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Tobi Schlegl im Interview: Buch "Strom" zeigt Alltag auf der Demenzstation


Tobi Schlegl
"Ich habe die Konfrontation mit dem Tod gesucht"

  • Anna Hoffmann
InterviewVon Anna Hoffmann

Aktualisiert am 28.09.2023Lesedauer: 5 Min.
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Tobias Schlegl ist Autor, Moderator und Notfallsanitäter: Seine Erfahrungen auf der Demenzstation hat er in dem neuen Roman "Strom" verarbeitet.Vergrößern des Bildes
Tobias Schlegl ist Autor, Moderator und Notfallsanitäter: Seine Erfahrungen auf der Demenzstation hat er in dem neuen Roman "Strom" verarbeitet. (Quelle: Thomas Leidig)

Tobi Schlegl schmiss seinen Moderatoren-Job, um Notfallsanitäter zu werden. In seinem neuen Roman "Strom" verarbeitet er seine Erlebnisse auf einer Demenzstation.

Als Fersehmoderator hat Tobi Schlegl (45) Karriere gemacht: Von "Viva" über "extra 3" brachte er es bis zur Moderation des ZDF-Kulturmagazin "aspekte". 2016 hing er den Job an den Nagel, um etwas gesellschaftlich Relevantes zu machen. Beim Deutschen Roten Kreuz in Hamburg ließ er sich zum Notfallsanitäter ausbilden.

Zeitgleich begann er zu schreiben, um die Erlebnisse zu verarbeiten. Nach "Schockraum" (2020) erscheint am 28. September sein zweiter Roman "Strom". Darin nimmt Schlegl seine Leserinnen und Leser mit auf eine Demenz-Station und erzählt die Geschichte von Nora und Frank – zwei Pflegekräfte, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die eine will helfen, der andere missbraucht seine Macht.

Herr Schlegl, in Ihrem neuen Roman "Strom" geht es um den Pfleger Frank, der seine Macht missbraucht und seine Patienten tötet. Damit erinnert er stark an den Serienmörder Niels Högel. War er Ihre Vorlage?

Tobi Schlegl: Frank steht in meinem Buch stellvertretend für all die Pfleger, die zu Tätern werden. Das ist nicht nur Högel. Alleine im deutschsprachigen Raum gab es seit 1970 zehn aufgedeckte Mordserien und wahrscheinlich eine hohe Dunkelziffer.

Das klingt ja gruselig …

Nach Högel hat sich wenig in Krankenhäusern getan. Pflegerinnen und Pfleger werden täglich mit Leid, Tod und Trauer konfrontiert und allein gelassen. Jemand, der eine psychische Vorbelastung hat, narzisstisch und labil ist, kann sich dann durch diese Strukturen über Jahre dahin entwickeln, dass er Patienten gefährdet. Ich habe mich gefragt: Was hätte ich getan, wenn ich auf der Demenzstation mit so jemandem wie Frank gearbeitet hätte?

Und wie hätten Sie gehandelt?

Ich hoffe, ich hätte so reagiert wie meine Protagonistin Nora, die sich vehement für die Patienten einsetzt und sich nicht unterkriegen lässt vom System. Nora ist mir in der Art, wie sie auftritt oder wie sie die Patienten sieht, schon sehr ähnlich.

Genau wie Sie macht auch Nora in ihrer Ausbildung zur Notfallsanitäterin ein Praktikum auf der Demenzstation. Was verbindet Sie mit ihr?

Noras Erlebnisse sind nah an dem, was ich auch gesehen und kennengelernt habe. In der Ausbildung zum Notfallsanitäter habe ich 720 Krankenhausstunden einsammeln müssen. Die Demenzstation war besonders eindrücklich.

Warum?

Einmal pro Woche kam jemand mit einem Schifferklavier und hat alte Klassiker wie "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" gespielt. Patienten, die sich sonst nichts mehr merken konnten, haben den Text von vorne bis hinten lauthals mitgesungen. Das waren Momente, die mich berührt haben. Da habe ich gespürt, dass das Leben selbst mit einer so schlimmen Krankheit wie Demenz noch eine Qualität hat.

"Strom" ist bereits Ihr zweiter Roman, der einen Einblick ins Gesundheitswesen gewährt. Warum haben Sie mit dem Schreiben begonnen?

Ich brauche das Schreiben, um Einsätze zu verarbeiten. Das ist wie eine Therapie. Damit ich diesen Job noch länger machen kann, brauche ich beides. Ich kann nicht nur im Blaulichtbereich arbeiten, sonst wäre ich bestimmt im nächsten Jahr ausgebrannt.

