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"Oben ohne"-Urteil: Gleiche Brust für alle – Wieviel nackt verträgt Berlin?


Gleiche Brust für alle?
Frau kämpft vor Gericht um ihr Recht auf "oben ohne"


Aktualisiert am 15.09.2022Lesedauer: 4 Min.
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Frau in der Natur (Symbolfoto): Was Frauen im Schwimmbad tragen, ist zum Streitthema in Deutschland geworden.Vergrößern des Bildes
Frau in der Natur (Symbolfoto): Was Frauen im Schwimmbad tragen, ist zum Streitthema in Deutschland geworden. (Quelle: imago-images-bilder)

Weil sie "oben ohne" ging, kam die Polizei. Nun beschäftigt der Fall einer 38-Jährigen ein Gericht. Wie viel Nacktheit verträgt Berlin?

Eines gleich vorweg: Sie habe sich an einem heißen Tag im Juni 2021 auf dem Wasserspielplatz im Treptower Park keineswegs "gesonnt", als Security-Männer an sie herantraten und sie höflich aufforderten, sie möge sich bitte einen BH anziehen, das sei hier kein FKK-Bereich. Eine Familie habe sich wegen der nackten Brust beklagt. Gabrielle Lebreton sagt: "Alle Journalistinnen schreiben das. Das ist falsch. Ich war einfach auf der Suche nach frischer Luft."

Der Unterschied ist ihr wichtig. Und wenn am Mittwoch vor dem Kammergericht der Prozess gegen das Land Berlin wegen dieser Oben-ohne-Geschichte an der "Plansche" beginnt, wird sie noch einmal ausführlich erklären, warum. Lebreton hat das Land auf Schadensersatz verklagt. Sie findet, es sei ihr gutes Recht, sich ihrer Kleidung zu entledigen, wenn es ihr zu heiß werde. Machen Männer schließlich auch.

Die Polizei forderte: "Anziehen – oder gehen!"

Bei Frauen hingegen gelte es gleich als anstößig. Dabei, das hat Lebreton der "Zeit" gesagt, sei die Brust doch ein sekundäres Geschlechtsmerkmal. Sie werde erst durch den männlichen Blick sexualisiert. "Männer müssen offenbar vor den eigenen Trieben geschützt werden, und zwar, indem man die Rechte der Frauen beschneidet."

Das ist harter Tobak: Der Mann, ein Opfer seiner Hormone, ein Unterdrücker? Und entsprechend groß ist der Medienrummel um den Prozess. Dass die Beklagte das Land Berlin ist, entbehrt nicht der Ironie. Ob am Isar-Ufer in München oder an den Stränden von Rügen: Überall dürfen Frauen im Sommer die Oberteile fallen lassen, ohne dass sich jemand daran stört.

Und ausgerechnet in der Hauptstadt des Laisser-faire riefen an einem heißen Tag im Juni 2021 zwei überforderte Sicherheitsmänner die Polizei, weil Gabrielle Lebreton nicht einsah, warum sie ihr T-Shirt wieder anziehen sollte. An die Begegnung erinnert sie sich mit Schrecken. Sie war an jenem Tag im Juni mit ihrem sechsjährigen Sohn auf dem Wasserspielplatz. Der "Zeit" hat sie gesagt, die herbeigerufenen Polizisten hätten sie vor die Wahl gestellt: "Anziehen – oder gehen!"

Ein Gefühl ungeheurer Demütigung

Ihr Sohn habe geflüstert: "Bitte, Mama, zieh dir doch was an." Der Zeitung sagte sie, sie habe in dem Moment gewusst, dass sie vor Gericht ziehen werde wegen dieser Sache. Und: Wäre sie nicht mit dem Kind dort gewesen, hätte sie sich nicht so schnell gefügt.

Sie habe am ganzen Körper gezittert und sich ungeheuer "gedemütigt" gefühlt, erzählte sie der "Zeit" später. "Seit dem Vorfall habe ich mir in der Öffentlichkeit nicht mehr mein Hemd ausgezogen. Ich habe Angst davor."

"Gleiche Brust für alle"

t-online hat die 38-Jährige zum Auftakt des Prozesses für ein Interview angefragt. Aber Lebreton lehnt ab. Es habe viele Falschinformationen zu ihrem Fall gegeben. Wenn sie sich äußern würde, dann nur noch schriftlich.

