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Drogen im Hamburger Hafen: Mit diesem Trick narrt die Drogenmafia die Polizei


Der Schmuggel boomt
Mit diesem Trick narrt die Drogenmafia die Polizei

  • Carsten Janz
  • Gregory Dauber
Von Carsten Janz, Gregory Dauber

Aktualisiert am 13.07.2023Lesedauer: 7 Min.
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Der Drogenhandel über den Hamburger Hafen boomtVergrößern des Bildes
Der Drogenhandel über den Hamburger Hafen boomt (Bild: Montage). (Quelle: Imago/Carsten Janz/Montage)

Der internationale Drogenhandel boomt. Tonnenweise wird Kokain aus Südamerika nach Europa geschmuggelt. Der Hamburger Hafen könnte schon bald Antwerpen und Rotterdam als Umschlagplatz Nr. 1 ablösen.

Es ist Nacht. Doch dunkel ist es auf dem riesigen Hafengelände nur an den Stellen, an denen Tausende Schiffscontainer ihren Schatten werfen. Scheinwerfer versuchen, jeden Winkel auszuleuchten. Denn die Betreiber der Containerterminals im Hamburger Hafen wissen: Kriminelle haben es in den Stahlkolossen auf besonders wertvolle Ladung abgesehen – Drogen im Wert von mehreren Millionen Euro. Es geht um Tonnen. 45 Männer wurden allein in den vergangenen Wochen festgenommen. Immer wieder kommen neue in Gruppen. Angst, gefasst zu werden, haben sie offenbar nicht.

Nachts kommen sie, um die berauschende Fracht aus Containern zu holen, in denen eigentlich Bananen, Kaffeebohnen oder Thunfischkonserven aus Südamerika nach Deutschland transportiert werden sollen. Den Hamburger Hafen haben sie als ihren neuen Brückenkopf definiert. Niedrigere Sicherheitsstandards, korrupte Hafenarbeiter und eine unterbesetzte Polizei sprechen mittlerweile für Hamburg und gegen die Häfen von Antwerpen oder Rotterdam, die die Drogenkartelle bislang nutzten.

Ermittler schlagen längst Alarm: Hamburg drohe, zum neuen Drogenhotspot Europas zu werden. Doch wie groß ist das Problem tatsächlich? Und wie kann man es bekämpfen?

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Quelle: t-online

Deals im Verborgenen

Die verborgenen Strukturen des Drogenhandels und das Geschäft der Kartelle werden nur selten medial zum Thema, etwa dann, wenn sich Ermittler für Großfunde feiern lassen. Intensiver wird dagegen auf das Ende des Handels geschaut, auf Kleindealer und Konsumenten in Parks oder Bahnhofsvierteln. Denn Innenpolitiker wissen, diese sichtbaren Drogenorte kommen bei Wählern nicht gut an. Sie schicken deshalb verstärkt Streifen an diese Orte.

Für Aufsehen sorgen auch Meldungen wie jene vom 13-jährigen Mädchen aus Mecklenburg-Vorpommern, das Ende Juni nach dem Konsum einer besonders starken Ecstasy-Pille starb. Ihre Freundin schwebte lange Zeit in Lebensgefahr. In solchen Fällen wird der Ruf nach strengeren Gesetzen laut, nach Drogentests und mehr Prävention.

Dabei ist das Drogenproblem längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Zahl der Drogentoten stieg zuletzt steil an: 2020 waren es noch gut 1.600, 2022 schon 2.000 – mehr als doppelt so viel wie zehn Jahre zuvor. Der Konsum insgesamt nimmt ebenfalls rasant zu. Über Messungen von Rückständen im Abwasser wird ermittelt, wie viele Drogen die Deutschen konsumieren. Die Werte werden immer mehr. Berlin rangiert bundesweit auf Platz eins bei Kokainkonsum, kurz danach folgt Hamburg.

