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So lief der erste Prozesstag gegen Wirecard-Chef Markus Braun


Wirecard-Chef vor Gericht
"Die Ganoven mit Schlips und Kragen sind die schlimmsten"

Von Christof Paulus

08.12.2022Lesedauer: 4 Min.
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Markus Braun (rechts) vor seinem Prozess in München: Der einstige Top-Manager von Wirecard muss sich vor Gericht unter anderem wegen bandenmäßigen Betrugs verantworten.Vergrößern des Bildes
Markus Braun (rechts) vor seinem Prozess in München: Der einstige Top-Manager von Wirecard muss sich vor Gericht unter anderem wegen bandenmäßigen Betrugs verantworten. (Quelle: Peter Kneffel / dpa)

Wirecard-Chef Braun steht vor Gericht – endlich. Viele Menschen soll er betrogen, Milliardenschäden angerichtet haben. Auftakt in einem Prozess ohne eigentliche Hauptfigur.

Als wollte es den Weg des einstigen Topmanagers Markus Braun verbildlichen, so ist das Gerichtsgebäude am Stadelheimer Gefängnis gebaut: nach unten. Direkt hinter dem Eingang beginnt die schnurgerade Treppe, die hinab führt zum nächsten Tor, das ein halbes Dutzend Beamte, Kameras und eine Schleuse bewachen. Wie in einem Gefängniskomplex fühlt man sich hier nicht mehr, eher wie in einem Bunker. Oder einem Verlies. Für die nächsten 100 Prozesstage soll das hier die Bühne für einen Mammutprozess sein.

Seit zweieinhalb Jahren sitzt Markus Braun inzwischen in Untersuchungshaft, erst in Gablingen bei Augsburg, seit einigen Wochen im Münchner Gefängnis Stadelheim. 2020 implodierte seine Firma, Wirecard, bei der er fast 20 Jahre lang Vorstandsvorsitzender war. Wie sich herausstelle, war das Unternehmen keine Goldgrube, kein deutsches Vorzeigeunternehmen. Sondern wohl eher Wirkungsstätte einer Bande von Betrügern. So zumindest sieht es die Anklage.

Riesige Anklageschrift im Wirecard-Prozess in München

90 Seiten Skript hat die Staatsanwaltschaft München I zusammengetragen, die am Donnerstag im Stadelheimer Gerichtssaal verlesen werden. Es gibt komplexe Fälle mit langen Anklageschriften, in denen man der Staatsanwaltschaft eine, vielleicht eineinhalb Stunden zuhören muss. Und es gibt Fälle wie den der Wirecard-Manager um Braun: Das Verlesen der Anklage nimmt nicht weniger Zeit in Anspruch als den ganzen ersten Prozesstag. Doch man kann auch versuchen, in wenigen Sätzen zu erklären, was bei Wirecard passiert sein soll.

Jahrelang galt das Unternehmen als Protagonist einer Erfolgsgeschichte – und erzählte diese auch gerne selbst. Wirecard verdrängte die Commerzbank aus dem Aktienindex Dax, war beliebt als Dienstleister bei vielen Unternehmen und Aktionären. Bilanzprüfer und die Aufsichtsbehörde Bafin schauten nicht so genau hin, wie sie es hätten tun müssen. Bis nach einer Recherche der "Financial Times" irgendwann auffiel: Da fehlt immens viel Geld in der Kasse.

Satte 1,9 Milliarden Euro groß war das Loch auf Wirecard-Konten in Asien, vielleicht gab es das Geld nie, vielleicht ist es erst später verschwunden, die Beteiligten erzählen unterschiedliche Geschichten. Welche davon wahr ist, wird über den Ausgang des Prozesses mitentscheiden. Fest steht: Wirecard gibt es nicht mehr. Das Unternehmen meldete Insolvenz an, löste sich auf. Und verdammt viele Menschen verloren verdammt viel Geld.

Wirecard-Aktionär erzählt, wie er Geld verlor

Etwa Wilfried Tonscheck. Der 75-Jährige lebt in München, um 9 Uhr wartet er am Donnerstag vor dem Gerichtsgebäude in Stadelheim. Es ist kalt, kaum über 0 Grad, und er braucht Geduld in der Schlange, viele wollen rein, die Sicherheitskontrollen sind intensiv. "Ich habe auch investiert", sagt er. "Das Geld konnte ich abschreiben." Es sei nicht besonders viel gewesen, über die genaue Summe will er nicht reden. Aber: Es ging um seine Altersvorsorge. Was jetzt mit denen passiert, die ihn mutmaßlich betrogen haben, will er sich selbst ansehen.

