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Ian McEwan: Diesen Schriftsteller sollte man kennen


Tagesanbruch
Dieser Mann hat uns etwas zu sagen

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 21.06.2023Lesedauer: 6 Min.
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Ian McEwan schreibt über Liebe, Verlangen und Verrat.Vergrößern des Bildes
Ian McEwan schreibt über Liebe, Verlangen und Verrat. (Quelle: Imago images)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

die Männer, die derzeit die Schlagzeilen bestimmen, sind entweder dröge, blöde oder böse. In welche Kategorie Friedrich Merz, Till Lindemann, Hansi Flick und Wladimir Putin gehören, dürfen Sie sich selbst aussuchen, aber inspirierend ist doch keiner von ihnen. Ein anderer Mann dagegen umso mehr. Als bescheidener Zeitgenosse drängt er sich nie in die Nachrichten, dafür umso mehr in unsere Herzen und Hirne – wenn man sich dem Vergnügen hingibt, seine Worte zu lesen, und das sollte sich tatsächlich niemand entgehen lassen: Ian McEwan wird man mit Fug und Recht als den größten lebenden Schriftsteller Europas bezeichnen dürfen, ohne auf allzu viel Protest der mitunter missgünstigen Literaturbranche zu stoßen.

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Was lässt sich in seinen Büchern alles entdecken! Die Irrungen und Wirrungen der Pubertät im Debütroman "Der Zementgarten". Die gnadenlosen Mechanismen der Macht und der Medien in "Amsterdam". Die Abgründe unerwiderter Liebe, von Treue und Verrat, von kindlicher Unschuld und gereifter Selbsterkenntnis im Bestseller "Abbitte". Die herzzerreißenden Folgen einer verunglückten Hochzeitsnacht und verklemmter gesellschaftlicher Konventionen in "Am Strand". Die fahrlässige Untätigkeit der Menschheit angesichts des Klimawandels in "Solar". Die tückischen Verlockungen der künstlichen Intelligenz, die die Menschheit ins Verderben stürzen könnten, im Roman "Maschinen wie ich". Die Absurditäten der verkorksten Brexit-Politik in der Novelle "Die Kakerlake". Und das Ausloten eines ganzen menschlichen Lebens im Meisterwerk "Saturday", das einen einzigen Tag im Leben eines Zeitgenossen schildert: vom plötzlichen Aufschrecken am frühen Morgen über die Massendemonstration gegen den amerikanischen Kriegszug im Irak bis zum dramatischen Finale am Abend, als der Protagonist vermeintlich durch eigenes Verschulden seine ganze Familie in Lebensgefahr bringt. Eine moderne Odyssee, auf der wir mit dem Helden seufzen und lächeln, grübeln und hoffen, Angst und Mut verspüren. Wenn man sich in eine Romanfigur verlieben kann, dann in diese.

Ich lege mich fest: Diesen Autor sollte man gelesen haben. McEwans Texte erweitern den Geist, die Sicht auf das Leben und die europäische Zeitgeschichte, sie stärken die Empathie für Mitmenschen. Und wer ungern liest, kann ihm in seinen gelegentlichen Interviews zuhören. Läuft dann allerdings Gefahr, das Beste zu verpassen: den sprachlichen Sog, mit dem er seine Leser einwickelt, sie durch versteckte Andeutungen in Bann schlägt und genauso viele Worte hintereinander setzt, wie es eben braucht, um eine richtig gute Geschichte zu erzählen. Keines mehr und keines weniger. "Tiefe Liebe beinhaltet die Angst, sie zu verlieren" ist so ein Satz des großen Ian. Heute feiert er seinen 75. Geburtstag. Wir schicken einen imaginären Blumenstrauß über den Kanal und versichern ihm unserer zärtlichen Leserliebe: Bitte noch lange weiterschreiben, Mister McEwan!


Das deutsche Fußball-Waterloo

Was bitte war das denn? Die deutsche Fußballnationalmannschaft ist gestern Abend mit 0:2 gegen Kolumbien untergegangen. Ja, Kolumbien. Vier Tage nach der 0:1-Pleite gegen Polen, die auch schon hundsmiserabel war. Nach einem lustlosen Rumgekicke schlichen die Statisten von Bundestrainer Hansi Flick als begossene Pudel vom Platz, wurden von den eigenen Fans ausgepfiffen. Ein Jahr vor der Europameisterschaft in Deutschland schlingert das DFB-Team in eine seiner tiefsten Krisen – und weder der Trainer noch Sportdirektor Rudi Völler scheinen einen Plan zu haben, wie man da schnell wieder rauskommt. Unser Sportchef Andreas Becker ist schon weiter: "Flicks Zeit läuft ab", schreibt er in seinem Kommentar.

Wer könnte den glücklosen Hansi ersetzen und den orientierungslosen Jungmillionären auf dem Platz Disziplin beibringen: Felix Magath? Der wird bald 70. Völler selbst? Das hatten wir schon mal, war auch nix. Nagelsmann? Schon in München gescheitert, wie soll das dann eine Ebene höher was werden? Vielleicht müssen wir uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass die EM im kommenden Jahr ein Turnier wird, bei dem wir uns an der Kickkunst der Franzosen, Spanier, Italiener erfreuen – und bei der eigenen Gurkentruppe lieber wegzappen.