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Quelle: t-online

Rotterdam und Antwerpen

Bislang lag das Zentrum des europäischen Drogenhandels in Belgien und den Niederlanden. Die großen Häfen in Antwerpen und Rotterdam waren ideale Plätze, um unbemerkt Drogen aus Südamerika nach Europa zu bringen. Und wo Drogen ankommen, da werden sie auch konsumiert. Ungeachtet der geringen Einwohnerzahl war das Abwasser in den Niederlanden und Belgien europaweit am meisten mit Kokainrückständen verunreinigt.

Die niederländischen Behörden standen lange Zeit einer Übermacht an Kriminellen gegenüber: Kartelle hatten sich angesiedelt und organisierten den Drogenhandel im Hinterland. Doch die beiden größten Seehäfen Europas haben mittlerweile das Problem erkannt und viele Millionen Euro in die Hand genommen, um ihre Häfen zu sichern. Auch die Polizei hat ihren Einsatz in den Häfen verstärkt.

Einsatz von Sicherheitstechnik

Mit modernster Technik scannen Hunderte Kameras das gesamte Hafengebiet. Jede Sekunde wird ein digitales Abbild des Hafens erstellt, Container- und auch Menschenbewegungen überprüft. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz werden Gesichter analysiert und gecheckt, ob die Personen berechtigt sind, das Hafengelände zu betreten. Sind sie es nicht, verfolgen Drohnen die betreffenden Personen, bis der Sicherheitsdienst sie stellt. So soll verhindert werden, dass Unbefugte die illegale Ladung aus den Containern holen können.

Seit dem Einsatz dieser Technik haben es die Drogenkartelle schwerer, den Handel über diese Häfen abzuwickeln.

Leichtes Spiel in Hamburg

Und seitdem haben sie Hamburg ins Visier genommen. Denn dort fehlen viele dieser Sicherheitsmaßnahmen. Zwar wird auch das Gelände des Hamburger Hafens überwacht. Aber in kriminellen Kreisen und unter Ermittlern ist es nach t-online-Informationen ein offenes Geheimnis, dass es ein Leichtes ist, mithilfe von bestochenen Mitarbeitern auf das Gelände zu gelangen. Der Hamburger Hafen – ein Sicherheitsleck? Auf Nachfrage schreibt eine Polizeisprecherin, dass die Behörde sich gerade intensiv mit "diversen Beteiligten" hierzu austausche.

Dass der Handel über den Hamburger Hafen schon jetzt groß ist, zeigen punktuelle Erfolge der Ermittler. So wurden vor gut zwei Jahren zum Beispiel 16 Tonnen Kokain in Behältern für Spachtelmasse gefunden. Es war der bisher größte Fund in Deutschland und Europa. Das Erschütternde: Der Schwarzmarkt bleibt davon nahezu unberührt, die Verfügbarkeit von Kokain wurde nicht signifikant reduziert. Die Ermittler gehen davon aus, dass nur eines von zehn Kilogramm illegalem Kokain gefunden wird. Die Nachfrage in Deutschland ist demnach riesig.

Die Behörden wissen auch viel über Täter, Vorgehensweisen und Strukturen. Die Tatverdächtigen sind "multiethnisch", so die Ermittler. Sie haben deutsche, albanische, türkische oder auch südamerikanische Pässe. Bei den aktuellen Fällen im Hamburger Hafen handelt es sich laut Polizei um niederländische Staatsangehörige.

Wie funktioniert der Deal?

Erst im Frühjahr hat der Leiter der "Gemeinsamen Ermittlungsgruppe Rauschgift" des Hamburger LKA und des Zolls Einblicke in die sonst verdeckten Prozesse gegeben. Der Kriminalpolizist Oliver Erdmann schildert in einem Fachartikel drei Wege, wie die Drogen in den Hafen kommen – und wieder heraus.

