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Kommentator Lindemann spricht über Gesichtslähmung: "Wäre mein Aus gewesen"


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Kommentator über Tumorerkrankung
"Es war für mich ein großer Schock"

  • Noah Platschko
InterviewVon Noah Platschko

Aktualisiert am 23.02.2023Lesedauer: 7 Min.
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Der Sky-Kommentator Marcus Lindemann bei einem Reportereinsatz. Wegen seiner Gesichtslähmung arbeitet er mit einem Tape. (Quelle: IMAGO/Maik Hölter/TEAM2sportphoto)

Seit Oktober 2021 leidet Sky-Reporter Marcus Lindemann an einer Gesichtslähmung. Im Interview mit t-online spricht er ausführlich über seine Situation.

Er wusste sofort, dass etwas schiefgelaufen sein musste. Als Marcus Lindemann am 14. Oktober 2021 aus der Vollnarkose nach einer Operation aufwachte, war seine rechte Gesichtshälfte gelähmt. Dem Sportreporter, bekannt als Kommentator für den Pay-TV-Sender Sky, fällt das Sprechen bis heute schwer. Doch wenn er eines keinesfalls möchte, dann ist es Mitleid.

Im Interview mit t-online spricht der 56-Jährige ausführlich über den Grund für die damalige Operation, wie er mit seiner Beeinträchtigung lebt – und wie er trotzdem seinem Traumjob als Kommentator nachgehen kann.

t-online: Herr Lindemann, wie geht es Ihnen seit der Operation?

Marcus Lindemann: Leider muss ich sagen, dass sich in den vergangenen 13 Monaten, seit ich mit meiner Gesichtslähmung an die Öffentlichkeit gegangen bin, nicht viel verändert hat. Ich bin immer noch auf ähnliche Art und Weise beeinträchtigt wie kurz nach meiner Operation im Herbst 2021. Mehr als ein Jahr ist ins Land gezogen, und es gibt nur geringfügige Verbesserungen. Darum tritt jetzt Plan B ein, und ich werde mich nochmals operieren lassen. Ich hoffe, dass es dann deutlich besser wird.

Weswegen mussten Sie sich damals operieren lassen?

Ohne jetzt zu sehr in die medizinischen Details zu gehen: Bei mir sitzt am Felsenbein, also dem Schädelknochen, in dem das Mittel- und das Innenohr liegen, ein Tumor – ein gutartiger, wie sich nach der damaligen OP herausstellte. Ziel dieser Operation war es, dem Tumor Raum zu geben, sodass dieser nicht weiter auf den Fazialisnerv drückt.

Was ist der Faszialisnerv?

Der Faszialisnerv ist ein Gesichtsnerv, der unterhalb des Gehörgangs aus dem Schädelknochen (am Felsenbein) austritt und das gesamte Gesicht mit einem immer feiner werdenden Netzwerk aus Nervenverästelungen durchzieht. Auf diese Weise steuert er die Mimik, die Speichel- und Tränendrüsen und ist über die Vernetzung der Geschmacksknospen auch am Schmecken beteiligt.

Also jenem Hirnnerv, der durch die OP beschädigt wurde und zu der Lähmung Ihrer rechten Gesichtshälfte, einer sogenannten Faszialisparese, führte.

Ja. Die Tumordiagnose bekam ich bereits 2016. Alle behandelnden Ärzte versicherten mir damals, dass kein Handlungsdruck bestehe, da es sich mit ziemlicher Sicherheit um einen gutartigen Tumor handele. 2021 stellte ich aber ein Zucken im Gesicht fest. Das verstärkte den Wunsch zu handeln. Ein Professor von der Medizinischen Hochschule Hannover schlug mir dann vor, ein Stück Knochen vom Felsenbein wegzunehmen.

Hatten Sie sich überlegt, den Tumor entfernen zu lassen?

Der Tumor hatte sich komplett um den Nerv gewickelt. Wenn man ihn entnommen hätte, wäre eine Gesichtslähmung unausweichlich gewesen. Da ich aber noch möglichst lange in meinem Job als Kommentator arbeiten wollte und will, habe ich mich gegen diesen Schritt entschieden. Leider kam es dann trotzdem genau zu dem, was ich vermeiden wollte: einer Gesichtslähmung.

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Sky-Reporter Marcus Lindemann. (Quelle: HJS via www.imago-images.de)

Das ist Marcus Lindemann

Marcus Lindemann ist seit 1999 bei Sky (ehemals Premiere) festangestellt. Für den Pay-TV-Sender kommentiert er hauptsächlich Spiele der Fußball-Bundesliga und des DFB-Pokals. Von 1992 bis 1999 arbeitete der gebürtige Wuppertaler für den Westdeutschen Rundfunk.

Wie lief die Operation damals ab?

Es war eine längere OP unter Vollnarkose. Man nennt das in der Medizin ein Dekompressionsverfahren. Der Druck auf den Nerv sollte weggenommen werden. Die Idee klang für mich damals auch schlüssig. Nur lief es bedauerlicherweise anders als geplant.

Haben Sie damals sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmt?