"Nein, Genugtuung ist nicht das, worum es mir geht", sagt Tonscheck. Er scherzt, lacht und erzählt ein paar Zoten, wenn er beschreibt, was Wirecard für ihn bedeutet. "Die Ganoven mit Schlips und Kragen, das sind die schlimmsten", sagt er über die Angeklagten. Die bekomme man kaum zu fassen, können sie sich doch Scharen von Anwälten leisten und sich aus allem rauswinden, findet er.

Da hat er nicht ganz Unrecht: Braun und die beiden anderen Angeklagten, der Chefbuchhalter sowie Wirecards Mann in Dubai, haben so viele Anwälte um sich versammelt, dass diese von den Publikumsplätzen teils die Sicht auf das Geschehen im Verhandlungssaal versperren. Nicht, dass die Augen dort viel verpassen würden. Stoisch sitzen Braun, mit seinem berühmten Rollkragenpullover, und die anderen da und warten darauf, dass die Anklageverlesung zum Ende kommt.

Bandenmäßiger Betrug: Berüchtigtste Figur fehlt

Konkret wird den Angeklagten vorgeworfen, Bilanzen gefälscht zu haben; Marktmanipulation und Untreue lauten die anderen Anklagepunkte. Der griffigste jedoch lautet: Bandenmäßiger Betrug. Immer wieder fällt in der Anklage der Name Jan Marsalek. Er war Brauns Stellvertreter – und nach Auffliegen des Skandals die berüchtigtste Figur im Unternehmen. Brauns Version lautet, Marsalek sei der Hauptverantwortliche, habe unter anderem auch ihn betrogen. Doch es bleibt offen, was Marsalek dazu sagt.

Denn der 42-Jährige, wie Braun ein Österreicher aus Wien, ist nicht da. Er ist seit zweieinhalb Jahren verschwunden, geflohen und abgetaucht, als es mit Wirecard zu Ende ging. Es gibt Gerüchte um ihn, manche sagen, er sei in Russland, andere behaupten, er habe eine neue Identität angenommen, sein Aussehen verändert. In diesem riesigen mutmaßlichen Betrugsfall kann man sich alles vorstellen.

Wie der Prozess gegen Markus Braun in München läuft

Mit fast einer Stunde Verspätung beginnt die Verhandlung, eine Kleinigkeit, wenn man es ins Verhältnis setzt: Vor über zwei Jahren begannen die Ermittlungen, 100 Prozesstage sind angesetzt. Dass die nicht reichen könnten, deutet die Verteidigung gleich zu Beginn an.

Aus ihren Reihen kommen zu Beginn gleich zwei Ersuchen, die Zusammensetzung des Gerichts prüfen zu lassen. Das solle nicht als Befangenheitsantrag verstanden werden, heißt es. Aber die Frage, ob jemand auf der Richterbank Wirecard-Aktien hatte oder beim Zusammenbruch der Firma Geld verlor, steht im Raum. Richter Markus Födisch hält sich damit aber nicht auf. Es entstehe der Verteidigung kein Nachteil, wenn der Punkt auf später verschoben werde, argumentiert er.

So ist es die Anklage, die den Tag füllt, indem sie die 90 Seiten Skript verliest. Um das Prozedere nicht unnötig in die Länge zu ziehen, rattern die Staatsanwälte den Text herunter, für Kunstpausen oder Stimmvariationen, all das, was das Zuhören angenehmer macht, ist keine Zeit. So klingt der Vortrag manchmal wie eine Lesung in der Kirche. Das passt zum biblischen Ausmaß dieses Prozesses.

Fortgesetzt werden soll der am Montag an gleicher Stelle. Hatte am ersten Tag die Anklage ihren Platz, könnte es am zweiten Prozesstag zum Auftritt der Verteidigung kommen. Einer von Brauns Mitangeklagten werde ausführlich aussagen, hieß es bereits vor dem Prozess. Offen ist, was Braun sagt. Bereits der Untersuchungsausschuss des Bundestages scheiterte daran, ihn zu vernehmen. Es wird sich zeigen, ob er in München weiter schweigt.

Verwendete Quellen
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