Man erreicht die Architektin über die Facebook-Seite ihrer Initiative "Gleiche Brust für alle". Der Titel klingt wie eine Kampfansage, und so wird er von einigen auch verstanden. "Zeigt her eure Titten", hat ein Mann unter einen Post geschrieben. Aber genau darum geht es den Frauen eben nicht.

Die Initiative hat in ein Wespennest gestochen

Es ist nur eine relativ kleine Community mit 312 Mitgliedern. Lebreton und ihre Mitstreiterinnen sammeln Unterschriften für eine Petition. Das Grundgesetz soll künftig regeln, dass sich alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht "gleichermaßen und ohne Einschränkungen" mit freiem Oberkörper bewegen dürfen.

Mit ihrer Initiative haben sie offenbar in ein Wespennest gestochen. Landauf, landab forderten Frauen in diesem Sommer, sich ihrer Oberteile entledigen zu dürfen – mit Erfolgen: In Göttingen dürfen Männer und Frauen zumindest an den Wochenenden "oben ohne" baden. "Auslöser" war eine Person, die sich weder als Mann noch als Frau versteht. Die Person war deshalb oben ohne baden gegangen. Das Schwimmbad sah sie als Frau an. Von einem Verstoß gegen die Badeordnung war die Rede.

Rückendeckung von der Ombudsstelle für Antidiskriminierung

Der Prozess vor dem Kammergericht bietet Lebreton und ihren Mitstreiterinnen eine Bühne für diese Forderung. Sie haben eine prominente Unterstützerin an ihrer Seite. Die Leiterin der Ombudsstelle für Antidiskriminierung, Doris Liebscher, hat sie ermutigt, das Land zu verklagen. Vor zwei Jahren hat Berlin als erstes Bundesland ein Antidiskriminierungsgesetz erlassen. Danach darf niemand aufgrund seines Geschlechtes benachteiligt werden. Genau das aber wirft Lebreton dem Land vor. Hätte sie sich sonst an jenem Tag im Juni etwas überziehen müssen, während Männer mit freiem Oberkörper herumlaufen durften?

Auf Empfehlung von Liebscher hat der Wasserspielplatz Plansche seine Nutzungsordnung inzwischen ergänzt. "Die Badebekleidung muss die primären Geschlechtsorgane vollständig bedecken. Dies gilt für alle Geschlechter", heißt es jetzt. Ein Zugeständnis an Lebreton und ihre Initiative. Besänftigen konnte der Bezirk sie damit jedoch nicht.

Ihr geht es nicht nur um ihre Demütigung, es geht ihr ums Prinzip. "Ich möchte alle Menschen, die diskriminiert werden, dazu auffordern und ermutigen, sich an die Polizei zu wenden und wenn nötig vor Gericht zu gehen", schreibt sie in ihrer Antwort an t-online. Sie verstehe nicht, warum die Polizei in ihrem Fall nicht eingeschritten sei, um sie zu schützen.

Seyran Ateş: "Die Chancen stehen eher schlecht"

Ob das Gericht ihrer Argumentation folgt, daran gibt es allerdings Zweifel. "Die Chancen stehen eher schlecht, weil das Gesetz vor allem die Diskriminierung von Minderheiten verfolgt", sagt die Rechtsanwältin Seyran Ateş t-online. Frauen seien aber keine Minderheit. Ihre Bedürfnisse hätte der Gesetzgeber kaum im Blick gehabt.

Die bekannte Frauenrechtlerin und liberale Muslimin ergänzt, ihr sei die Initiative "Gleiche Brust für alle" sympathisch. Sie glaube jedoch, dass die Klage noch aus einem zweiten Grund scheitern könnte. "Das Gericht wird sicher auch abwägen, ob die öffentliche Ordnung 'oben ohne' akzeptieren kann, wenn bei uns Kulturen leben, die so etwas gänzlich ablehnen." Es ist eine Anspielung auf jene Muslime, die auch nach Jahrzehnten in Berlin immer noch nach den Regeln ihrer Vorfahren leben. Ateş sagt, sie rechne damit, dass das eine große Rolle spiele, auch wenn es nicht offen ausgesprochen werde.

Die nächste Beschwerde der Ombudsstelle für Antidiskriminierung ginge sonst an die Richter. Diesmal wegen Rassismus.

Verwendete Quellen
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