Hilfe abseits der Schlachten

Die Lage auf den Schlachtfeldern ist dramatisch: Die ukrainische Offensive trifft auf erbitterten Widerstand der russischen Besatzer. In Social-Media-Kanälen sind Videos von den brutalen Duellen Mann gegen Mann in den Schützengräben im Donbass zu sehen. Die erspare ich Ihnen, aber dieser Beitrag der ZDF-Kollegen ist empfehlenswert. Angesichts der tobenden Kämpfe mag es seltsam anmuten, schon über den Wiederaufbau des kriegsgebeutelten Landes nachzudenken. Genau das aber tun Regierungs-, Finanz- und Wirtschaftsvertreter ab heute in London bei der Ukraine Recovery Conference – völlig zu Recht. Der britische Premierminister Rishi Sunak und der per Video zugeschaltete ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eröffnen die Konferenz, US-Außenminister Antony Blinken hat seine Teilnahme zugesagt, von deutscher Seite sind Außenamtschefin Annalena Baerbock und Entwicklungsministerin Svenja Schulze dabei.

Zum einen ergibt der frühe Zeitpunkt Sinn, weil ja nicht in allen Landesteilen Krieg herrscht. Firmen brauchen Hilfe bei der Umsiedlung, Kommunen bei der Minenräumung. Außerdem ist der Wiederaufbau, den Experten auf Hunderte Milliarden US-Dollar schätzen, ein derart gigantisches Projekt, dass man gar nicht früh genug damit beginnen kann, die Geberländer zu koordinieren. Und es schadet sicher auch nicht, sich schon mal Gedanken darüber zu machen, wie sich die eingefrorenen Devisenreserven der russischen Notenbank für den Wiederaufbau einsetzen lassen.


Dramatische Suche in der Tiefe

Die Suche nach dem verschollenen U-Boot "Titan", mit dem eine fünfköpfige Crew zum Wrack der "Titanic" hinabtauchen wollte, hält Beobachter in aller Welt in Atem: Seit Sonntag fahnden die kanadische und die US-amerikanische Küstenwache fieberhaft nach den Havaristen, unter denen sich ein britischer Milliardär, ein pakistanischer Geschäftsmann und dessen Sohn sowie ein französischer Forscher befinden. 250.000 Dollar kostete die Teilnahme an der Expedition pro Passagier. Ein Bericht der "New York Times" wirft nun neue Fragen auf: Führungskräfte der Tauchboot-Industrie hatten demnach schon vor Jahren Sorgen bezüglich der Sicherheit der "Titan".

Die Rettungsmission in der abgelegenen Gegend ist zum einen kompliziert: Das Wrack des 1912 gesunkenen Ozeanriesen liegt etwa 684 Kilometer vor der Küste Neufundlands in 3.800 Metern Tiefe auf dem Grund des Atlantiks. Zum anderen drängt die Zeit: Das Tauchboot verfügt nur über begrenzte Sauerstoffvorräte, die etwa bis morgen reichen dürften. Mittlerweile hat Frankreich ein Spezialschiff mit Tauchroboter in die Region entsandt; heute Abend soll es vor Ort eintreffen. Und auch die US-Marine schickt Unterstützung.

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Klimaschutz(schein)gesetz

Die Ampelkoalition will zeigen, dass sie die Zeichen der Zeit verstanden hat: Heute bringt das Bundeskabinett ein Klimaschutzpaket auf den Weg. Mehrere Gesetze sollen zur Eindämmung der Erderhitzung beitragen. So erhoffen sich die Regierenden davon abzulenken, dass sie die unter Angela Merkel beschlossenen Klimaziele für jeden Sektor (also Verkehr, Industrie, Landwirtschaft und so weiter) aufweichen. Statt Einzelzielen für jedes Ministerium soll künftig nur noch ein allgemeines Ziel für alle gelten. Damit hilft die FDP ihrem Verkehrsminister Volker Wissing aus der Bredouille, der seine Klimaziele mit Karacho verfehlt. Bleibt die Frage, wann Deutschland eine Regierung bekommt, die den Klimaschutz wirklich entschlossen voranbringt.


Corona-Aufarbeitung

Waren die Versammlungsverbote während der Corona-Pandemie rechtmäßig? Heute spricht das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig sein Urteil. Der Entscheidung liegt ein Fall aus Sachsen zugrunde: Ein Dresdner hatte gegen eine sächsische Corona-Schutzverordnung geklagt. Sie ließ im April 2020 Ansammlungen nur mit vorheriger Genehmigung und einem Mindestabstand von 1,50 Metern zwischen den Teilnehmern zu. Andere Bundesländer hatten ähnliche Regelungen erlassen. Das Bundesgericht muss entscheiden, ob der Eingriff in die Versammlungsfreiheit zulässig war.


Ohrenschmaus

Ich muss kurz überlegen: Empfehle ich Ihnen heute einen Song, der zu Angela Merkel passt, weil sie nach dem deutschen Großkreuz heute auch noch den bayerischen Verdienstorden bekommt? Oder zu Ehren Ian McEwans einen Song eines anderen großen Briten? Na, ist schnell entschieden.


Lesetipps

Lässt Xi Jinping den Kriegstreiber Putin fallen? Der China-Experte Klaus Mühlhahn erklärt im Interview mit meinem Kollegen Patrick Diekmann, warum es Putin zum Verhängnis werden könnte, dass sich die Volksrepublik in eine riskante Lage manövriert hat.


Die iranischen Revolutionsgarden verüben Anschläge in Deutschland: Die Recherchen meines Kollegen Jonas Mueller-Töwe sind beunruhigend.




Zum Schluss

Hurra, heute ist Sommerbeginn!

Ich wünsche Ihnen einen sommerlichen Tag.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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