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Krise in Bergkarabach: Armenier joggt barfuß von Hamburg nach Berlin


Geburt des Kindes verpasst
Mann joggt durch Deutschland – aus Verzweiflung


16.08.2023Lesedauer: 3 Min.
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Unterstützer verpflegen Gevork Babayan entlang der Route: In sechs Tagen ist er barfuß rund 280 Kilometer gejoggt.Vergrößern des Bildes
Unterstützer versorgen Gevork Babayan entlang der Route: In sechs Tagen ist er barfuß rund 280 Kilometer gejoggt. (Quelle: Anni Wehbe/Zartonq Kulturzentrum)

Warum sollte ein Mensch barfuß von Berlin nach Hamburg joggen? Ein Armenier hat diese Tortur auf sich genommen – um auf die Krise in seiner Heimat aufmerksam zu machen.

Gevork Babayan ist ein sportlicher, 36 Jahre alter Mann. Doch er läuft auf Krücken, nachdem er sich tagelang für seine Heimat gequält hat und weit über vorstellbare Grenzen hinausgegangen ist. Um auf die Krise in Bergkarabach aufmerksam zu machen, ist er von Berlin bis nach Hamburg gejoggt. Manchmal ganz alleine, immer barfuß, Tag und Nacht. "Ich musste ein besonderes Opfer bringen", sagt er t-online. Wegen seines Marsches hat er sogar die Geburt seines zweiten Kindes verpasst – und würde es genauso wieder machen.

Seit mehr als sieben Monaten riegelt Aserbaidschan die umstrittene Region Bergkarabach im Kaukasus ab, in der westlichen Öffentlichkeit spielt der Konflikt so gut wie keine Rolle. Internationale Beobachter schlagen Alarm: Die humanitäre Krise, in der es an allem mangelt, drohe in einen schleichenden Völkermord zu münden. Bergkarabach liegt zwischen Armenien und Aserbaidschan. International wird es als Teil Aserbaidschans anerkannt, tatsächlich leben dort aber mehrheitlich Armenier. Lesen Sie hier mehr zur lebensbedrohlichen Lage vor Ort und welche Rolle Russland dabei spielt.

"Mein Volk ist stark und ausdauernd"

An Demonstrationen teilzunehmen, war Babayan nicht mehr genug. "Meine Leute leiden seit Monaten, ich nur ein paar Tage", sagt er zwei Tage nach seiner Ankunft in Hamburg. "Ich wollte ein Zeichen setzen: Mein Volk ist stark und ausdauernd." 280 Kilometer ist er in sechs Tagen gelaufen. Das Unmögliche leisten, um Hoffnung für Bergkarabach zu stiften, so erklärt er es. Nicht nur körperlich und mental war das Opfer groß: Sein zweites Kind wurde am Sonntag geboren, als er noch weit von Hamburg entfernt war.

Auf seiner Strecke wurde Babayan darüber im Unklaren gelassen. "Meine Frau wollte es so. Sie wusste, dass ich eine Aufgabe für etwas Größeres erfülle, die vielen Menschen Trost und Zuversicht spenden kann." Nach seiner Ankunft in Hamburg sei er ins Krankenhaus gefahren worden: "Ich dachte, es sei wegen meiner Füße. Als ich in das Zimmer mit meiner Frau und den Kindern kam, war ich überglücklich." Er bereut nichts: "Ich würde es sofort wieder tun, aber jetzt ist erst mal die Familie wichtig."

Schlussetappe war 36 Stunden lang – ohne Schlaf

Babayan wurde fast rund um die Uhr von "großartigen" Unterstützern begleitet, manche liefen Teilstrecken mit ihm mit, andere fuhren in einem Versorgungsauto hinter ihm her. Nur wenige Pausen zum Schlafen, Essen und Versorgen der Füße hat er sich gegönnt. "Die letzten 36 Stunden bin ich ohne Schlaf durchgelaufen." Am Montagnachmittag war er schließlich in Hamburg. Schwer gezeichnet, mit geschwollenen, aufgerissenen und entzündeten Füßen. "Mein ganzer Körper tut mir weh, aber es wird besser", sagt er zwei Tage danach.

In den sozialen Medien habe er Hunderte Solidaritätsnachrichten bekommen, auch vom ehemaligen Boxweltmeister Arthur Abraham, der aus Armenien stammt. "Das ist ein Champion. Seine und viele weitere Nachrichten haben mich sehr motiviert", sagt Babayan. "Ich konnte diese Menschen nicht hängenlassen." Die meiste Zeit sei er gejoggt, nur wenn der Untergrund es nicht zuließ, gelaufen. "Eigentlich hasse ich Joggen", gibt er zu.

"Wo seid ihr?"

Warum das Schicksal seiner Landsleute in Bergkarabach so wenig Beachtung findet, macht ihn ratlos. "Die Solidarität mit der Ukraine ist großartig. Auch ich bete für ihre Freiheit. Aber was ist mit Syrien, was ist mit Arzach?", fragt er sich. Arzach ist der Name der Republik in Bergkarabach, die 1991 ihre Unabhängigkeit erklärt hat – bis heute erfolglos. "Mein Volk stirbt langsam und im Verborgenen. Ich will niemandem die Schuld geben, aber ich frage euch: Wo seid ihr?", sagt er mit bebender Stimme.

"Ich habe während meines Laufs viele Emotionen gespürt: Wut, Trauer, Kraft und Stolz", berichtet Babayan von seinem Innenleben. "Ans Aufgeben habe ich nie gedacht. Die Welt muss wissen, wie stark wir Armenier sind."

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Gevork Babayan am 16. August 2023
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