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Ukrainische Geflüchtete mit Haustieren: "Sind vor Erschöpfung fast umgefallen"


Mit Haustieren auf der Flucht
"Sie sind vor Erschöpfung fast umgefallen"

  • Nils Heidemann
Von Nils Heidemann

Aktualisiert am 04.04.2022Lesedauer: 4 Min.
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Eine der Katzen und die geflüchtete Familie: Sie sind in Duisburg untergekommen.Vergrößern des Bildes
Eine der Katzen und die geflüchtete Familie: Sie sind in Duisburg untergekommen. (Quelle: privat)

Zehntausende Menschen flüchten derzeit vor dem Krieg in der Ukraine – mit ihnen viele Haustiere. Ein Fall aus dem Ruhrgebiet zeigt, wie beschwerlich diese Reise für die Geflüchteten und die Tiere ist.

Zwei Köfferchen und drei Transportboxen. Mehr hat die ukrainische Familie – eine Großmutter samt Tochter und Enkelin – nicht dabei, als die Duisburgerin Tina Scheuten sie an der S-Bahn in Empfang nimmt.

"Diese armen Menschen", erinnert sich Scheuten zurück: "Sie sind vor Erschöpfung fast umgefallen." Die Flucht mit den Katzen habe man der Familie angesehen, sagt sie. Drei Tage zuvor waren die Ukrainerinnen wegen Russlands Angriffskrieg aus ihrer Heimat Lwiw geflohen, vielleicht für immer.

Die Haustiere zurücklassen? Kommt für die Menschen oft nicht infrage. In der westlichen Welt sei der Status von Haustieren enorm gestiegen, sagt Soziologe Marcel Sebastian von der Universität Hamburg in der Süddeutschen Zeitung. Er forscht zur Beziehung zwischen Mensch und Tier. "Die Tiere werden als beste Freunde und Familienmitglieder wahrgenommen."

"Ich schicke sie jetzt zu euch!"

Die Familien stellt das vor ein Problem: In vielen Sammelunterkünften in den Städten ist die gemeinsame Unterbringung von Flüchtlingen und Haustieren nicht möglich. Die Orte seien dafür nicht ausgelegt, heißt es etwa, außerdem könnten Gesundheitsgefahren für andere nicht ausgeschlossen werden.

Private Organisationen schaffen Abhilfe und helfen bei der Vermittlung. So wie die Plattform "Tasso.Help": Dort können sich Freiwillige eintragen und angeben, dass sie Flüchtlinge samt ihrer Haustiere aufnehmen wollen.

Aber Scheuten reagiert sofort. "Als Tierliebhaberin habe ich mitbekommen, dass die Geflüchteten Probleme haben, zusammen mit ihren Haustieren irgendwo unterzukommen", begründet sie ihre Entscheidung. Als ihre Anzeige Mitte März online geht, dauert es nicht lange, bis etwas passiert.

Einen halben Tag später klingelt bereits ihr Telefon. "Ich bekam einen Anruf aus Dortmund, ich glaube von einem Flüchtlingshelfer. Er hatte meine Anzeige gesehen, stand sehr unter Strom und sagte: 'Ich habe hier drei Flüchtlingsfrauen und drei Katzen, die schicke ich euch jetzt.'"

Katzen sind gut versorgt – aber stark verängstigt

Dafür macht Scheuten schnell zwei ihrer zehn Gästezimmer in ihrem Café in Duisburg-Buchholz frei. "Coronabedingt haben wir aktuell sowieso viele Stornierungen", sagt sie und weiter: "Dort ist auch genug Platz für die Tiere." Fortan kümmert sie sich zusammen mit Freunden nicht nur um die Familie, sondern auch um die Katzen.

Wegen der "schweren Krisensituation" hatten sich die Länder auf solche simplen Vorgänge geeinigt, sagte NRW-Tierschutzbeauftragte Gerlinde von Dehn in der vergangenen Woche. Grundsätzlich gelten für das Mitbringen von Haustieren in die EU strenge seuchenrechtliche Bestimmungen, um beispielsweise Infektionen mit Tollwut auszuschließen. Nun reiche es aus, wenn Flüchtlinge, die eine Unterkunft haben, ihre Tiere bei den kommunalen Veterinärbehörden melden.

Da trifft es sich gut, dass Scheuten in und um Duisburg viele Leute kennt. "Ich bin zum Beispiel gut vernetzt mit dem Tierheim Moers", sagt sie. Katzenstreu, Futter, Kratzbaum – all das ist schnell besorgt. "Die haben die Tiere auch kastriert, chippen und impfen lassen. Nun befinden sie sich in Quarantäne."

Trotzdem seien die Katzen weiterhin stark verängstigt und verkriechen sich häufig. Eine von ihnen lebe bis heute die meiste Zeit im Schrank, sagt Scheuten. "Sie leidet wohl am meisten, da sie sehr scheu ist, und sie war im Hausflur, als in der Nähe eine Bombe detonierte." Auch die Reise mache den Tieren zu schaffen. Scheuten sagt: "Als sie ankamen, waren sie völlig fertig. Ihre Transportboxen voller Kot und Urin."

Das habe auch die Familie emotional mitgenommen. Ihnen seien die Katzen wichtig. "Es sagt ja schon viel aus, dass sie Transportkörbe mitnehmen, aber dafür weniger Gepäck", so Scheuten.

Tränenreiche Umarmung

Und auch sonst merke man der Familie die Strapazen der letzten Wochen und die beschwerliche Reise an. "Sie waren zunächst sehr distanziert und haben sich in Grund und Boden geschämt. Das war eine heftige Nummer."

Scheuten sagt weiter, sie habe das Gefühl, dass die enorme Hilfsbereitschaft die Familie überfordert hat. "Da war zunächst nichts mit überschwänglicher Dankbarkeit. Das hat aber auch keiner von uns erwartet." Die habe sich erst später gezeigt – mit einer tränenreichen Umarmung.

Über das Erlebte sprechen sie demnach nicht, doch langsam leben sie sich ein: Deutschkurse, U-Bahn-Fahrten zum Einkauf, eigenständiges Kochen. All das und vieles mehr ist möglich durch die Hilfe von Scheuten und durch die Vermittlungsplattform "Tasso.Help."

Scheuten selbst sei durch die Begegnung mit den Kriegsflüchtlingen sensibilisiert. "Auch wenn die nicht erzählen, wie es war: Ihre Gesichter und ihre Augen zu sehen und das Verhalten der Katzen, wenn draußen ein Auspuff knallt – diese Gänsehaut, die kann ich gar nicht beschreiben."

Es seien Bilder, die sich einprägen, sagt sie. Wohl auch deshalb wird die Tierfreundin in der Folge sehr direkt, als das Gespräch in Richtung Wladimir Putin gleitet: "Ich bin entsetzt, dass dieses Arschloch all dieses Leid in Kauf nimmt."

Verwendete Quellen
  • Vermittlungsplattform Tasso.Help
  • Mit Informationen der Nachrichtenagentur dpa
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