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Notre-Dame – Vor Ort in Paris: "Dachte sofort an einen Terroranschlag"


Pariser bestürzt über Notre-Dame
"Unser Herz ist in Flammen aufgegangen"

Aus Paris berichtet Tobias Ruf

Aktualisiert am 17.04.2019Lesedauer: 4 Min.
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Notre-Dame am Montagabend: Das Dach der weltberühmten Kathedrale steht in Flammen, der Spitzturm ist bereits eingestürzt.Vergrößern des Bildes
Notre-Dame am Montagabend: Das Dach der weltberühmten Kathedrale steht in Flammen, der Spitzturm ist bereits eingestürzt. (Quelle: Thierry Mallet/ap)

Dass Notre-Dame mehr als nur eine Sehenswürdigkeit ist, zeigt die emotionale Ausnahmesituation in Paris. t-online.de hat in der französischen Hauptstadt fünf Menschen getroffen, für die die Kathedrale ein Teil ihres Lebens ist. Der Schmerz ist groß, aber auch Wut kommt auf.

Die verheerende Brandkatastrophe in der Kathedrale Notre-Dame hat Paris verändert. Vor allem die Menschen, die zu dem monumentalen Bauwerk eine ganz besondere Beziehung haben. Für sie ist mehr als nur ein Dachstuhl oder ein Kirchturm verloren gegangen.

t-online.de hat sich unweit des Orts der Katastrophen mit fünf Parisern unterhalten, die ihre ganz eigene Geschichte mit Notre-Dame verbinden. Und entsprechend emotional auf die Ereignisse reagieren:

"Es ist unser Herz, das da gestern in Flammen aufgegangen ist." Joey Modeste lebt seit über 30 Jahren in Paris. In dieser Zeit hat er viele Krisen miterlebt. "Wir mussten mit Terror, Ausschreitungen und Naturkatastrophen fertig werden. Aber das, was da gestern geschehen ist, macht mich besonders traurig." Der 56-Jährige Fotograf ist den Tränen nahe, als er von "seiner" Kathedrale spricht. "Für viele Menschen, die von außerhalb kommen, ist der Eiffelturm das Symbol unserer Stadt. Aber nein, für uns Pariser schlägt das Herz hier in Notre-Dame."

Schon als Kind hat Joey Notre-Dame regelmäßig besucht, als Fotograf hat er sich intensiv mit den Feinheiten der berühmten Kirche beschäftigt. Umso trauriger machen ihn die verheerenden Brände, die den historischen Ort wohl für immer verändern. "Notre-Dame wird nie wieder das sein, was es mal war. Heutzutage fehlen uns die handwerklichen Fertigkeiten und die Materialien, um das alles wiederherzustellen. Das macht mich fassungslos."

Von der Uroma bis heute: Notre-Dame prägte ihr Leben

Gegenüber der Kathedrale sitzen Marie-Claire und Elyan im "Bistrot 65". Besonders für Marie-Claire ist Notre-Dame ein ganz spezieller Ort. "Meiner Ur-Großmutter hat das Bistro einmal gehört, meine Mutter ist hier aufgewachsen und hat im Bistro auch meinen Vater kennengelernt. Schon als kleines Mädchen war ich mehrmals die Woche hier, Notre-Dame begleitet mein ganzes Leben."


Die gebürtige Pariserin ist schockiert über das, was sich am Montag im Herzen der französischen Hauptstadt ereignet hat. Ihre Stimme wird ängstlich, die Szenen des Vortags kommen wieder hoch. "Ich habe die Bilder gesehen und bin vom schlimmsten ausgegangen. Notre-Dame ist ein Teil meines Lebens. Ich dachte, dass die Kathedrale komplett in Flammen aufgeht. Ich musste weinen und habe kaum geschlafen." Marie-Claires erster Gedanke, als sie die Bilder übers Fernsehen sah, lässt einen tiefen Einblick in die Pariser Seele zu. "Ich dachte sofort an einen Terroranschlag. Wir haben in den letzten Jahren so viel Leid durch den Terrorismus erfahren."

Elyan hingegen wirkt gefasster, sie beschreibt sich selbst als "pragmatische Pariserin, die hart im Nehmen ist". Sie trinkt einen Schluck Kamillentee und erzählt von ihren Eindrücken. "Natürlich war ich entsetzt über die Flammen an der Kathedrale, an einen Anschlag dachte ich aber nicht. Ich habe mir auch nicht den ganzen Abend die Bilder angesehen, ich wollte mich nicht verrückt machen." Dass das keine Fassade ist, merkt man Elyan an. Sie bringt ihr Naturell auf den Punkt. "Uns Pariser kann so schnell nichts erschüttern. Auch wenn das Feuer in der Kathedrale tragisch ist, das Leben geht eben weiter."

Ähnlich pragmatisch geht Claude-Alain mit den Ereignissen um. Der Mitt-Fünfziger betreibt seit über 30 Jahren einen Souvenirstand direkt gegenüber der Kathedrale. "Ich habe mit einer viel größeren Zerstörung gerechnet. Natürlich machen mich die Bilder traurig, aber wir werden die Kathedrale wieder aufbauen." Was dem gebürtigen Pariser besonders am Herzen liegt: "Das Innere der Kathedrale ist zum Glück erhalten geblieben. Und der Rest, das lässt sich alles schon regeln."


Claude-Alain ist kurz angebunden, an seinem Stand herrscht reger Betrieb. Das ist sogar noch untertrieben. "Was heute hier los ist, habe ich in über 30 Jahren nicht erlebt. Es gab so viele Demonstrationen und Ereignisse hier, aber das toppt alles."

"Das ist wieder typisch für Frankreich"

Auch das kleine Restaurant von Altino ist an diesem Tag ein belebter Ort. Dem redseligen Gastwirt tut die Ablenkung sichtbar gut. "So bleibt keine Zeit nachzudenken", sagt der Inhaber des "Les Gourmands de Notre Dame". Auch Altino ist von den Ereignissen gezeichnet, er schwärmt von der Kathedrale. "Das hier ist der Ursprung Frankreichs. Von Notre-Dame aus ist unsere Nation entstanden."

Auf den pathetischen Altino folgt der verärgerte. "Das ist wieder typisch für Frankreich. Seit Jahren heißt es, dass man die Sicherheit des jetzt leider nicht mehr stehenden Kirchturms prüfen muss. Und jetzt, wie etwas passiert ist, sind plötzlich alle überrascht und handeln. Leider ist es dafür jetzt zu spät. Notre-Dame wird nie wieder sein, was es mal war." Mit einem Lächeln auf den Lippen sagt der Gastronom abschließend: "Das Leben geht weiter. Auch wenn es heute nicht mehr ganz so schön ist wie noch gestern."


Auch wenn die Ereignisse noch präsent sind und einen tiefen Einschnitt bei den Menschen hinterlassen haben, kehrt am ersten Abend nach der Katastrophe allmählich wieder Normalität ein. Normalität gemischt mit Romantik und Wehmut. So wie Paris eben tickt und auch seine Einwohner.

Verwendete Quellen
  • Gespräche in Paris
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