Erden bedürfte, wenn alle Menschen so leben wollten wie wir Deutschen. Besonders anschaulich ist, was vom Global Footprint Network als der Earth Overshoot Day definiert wurde: Das ist der Tag, an dem die Menschheit so viele natürliche Ressourcen verbraucht hat, wie die Erde fürs ganze Jahr zur Verfügung stellt. Jahr für Jahr verschiebt sich der Earth Overshoot Day.

Dieser Tag verlagert sich Jahr für Jahr weiter nach vorn im Jahresverlauf. 1970 lag er noch am 31. Dezember, wir hatten also noch nicht mehr verbraucht, als die Erde liefern kann. Ab dann rückte er immer weiter nach vorn. Dieses Jahr gab es erstmals eine gute Nachricht, er verschob sich wieder leicht nach hinten und lag am 2. August. Das bedeutet dennoch: Die Menschheit verbraucht annähernd doppelt so viel Ressourcen der Erde, wie sie dürfte. Was wir der Abbildung außerdem entnehmen können, ist zweierlei. Erstens: Wenn wir weiter so viel verbrauchen, werden sämtliche vorhandenen Ressourcen der Erde nicht in Jahrhunderten, sondern in Jahrzehnten verbraucht sein, etwa zum Ende dieses Jahrhunderts. Und zweitens: Wir haben bereits etwa die Hälfte der Ressourcen der Erde verbraucht. Dass wir bereits zu viel verbraucht haben, wird mehr und mehr erkennbar.

Kritische Grenzen sind überschritten

Im Jahr 2009 hat eine Gruppe um Johan Rockström – heute Direktor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung – in der Zeitschrift "Nature" einen Bericht vorgelegt, in dem aufgezeigt wird, in welchen Bereichen bereits kritische Grenzen überschritten sind, die nicht hätten überschritten werden dürfen, um die Erde als "sicheren Handlungsraum der Menschheit" (safe operating space for humanity) zu erhalten. Damals waren es nach den Ergebnissen dieser Forscher der Klimawandel, der Verlust an Biodiversität sowie die zu große Menge an Stickstoff, die wir der Atmosphäre entnehmen, vor allem zur Herstellung von Düngemitteln.

Vor Kurzem stellten diese Forscher fest, dass in der kurzen Zeitspanne von 2009 bis 2023 weitere kritische Grenzen überschritten wurden. So etwa der Süßwasserverbrauch, die Umwandlung der Natur in Nutzflächen, Aerosole in der Luft. Gerade noch im sicheren Bereich liege die Ozeanversauerung. Der Verlust an Biodiversität wird unter anderem daran erkennbar, dass es immer weniger Insekten gibt. Wenn Insekten aussterben, scheint das eher angenehm zu sein: Autoscheiben müssen nicht mehr freigekratzt werden, in Bäckereien muss man sich nicht vor Wespen im Kuchen in Acht nehmen.

Die Gefahr wird nicht erkannt, dass unsere Wild- und Kulturpflanzen womöglich bald nicht mehr bestäubt werden, denn das Insektensterben geht weiter. Die zu große Entnahme von Stickstoff aus der Atmosphäre wirkt sich in der Landwirtschaft aus. Die Überdüngung durch intensive Landwirtschaft führt dazu, dass nicht alle Nährstoffe von den Pflanzen aufgenommen werden, sondern über Niederschlagswasser in Flüsse und letztlich ins Meer gelangen. Das fällt niemandem auf.

Dabei sind die Folgen weitreichend: Im Golf von Mexiko hat sich deswegen eine kontinuierlich wachsende "Todeszone" gebildet, inzwischen etwa von der zehnfachen Größe des Saarlandes, in der Fische nicht mehr leben können. Dort ist der Schaden deshalb jetzt schon erheblich, weil der Mississippi mit seinem riesigen Einzugsgebiet im Golf mündet. Um ein weiteres Problem zu nennen: die Ozeanversauerung. Noch ist sie im sicheren Bereich, sie nimmt aber weiter zu. Daraus wird früher oder später eine Gefahr für Organismen, die ihre Schalen und Skelette aus Kalk aufbauen. Diese Arten bilden oft auch die Basis der Nahrungsketten in den Ozeanen und somit eine Gefahr auch für Meeresbewohner, die für den Menschen wichtig sind.

Was wird, wenn wir so weiterleben?