1. Die "Rip-on/Rip-off"-Methode. Hierzu wird ein Überseecontainer in Südamerika unbefugt geöffnet. Große, mit Kokain gefüllte Sporttaschen werden direkt hinter den Containertüren deponiert – griffbereit für eine schnelle Entnahme. Der Frachtcontainer wird anschließend wieder versiegelt und dann teilweise ein weiteres, gefälschtes Siegel im Inneren angebracht. Jeder Container ist mit einer individuellen Kennung versehen, anhand der sich die Box weltweit verfolgen lässt. Die aktuelle Position ist in den Datensystemen der Reedereien und Terminalbetreiber jederzeit abrufbar und hilft somit den Schmugglern. Denn die vom Kartell gekauften Hafenarbeiter können damit den Standort des Containers im Hamburger Hafen melden. So können die Drogen leicht gefunden und vom Gelände gebracht werden. Der eigentliche Empfänger des Containers bekommt von alldem nichts mit.

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2. Der Umbau von Kühlcontainern, in denen Frischwaren transportiert werden. Sie verfügen über dicke und isolierte Wände, in deren Zwischenräumen sich Kokainpakete verstauen lassen. Teilweise werden dafür die Unterböden aufgeflext und wieder verschlossen, oder es werden von außen zugängliche Wartungsklappen genutzt. In einen Containerboden passen rund 500 Kilo, schreibt der LKA-Mann. Bei dieser Methode können sich die Täter etwas mehr Zeit mit der Bergung lassen. Auch hier ist der eigentliche Empfänger der Ware nicht involviert. Die Schmuggler warten also, bis der entleerte Container zu einem Depot gebracht wird. Dann können die Drogen in aller Ruhe aus den Zwischenwänden geholt werden.

3. Das Koks wird gemeinsam mit der Ware verpackt. Mit dieser Methode lassen sich die größten Mengen transportieren. Die Täter verschaffen sich gefälschte Frachtpapiere und täuschen am Hafenterminal vor, den Container zum berechtigten Empfänger transportieren zu müssen. Außerhalb des Hafens werden die Drogen aus dem Container geholt. Anschließend wird er entweder ordnungsgemäß weitertransportiert oder zurück zum Terminal gebracht – oft mit der fadenscheinigen Begründung, es läge ein Irrtum vor. Der eigentliche Empfänger der Ware bekommt auch hiervon nichts mit. Wer doch misstrauisch wird, findet nur verwischte Spuren.

Eine zentrale Rolle spielen in diesen Fällen die sogenannten "Hafeninnentäter", das sind Disponenten einer Reederei, Staplerfahrer, Mitarbeiter in den Kühlzentren oder Lkw-Fahrer. Sie werden von den Kartellen angeworben und sorgen dafür, dass der Container an der richtigen Stelle steht, dass im richtigen Moment einmal weggeschaut oder die Ladung an speziellen Orten abgelegt wird.

Der Weg des Kokain

Das Kokain kommt tonnenweise aus Südamerika. Vor allem aus Kolumbien und Brasilien wird mit Schiffen in die Häfen von Antwerpen, Rotterdam und Hamburg geliefert. Ermittler sprechen derzeit von einer Kokainwelle, die Europa überschwemmt – manche von einem Kokaintsunami. Neben Kolumbien gelten auch Peru und Bolivien als größte Produzenten.

Der Anbau wird dort immer größer und immer professioneller. Waren es in Kolumbien 2013 noch gut 50.000 Hektar, auf denen der Kokastrauch angebaut wurde, verdreifachte sich die Fläche bis 2017 auf 160.000 Hektar. Seitdem stagniert die Anbaufläche zwar, doch die Effizienz des Anbaus wurde deutlich erhöht. Man holt alles aus der Pflanze, was geht. Und bekommt mehr Kokain für die zahlungswilligen Konsumenten in Europa, die vom Hafen in Hamburg beliefert werden. Die Hintermänner achten genau darauf, wie die Sicherheitsstandards in den Zielhäfen sind. Der Hamburger Hafen scheint da aktuell sehr beliebt zu sein.

Ermittler überfordert?

Die Ermittler im Hamburger Hafen stehen also vor einer großen Aufgabe – und fühlen sich dafür von der Politik nicht gut eingesetzt. So kritisiert der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) eine falsche Schwerpunktsetzung im Kampf gegen die Rauschgiftkriminalität.

