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Tag der Deutschen Einheit: Warum die Wiedervereinigung sich verspätete


Nördlichste Grenze
Hier hatte die Deutsche Einheit drei Monate Verspätung


Aktualisiert am 04.10.2023Lesedauer: 3 Min.
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Tausende Menschen strömten am 3. Februar 1990 auf den Strand.Vergrößern des Bildes
Tausende Menschen strömten am 3. Februar 1990 an den Strand (Archivbild): Wenige Stunden zuvor war er noch Sperrgebiet gewesen. (Quelle: Unser Travemünde )

Die deutsche Einheit kam in Travemünde mit Verspätung an. Doch als sie da war, kannten die Menschen kein Halten mehr. 33 Jahre später hat sich das geändert.

Dieses Datum haben die Travemünder exklusiv. Das kann ihnen keiner nehmen. Im Strandbad bei Lübeck hatte die deutsche Einheit Verspätung: Der Grenzzaun zur DDR fiel dort erst am 3. Februar 1990. Gut drei Monate später als im Rest der Republik.

Warum, ist selbst Rolf Fechner nicht bekannt. Dabei weiß der Ortschronist von Travemünde sonst alles über diese Zeit. Mit 76 Jahren und nach 33 Jahren.

"Vielleicht haben sie einfach nicht an uns gedacht", spekuliert er im Spaß. Schließlich war die gemeinsame Grenze dort die nördlichste der ganzen Republik. Weit weg von Berlin und schon immer ein bisschen versteckt.

Die Grenze verlief auf dem Priwall, einer Halbinsel, die großteils zu Travemünde gehörte, ein kleiner Teil jedoch zur DDR. Wer auf den Priwall wollte, musste von Travemünde die Fähre nehmen, meist mit wenigen Einheimischen an Bord und vielen Urlaubern, die er immer schon anzog.

Der Priwall hat einen schönen Strand mit Blick auf Travemünde. Das Leben war dort ruhig. "Zonenrandgebiet" nannten sich solche Ecken, wo Deutschland West auf Deutschland Ost traf, die Welt gefühlt zu Ende war. Auch auf dem Priwall.

Bis zu jenem 3. Februar 1990, dem Tag, an dem endlich auch in Travemünde die Einheit vollzogen wurde. Da stieg dort die wohl wichtigste Party der Region. Obwohl der Weg dorthin beschwerlich war. "Man musste durch den Sand stapfen", schrieb Fechner später in der Heimatchronik nieder. Die Party fand am Strand statt. Der offizielle Grenzübergang auf der Straße hatte noch lange zu.

Mittendrin Grenzpolizisten, die sich "einen bechern"

Die Bilder der Strandparty sind in einem Video festgehalten. Tausende Menschen rennen los, als der Grenzzaun zwischen den beiden Strandhälften endlich aufgemacht wird. "25 Minuten vor der vereinbarten Zeit", schreiben lokale Medien später. Die Leute feiern sich und die neue Freiheit. Blaskapellen stapfen durch den Sand, die Menschen marschieren hinterher. Es wird getanzt und gesungen. Fahnen werden geschwenkt.

Mittendrin Grenzpolizisten West, die mit Grenzpolizisten Ost launig auf die Einheit anstoßen. Als wäre es ganz normal, dass die, die 40 Jahre eine der bestgesicherten Grenzen der Welt bewachten, sich jeden Tag skeptisch auf die Finger guckten, nun gemeinsam am Strand stehen und im Dienst "einen bechern". Drumherum jubelnde Bürger.

Die Torte trug damals noch die Wappen beider Staaten

Im Video lädt eine Stimme die DDR-Bürger zum Büfett ein, von Travemündern, extra für die neuen Nachbarn vorbereitet; samt riesiger Torte in Schwarz-Rot-Gold, noch mit den Wappen beider deutscher Staaten. Vom einen Deutschland war da noch keine Rede. Bestenfalls von einer Kooperation auf Augenhöhe.

Die Bilder sind tatsächlich sensationell, denn wenige Stunden zuvor war der Strand noch Sperrgebiet gewesen: Im Osten von der DDR abgeriegelt, damit kein DDR-Bürger durch die Ostsee in den Westen fliehen konnte. Im Westteil voller Urlauber, gerne komplett nackt, die ihre Badesachen an Ketten trockneten, die westdeutsche Grenzschützer quer über den Strand gespannt hatten, um so den Grenzverlauf zu markieren. Plötzlich was das alles Geschichte. Die Menschen in Ost und West konnten es nicht fassen, feierten bis in die Nacht.

Schon kurz Zeit später trafen sie sich erneut. Diesmal in Pötenitz, dem Grenzort von Travemünde in Mecklenburg, der 30 Jahre lang für die Travemünder tabu war. Da pflanzten sie eine Einheitseiche, später kam noch ein Gedenkstein am ehemaligen Grenzübergang hinzu.

Der Gedenkstein steht noch links am Straßenrand vom ehemaligen Grenzübergang, gut in Schuss, aber weitgehend unbeachtet. Fußgänger beachten ihn kaum, die Autofahrer sowieso nicht.

Fechner findet das okay. "Für uns ist die Einheit Alltag geworden", beschreibt er die Stimmung in Travemünde drei Jahrzehnte nach der großen Party. Travemünder und Pötenitzer seien ganz normale Nachbarn geworden. "Wir verstehen uns gut, aber die Neugierde hat natürlich nachgelassen."

Die Einheit bleibt für ihn trotzdem ein wichtiges Datum. "Wir Travemünder sind darüber sehr froh, freuen uns natürlich darüber, auch heute noch", so der Chronist. "Aber die Partystimmung ist vorbei." Am 3. Oktober 2023 laden die Kirchen in Travemünde zum ökumenischen Gottesdienst und zum Drachensteigen für Kinder ein.

Verwendete Quellen
  • Treffen mit Rolf Fechner, Ortschronist von Travemünder
  • "Unser Travemünde", Heft 1/342, 2010
  • "Unser Travemünde, Heft 4/344, 2010
  • youtube.com: "Öffnung innerdeutsche Grenze am Ostsee-Strand"
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