Über den Autor

Tobias "Tobi" Schlegl, Jahrgang 1977, moderierte lange beim Musiksender Viva, später die Satiresendung Extra 3 und das Kulturmagazin aspekte. Den Großteil seiner Fernsehjobs gab er 2016 auf und absolvierte eine Ausbildung zum Notfallsanitäter. Von diesem Beruf erzählt er in seinem Roman "Schockraum" (2020), der auf Anhieb zum Spiegel-Bestseller wurde. Tobias Schlegl lebt und arbeitet in Hamburg.

Sie sind Notfallsanitäter, waren als Seenotretter auf dem Mittelmeer, seit Neuestem engagieren Sie sich im Kriseninterventionsteam, betreuen Menschen unmittelbar nach emotional stark belastenden Erlebnissen. Warum suchen Sie immer wieder diese Extreme?

Ich suche die absolute Relevanz und die finde ich zwischen Leben und Tod. Ich habe die Konfrontation mit dem Tod gesucht, weil die Angst so groß war. Ich wollte mehr über den Tod herausfinden. Als ich begonnen habe, im Rettungsdienst zu arbeiten, wollte ich jeden retten, um jeden Preis. Dann merkt man aber über die Zeit, das geht gar nicht. Das muss man akzeptieren.

Was haben Sie über den Umgang mit dem Tod in unserer Gesellschaft gelernt?

Der Tod ist ein Tabuthema. Er findet im Verborgenen statt, im Alltag sieht man kaum kranke und alte Menschen. Sie sind in Pflegeheimen, in Krankenhäusern und allein zu Hause. Ich finde es schade, dass der Kontakt zur älteren Generation verloren geht. Einsätze im Rettungsdienst oder im Kriseninterventionsteam, bei denen man merkt, wie einsam manche Menschen sind, nehmen mich besonders mit. Da fällt es mir schwer, mich zu lösen und sie allein zu lassen.

Gab es Momente, in denen Ihnen das nicht gelungen ist?

Nach anderthalb Jahren war ich kurz davor, die Ausbildung abzubrechen. Ich hatte eine ganze Reihe höchst belastender Einsätze erlebt und dachte, ich kann das nicht weitermachen. Gott sei Dank hat ein Kollege das Kriseninterventionsteam informiert und mich damit gerettet.

Heute arbeiten Sie selbst im Kriseninterventionsteam mit. Was machen Sie dort?

Wenn dramatische Dinge passiert sind wie plötzliche Unfälle mit Todesfolge, Gewaltdelikte, plötzlicher Kindstod oder Suizide, kümmern wir uns um die Psyche der Angehörigen und Betroffenen. Wir leisten Erste Hilfe für die Seele. Wir werden von der Polizei, der Feuerwehr oder dem Rettungsdienst alarmiert und sind dann für die nächsten Stunden vor Ort für die Menschen da, die gerade eine ganz schreckliche Nachricht bekommen haben. Das ist eine besondere Arbeit, die mich sehr erfüllt.

Welche Einsätze gehen Ihnen besonders nah?

Im Gegensatz zum Rettungsdienst gibt man ja niemanden schnell bei der Notaufnahme ab, sondern ist für viele Stunden bei den Menschen. Wenn ein Kind verstirbt, ist das natürlich ganz besonders schrecklich. Ich habe aber gemerkt, dass ich diese Momente aushalten und für die Menschen da sein kann. Und das Gute ist, dass es Supervision gibt. Ich kriege jetzt verpflichtend in der Regel alle anderthalb Monate Gesprächsrunden mit einem Therapeuten, in denen wir besprechen, was wir in den Einsätzen erlebt haben.

Hat Sie Ihr Berufswechsel verändert? Sind Sie heute ein ganz anderer Mensch?

Ja, ich koste das Leben viel mehr aus. Ich kriege immer wieder mit, dass es von jetzt auf gleich vorbei sein kann. Deshalb verschiebe ich Dinge nicht in die Zukunft, sondern mache sie direkt. Tatsächlich ist es das, wonach viele streben. Und deshalb ist der Job im Rettungsdienst oder in der Pflege bei all der Kritik ja auch so schön. Es macht so glücklich, dass man für Menschen da sein kann. Die Prioritäten verschieben sich und Dinge, die vorher problembehaftet waren, erscheinen plötzlich gar nicht mehr so wichtig. Das ist total schön und das hat sich auf jeden Fall verändert. Und zwar ganz intensiv.

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Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Tobias Schlegl
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