Wird hier also eine Sicherheit suggeriert, die die Polizei gar nicht leisten kann?

Zu viele Kräfte würden eingesetzt für den Kampf gegen den sichtbaren Drogenhandel auf den Straßen in Szenevierteln, sagt etwa Jan Reinecke, BDK-Landesvorsitzender aus Hamburg. Dabei gehe es dort nur um Mengen im Grammbereich. Doch für Innenpolitiker sei das mit Blick auf Wahlen wichtig, stärke eine dort präsente Polizei doch das Sicherheitsgefühl der Menschen, meint Reinecke. Zu wenige Kräfte blieben daher für den Kampf gegen die dahinterliegenden Strukturen, also die Drogenkartelle, die im Hamburger Hafen tonnenweise Drogen ins Land brächten.

"Sicheheitsgefühl der Bevölkerung"

Tatsächlich bestätigt die Polizei, dass die Konzepte "zur Bekämpfung der öffentlich wahrnehmbaren Drogenkriminalität (...) auch auf die Aufrechterhaltung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung der Freien und Hansestadt Hamburg abzielen". Reinecke ist sich sicher: "Diese politische Entscheidung wird Folgen haben."

Deutschland, konkret Hamburg, drohe durch seinen Hafen zum zentralen Umschlagplatz von Rauschgift in Europa zu werden und "damit zur Heimstätte von Organisierter Kriminalität", fürchtet Reinecke. In den Niederlanden und Belgien führten die massiven Drogeneinfuhren zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und einem regelrechten Drogenkrieg, sogar Journalisten wurden getötet. Droht Deutschland ein ähnliches Szenario?

Hafenbetreiber schweigt zu Sicherheitsmaßnahmen

Zumindest die Betreiber der Hamburger Hafen-Terminals haben inzwischen reagiert. So hat die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) drei Kilometer sogenannten "Nato-Draht" am Zaun des Geländes gespannt – der Draht besteht aus scharfen Schneiden und Widerhaken.

Zudem sollen auf dem Gelände "Powermoons" und andere Lichtquellen aufgestellt worden sein. "Powermoons" sind Leuchtballons, die in der Nacht auch die dunkelsten Stellen des Containerterminals von Altenwerder ausleuchten. Zudem drehen mittlerweile Hubschrauber regelmäßig über dem Gelände ihre Kreise. Auf Anfrage von t-online will die HHLA den Einsatz dieser verschärften Sicherheitsmechanismen nicht kommentieren. "Aus Sicherheitsgründen äußern wir uns nicht detailliert zu den Maßnahmen."

Die HHLA erklärt außerdem, dass auch auf die eigene Belegschaft intensiver geschaut werde. Es gebe Schulungen, etwa zur Korruptionsvermeidung. Und: "Die HHLA hat kürzlich eine interne Sensibilisierungskampagne gestartet." Dabei gehe es auch um "Handlungs- und Verhaltensmöglichkeiten bei möglichen Anwerbeversuchen durch externe Täter". Bei bestimmten Funktionen müssen Bewerber zudem ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, heißt es.

Ob das reicht? Experten bezweifeln, dass solche Maßnahmen allein die Kartelle in Zukunft abschrecken und den Drogenkrieg auf deutschen Straßen stoppen werden.

Verwendete Quellen
  • Anfrage an die Polizei Hamburg
  • Anfrage an Jan Reinecke
  • Anfrage an den Hafen in Antwerpen und Rotterdam
  • Anfrage an die HHLA
  • Eigene Recherche und vertrauliche Gespräche
  • Gespräche mit Mittätern von Drogenhändlern
  • Der Kriminalist: "Kokaineinfuhrschmuggel über die europäischen Nordseehäfen – Situationsanalyse und Bekämpfungsstrategien" (Ausgabe: 4/23)
  • World Drug Report 2021, UNODC
  • statista.com: "Kokainrückstände im Abwasser ausgewählter Städte in Deutschland im Jahr 2022"
  • statista.com: "Anzahl der Drogentoten in Deutschland in den Jahren von 2000 bis 2022"
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