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Auschwitz-Prozess in Lüneburg: Oskar Gröning legt Geständnis ab


Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen
"Buchhalter von Auschwitz" legt Geständnis ab

Von afp, dpa
Aktualisiert am 21.04.2015Lesedauer: 3 Min.
Der frühere SS-Mann Oskar Gröning vor Gericht in Lüneburg.Vergrößern des BildesDer frühere SS-Mann Oskar Gröning vor Gericht in Lüneburg. (Quelle: dpa/ap-bilder)
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In dem wohl letzten großen Auschwitz-Prozess hat der 93-jährige Angeklagte ein umfangreiches Geständnis abgelegt. "Für mich steht außer Frage, dass ich mich moralisch mitschuldig gemacht habe", sagte der frühere SS-Mann Oskar Gröning vor dem Landgericht in Lüneburg in einer langen persönlichen Erklärung. "Diese moralische Schuld bekenne ich auch hier, mit Reue und Demut vor den Opfern. Ich bitte um Vergebung".

Gröning erschien mit einem Rollator im Gerichtssaal, gestützt von seinen Anwälten. Unter den rund 60 Nebenklägern in dem Verfahren sind zahlreiche Holocaust-Überlebende und Angehörige. Das Interesse ausländischer Medien an dem Verfahren ist groß. Juristisch schuldig bekannte der Angeklagte sich nicht. "Über die Frage der strafrechtlichen Schuld müssen Sie entscheiden", sagte er an die Richter gewandt.

Gröning muss sich wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 300.000 Menschen verantworten, weil er während der sogenannten Ungarn-Aktion im Frühsommer 1944 Dienst in Auschwitz-Birkenau hatte. Damals waren binnen weniger Wochen weit mehr als 400.000 Juden aus Ungarn in das Todeslager verschleppt und die meisten von ihnen sofort getötet worden.

Der 93-Jährige räumte ein, 1942 gleich bei seiner Ankunft im Konzentrationslager Auschwitz von der Vergasung der Juden erfahren zu haben. Sollte er verurteilt und für haftfähig erklärt werden, erwartet ihn eine Strafe von mindestens drei Jahren. Für den Prozess sind bis Ende Juli 27 Verhandlungstage angesetzt.

Geld an die SS weitergeleitet

Die Verlesung der Anklage dauerte rund eine Viertelstunde. Die Staatsanwaltschaft warf Gröning vor, mit seiner Tätigkeit im KZ das systematische Töten der Nationalsozialisten unterstützt zu haben. Demnach habe Gröning Geld und Wertgegenstände aus dem von Häftlingen zurückgelassenen Gepäck an die SS weitergeleitet und dem NS-Regime somit wirtschaftliche Vorteile verschafft. Das brachte ihm den Spitznamen "Buchhalter von Auschwitz" ein.

Der "reibungslose Ablauf" der Menschenvernichtung sei nur möglich gewesen durch die "zuverlässige Arbeit" der Bediensteten in den Vernichtungslagern, so die Staatsanwaltschaft. Das hätten die Organisatoren des Holocausts gewusst und sich daher darauf verlassen. Der Angeklagte bestätigte dies. Er schilderte zudem grausame Vorgänge, die sich vor seinen Augen abspielten.

Auf der Suche nach entflohenen KZ-Insassen wurde er Zeuge einer Vergasung in einem dafür umgebauten Bauernhof und hörte die langsam verstummenden Schreie der Opfer. Nachdem er sah, wie ein SS-Mann ein zurückgelassenes Baby gegen einen Lastwagen schlug und tötete, habe er Vorgesetzte eingeschaltet und um seine Versetzung an die Front gebeten, schilderte Gröning. Ihm sei aber gesagt worden, es gebe keine Möglichkeit, dort herauszukommen.

Bürgerliches Leben nach dem Krieg

Zu besagter Tätigkeit im KZ wurde Gröning aufgrund seiner absolvierten Banklehre eingeteilt. Im September 1944 wechselte er doch noch in eine Einheit, die an der Front kämpfte. Nach dem Krieg kam er zunächst in britische Gefangenschaft, dann lebte er mit Frau und Kindern ein bürgerliches Leben in der Lüneburger Heide. Erst Mitte der 80er Jahre sprach er erstmals über seine Vergangenheit. In einer Dokumentation der britischen BBC berichtete er über das, was er in Auschwitz sah und tat. Er selbst beschrieb sich dabei als "Rädchen im Getriebe".

Warum erst jetzt?

Der Holocaust ist mittlerweile über 70 Jahre her. Da drängt sich die Frage auf, warum Gröning erst jetzt der Prozess gemacht wird. Gegen den Angeklagten wurde zwar bereits 1977 ermittelt, das Verfahren wurde jedoch wegen Mangels an Beweisen eingestellt. Dass es jetzt doch noch zum Prozess kam, begründet die Staatsanwaltschaft mit einem wegweisenden Urteil aus dem Jahr 2011. Damals hatte das Landgericht München den Ex-KZ-Wächter John Demjanjuk schuldig gesprochen, alleine aufgrund der Tatsache, dass er im Konzentrationslager Treblinka beschäftigt war.

Das Urteil von München stellt somit eine Wende in der Rechtsprechung bezüglich Auschwitz-Verbrechen dar. Anders als zuvor verzichtete das Gericht hierbei auf den Nachweis einer konkreten individuellen Tätigkeit, die zweifelsfrei mit den Tötungen in Verbindung gebracht werden konnte.

Dadurch stieg automatisch die Chance auf eine Verurteilung im Fall Gröning. Warum auch das Münchner Urteil so spät gesprochen wurde, erklärt sich jedoch nicht.

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