Daraus ergibt sich die Frage: Was erwartet uns denn, wenn wir so weiterleben wie bisher? Könnten wir erreichen, dass das Ökosystem wieder stabil wird? Dazu müssten wir dafür sorgen, dass der Earth Overshoot Day wieder auf das Ende des Jahres verschoben wird. Prinzipiell könnte das durch zwei Maßnahmen erreicht werden: Entweder müsste die Zahl der Menschen etwa halbiert werden, oder die Menschen müssten ihren Ressourcenverbrauch halbieren. Auch eine Mischung beider Strategien wäre denkbar. Andere Möglichkeiten sind nicht erkennbar. Aber ist wahrscheinlich, dass das erreicht werden kann? Ist es nicht vielmehr so, dass wir uns mehr und mehr einem Zustand nähern, der das Leben der Menschen auf der Erde gefährdet?

Damit wird klar: Selbst wenn auf Klimakonferenzen erreicht werden könnte, dass die Emission von Treibhausgasen auf null gesenkt wird – die anderen wachsenden Probleme werden davon nicht berührt, wie das Artensterben, die Folgen der Überdüngung in der Landwirtschaft, der zu große Süßwasserverbrauch, die Luftverschmutzung, die weiter zunehmende Ozeanversauerung. Ist der Kapitalismus schuld? Um die Situation richtig einschätzen zu können, ist es sinnvoll, sich klarzumachen, wodurch der zu große Ressourcenverbrauch der Weltbevölkerung verursacht wurde: Ist es vor allem das durch den Kapitalismus bedingte Wachstum, wie immer wieder behauptet wird?

Ein Schaubild zur Industrieproduktion liefert die Antwort. Das Wachstum der Industrieproduktion ist eine wesentliche Ursache der CO2-Emissionen. Die Abbildung enthält auch die Pro-Kopf-Industrieproduktion. Wie erkennbar ist, wuchsen beide gleichermaßen bis etwa zum Jahr 1970, dem Jahr, wo wir noch nicht zu viel Ressourcen verbraucht haben. Ab dann stieg die Industrieproduktion pro Kopf nur noch wenig, bis zum Jahr 2000 um etwa 40 Prozent. Die gesamte Industrieproduktion aber erheblich, auf mehr als das Doppelte. In der Zeit von 1970 bis zum Jahr 2000 wuchs die Menschheit von 3,5 auf 7 Milliarden.

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Es muss also diese Zunahme der Weltbevölkerung sein, die die Industrieproduktion so in die Höhe trieb, es war nicht das durch den Kapitalismus bedingte Wachstum. Anders ausgedrückt: Gäbe es weniger als 3,5 Milliarden Menschen auf der Erde, so könnten wir weitgehend so leben wie bisher, ohne zu viel Ressourcen in Anspruch zu nehmen. Um die Erde nicht zu zerstören, schlug die Journalistin Ulrike Herrman in ihrem Buch "Das Ende des Kapitalismus" einen Weg vor, wie das verhindert werden kann: grünes Schrumpfen. Also Einschränkungen unserer Lebensweise so weitgehend, dass wir CO2-neutral leben können.

Nur: Damit ließe sich zwar das Klima beeinflussen; worauf es aber ankäme, wäre, den ökologischen Fußabdruck wieder auf 1 zu bringen. Genauso wenig genügt es, "die Welt zu einem Garten zu machen", wie es der Journalist und Gärtner Jakob Augstein vorschlägt: Grün in die Städte zu holen, um sie abzukühlen. Aus dem Gesagten folgt auch, dass das, was Klimaaktivisten fordern, zu wenig ist, um die Welt zu retten.

Was zu tun bleibt

Wir müssen versuchen, all das in Betracht zu ziehen, was Wissenschaftler aufgezeigt haben; und zwar nicht nur Klimaforscher, sondern auch solche, die sich gefragt haben, was wir tun müssten, um einen "safe operating space for humanity" aufrechtzuerhalten. Da sich der Earth Overshoot Day nicht mehr auf Ende Dezember wird verschieben lassen, müssen wir versuchen, uns so weit wie möglich auf die unausweichlich auf uns zukommenden Probleme vorzubereiten.

Kuno Kirschfeld war Direktor der Abteilung Vergleichende Neurobiologie am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik von 1968 bis zu seiner Emeritierung 2002. Seine Arbeitsgebiete beinhalteten die Primärprozesse und Phototransduktion in den Photorezeptoren von Insekten und die Ionenregulation im Nervensystem.

Verwendete Quellen
  • Zeitschrift Nature, eigene Forschungen
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