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Schiffskollision vor Helgoland: So gehen die Ermittler jetzt vor


Frachter-Unglück mit fünf Toten
"Das Schiff muss sehr schnell weg gewesen sein"


Aktualisiert am 26.10.2023Lesedauer: 3 Min.
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Das Rettungsschiff Hermann Marwede auf Suchmission: Vier Seeleute werden weiter vermisst - für sie gibt es keine Hoffnung mehr.Vergrößern des Bildes
Das Rettungsschiff "Hermann Marwede" auf Suchmission: Vier Seeleute werden weiter vermisst – für sie gibt es keine Hoffnung mehr. (Quelle: Kai Twest/Havariekommando/reuters)

Die Ermittlungen zur Unfallursache stehen noch ganz am Anfang. Die Experten werden viele Daten analysieren müssen. Doch es gibt schon ein paar Erkenntnisse.

Der Leiter der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU), Ulf Kaspera, geht davon aus, dass die "Verity" nach ihrer Kollision mit der "Polesie" sehr schnell gesunken ist, möglicherweise innerhalb von wenigen Minuten. Die beiden Schiffe waren am Dienstagmorgen gegen 5 Uhr südwestlich von Helgoland kollidiert.

Für einen schnellen Untergang spricht auch, dass keiner der drei aufgefundenen "Verity"-Seeleute eine Schwimmweste trug. "Das Schiff muss sehr schnell weg gewesen sein, wenn dafür keine Zeit mehr war", sagt Kaspera t-online. "Das treibt uns jetzt um", so der Unfallermittler. Nur zwei Crewmitglieder der "Verity" konnten lebend gerettet werden, einer wurde tot geborgen. Für die übrigen vier besteht keine Hoffnung mehr.

In der Schifffahrt gelten klare Vorfahrtsregeln – theoretisch

Wie es zu der Kollision kommen konnte, wird monatelang Gegenstand internationaler Ermittlungen sein. In der Schifffahrt gelten klare Vorfahrtsregeln, die den nun eingetroffenen Fall verhindern sollen, wie Jörg Kaufmann, Abteilungsleiter Schifffahrt beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), erklärt. Die sogenannten Kollisionsverhütungsregeln sind Teil des internationalen Seerechts. Vereinfacht gesagt gilt bei der Begegnung zweier motorisierter Frachter die Regel "rechts vor links".

In der Theorie bedeutet das: Die "Verity" hätte aus Süden kommend der von Osten kommenden "Polesie" ausweichen müssen – und zwar Richtung Steuerbord, also rechts. Warum das nicht rechtzeitig passierte, sei noch völlig unklar, betont Ermittler Kaspera. Ob die "Polesie" ein sogenanntes Manöver des letzten Augenblicks einleitete, um die Kollision zu verhindern, sei ebenfalls noch zu klären.

Auch die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits

Die Frage der Schuld spielt für die Ermittler der BSU allerdings keine Rolle. "Wir verstehen uns als Gutachter, die der Ursache auf den Grund gehen. Daraus lassen sich dann womöglich Maßnahmen ableiten, um solche Zwischenfälle in Zukunft zu vermeiden", erklärt Kaspera. Wer schuld ist, sei eine Frage der Justiz. "Das sind völlig verschiedene Verfahren." Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat unterdessen schon Ermittlungen aufgenommen. Lesen Sie hier mehr dazu.

Um herauszufinden, wie es zur Kollision kommen konnte, sammelt die BSU nun zunächst allerhand Daten: Neben aufgezeichneten Satellitendaten und Radarbildern wird auch der Schiffsdatenschreiber der "Polesie" ausgewertet. Die gesunkene "Verity" hatte keine Blackbox an Bord, sie ist erst für noch größere Schiffe verpflichtend. "Das ist in dem Fall definitiv schade, aber so sind die Vorschriften", sagt Kaspera. Außerdem werden Unfallbeteiligte befragt, insbesondere die Crewmitglieder, die sich auf den Brücken aufhielten.

Unterwasserbilder der "Verity" sollen bei Aufklärung helfen

Eine Verkehrslenkung wie die Flugsicherung im Luftraum gibt es nicht. "Es gibt Verkehrszentralen, die Gebiete überwachen. Aber die geben keine Anweisungen, wie es bei der Flugsicherung der Fall ist", sagt der Experte für Sicherheit auf See, Jörg Kaufmann. Die Kapitäne steuern ihre Schiffe eigenständig, mithilfe von Seekarten und Radargeräten zur Navigation und Kollisionsvermeidung. Die Nutzung aller an Bord vorhandenen technischen Ausrüstung sei der Regelfall, um die Gefahr einer Kollision zu erkennen und rechtzeitig zu verhindern. Ein reines Fahren auf Sicht sei der Ausnahmefall.

Die augenscheinlich geringen Beschädigungen an der "Polesie", die in der Nacht zum Mittwoch eigenständig nach Cuxhaven fuhr, ließen zunächst kaum Rückschlüsse zu, erklärt Kaspera. Interessanter könnten dagegen Unterwasseraufnahmen vom Wrack der "Verity" sein, die ein Tauchroboter bereits anfertigt. "Daraus können wir dann hoffentlich bessere Rückschlüsse ziehen", so Kaspera.

"Auch ein kleines Schiff kann ein großes versenken"

Die unterschiedlichen Größen der beiden Schiffe könnten durchaus etwas damit zu tun haben, dass die "Verity" sank und die "Polesie" kaum beschädigt wurde. "Der Stärkere setzt sich meistens durch, viel entscheidender ist aber der Aufprallwinkel", sagt Kaspera. "Rammt ein großes Schiff ein kleineres von der Seite, dann bricht das kleinere oder kippt zur Seite. Aber auch ein kleines Schiff kann ein großes versenken, indem es seine Außenwand beschädigt." Es sei möglich, dass der einzige Laderaum der "Verity" sehr schnell vollgelaufen sei, was dann zum Sinken geführt haben könnte.

Die internationalen Ermittlungen, an denen sich die BSU beteiligt, leitet die britische Seeunfalluntersuchungsbehörde. Denn die gesunkene "Verity" fuhr unter Flagge der britischen Isle of Man. Kaspera rechnet damit, dass mindestens ein Jahr vergehen wird, bis ein Abschlussbericht vorliegt. Davor wird aber noch allen Beteiligten die Möglichkeit gegeben, ausführlich Stellung zu beziehen.

Ob die "Verity" zu Untersuchungszwecken geborgen werden muss, ist noch nicht absehbar. Möglicherweise reichten die anderen gesammelten Daten aus, so Kaspera. "Wenn das Wrack aber ein Hindernis für die Wasserstraße darstellt, muss es gehoben werden, aber nicht von uns. Das wird dann bei der Größe ein extrem aufwendiges Unterfangen."

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Ulf Kaspera und Jörg Kaufmann
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