Ja. Ich habe unmittelbar festgestellt, dass mir das Sprechen große Schwierigkeiten bereitet. Dazu hatte ich Probleme, mein Auge auf der rechten Seite komplett zu schließen. Mir wurde allerdings gesagt, dass alles gut werde. Es könne ein paar Monate dauern, aber mir wurde sowohl von den Ärzten als auch den Therapeuten versichert, dass nach einer gewissen Rehabilitationszeit der alte Zustand wieder hergestellt werden würde.

Bezieht sich die Beeinträchtigung noch auf weitere Bereiche?

Das zum Glück nicht. Der für den Geschmackssinn mitverantwortliche Trigeminusnerv beispielsweise wurde nicht in Mitleidenschaft gezogen. Auch die Zunge ist Gott sei Dank nicht betroffen – das wäre sonst wohl mein Aus als Kommentator gewesen. Essen, Trinken – das geht alles problemlos. Die Muskulatur bildet sich allerdings an der betroffenen Stelle zurück. Und der fehlende Lidschluss ist ebenfalls ein Problem, weil ich mich darum kümmern muss, dass das betreffende Auge nicht austrocknet.

Als Kommentator ist Ihre Stimme Ihr Kapital. Hatten Sie Angst, dass Ihre Karriere auf dem Spiel steht?

Zunächst einmal war es für mich ein großer Schock zu erfahren, dass ein Tumor in meinem Kopf sitzt. Aber das war wie gesagt bereits 2016. Seit ich weiß, dass es ein gutartiger Tumor ist, habe ich keine existenziellen Ängste mehr. Was das Kommentieren angeht, habe ich den Medizinern vertraut, dass ich geduldig sein muss. Ich bin damals mit dem Gefühl nach Hause gegangen, dass alles wieder gut wird – ohne zu wissen, wann das sein würde.

Wie hat Ihr Arbeitgeber Sky reagiert, als Sie ihm von Ihrer Lähmung berichteten?

Ich hatte meine Chefs im Spätsommer 2021 eingeweiht, dass ich mich einer Operation unterziehen würde. Über meine Ausfallzeit konnte ich allerdings nur spekulieren. Ich stand für eine DFB-Pokalrunde Ende Oktober wieder im Dienstplan, weil ich so zuversichtlich war, dass ich zu diesem Zeitpunkt zurück sein würde. Daraus wurde bekanntlich nichts. Nach längeren Gesprächen haben wir dann beschlossen, dass ich zum Rückrundenstart mit der Partie Bayer Leverkusen gegen Union Berlin wieder an den Start gehen würde.

Am 7. Januar 2022 veröffentlichte Sky ein Video in den sozialen Netzwerken, in dem der Sender Ihre Rückkehr ans Mikro bekannt gab und Sie schilderten, was vorgefallen ist.

Ich wollte verhindern, dass es in der Öffentlichkeit Spekulationen, Gerede gibt, nach dem Motto: "Hat der Kommentator Probleme an den Zähnen oder eine heiße Kartoffel im Mund?", weil ich wusste, dass man mir meine Beeinträchtigung weiter anhören würde. Der Sender und meine Kollegen haben mich immer unterstützt. Ich selbst durfte entscheiden, wann ich zurückkommen wollte, und ich hätte auch weiter vor der Kamera arbeiten dürfen.

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War ein Karriereende eine Option für Sie?

Nein, nie. Ich sah und sehe es als Privileg an, dass ich weiterarbeiten kann, wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Wenn ich in ein Stadion reise und dort kommentieren darf, dann bin ich kein Patient, dann bin ich Reporter. Und das tut mir einfach wahnsinnig gut.

Wie liefen die ersten Wochen und Monate nach Ihrer Rückkehr ab?

In Absprache mit meinen Chefs wurde ich zu Beginn überwiegend in der Nähe meines Wohnorts eingesetzt. Ich lebe in Wuppertal, erreiche dadurch entsprechend viele Bundesliga-Stadien schnell und einfach. Mittlerweile reise ich aber auch wieder mehr durchs Land, wie beispielsweise beim DFB-Pokal, als ich Union Berlin gegen Wolfsburg kommentiert habe.

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Was tun Sie, um Ihrer Einschränkung, so gut es geht, entgegenzuwirken?

Ich habe irgendwann angefangen, die Gesichtshälfte zu tapen, um ihr eine gewisse Stabilität zu verleihen. Das war kein Vorschlag von Therapeuten oder Ärzten, sondern das Ergebnis meiner eigenen Recherche. Zudem lege ich beim Sprechen immer eine Hand auf die entsprechende Seite, um die Muskulatur zu stützen und die Artikulation deutlich zu verbessern.

Sie kommentieren also permanent mit der Hand an der Wange?

Korrekt. Zu Beginn war das noch nicht so, weil ich nicht auf diesen Dreh gekommen bin. Das Tape war schon eine Verbesserung, aber lange nicht so gut, wie durch die Stabilisierung mit der Hand. Die Ober- und Unterlippe hängen bei mir etwas nach unten. Mit der Hand schiebe ich es etwas nach oben, sodass die Symmetrie wieder hergestellt ist. Und mit der Symmetrie funktioniert dann auch die Artikulation wieder. Die Hand ist quasi der Ersatz für die Muskulatur.

Wie sehr beeinträchtigt das wiederum Ihre Art zu kommentieren?

Natürlich bin ich froh, dass ich diesen Kniff entdeckt habe. Aber ich liebe es, mit Händen und Füßen zu kommentieren. Wenn mich ein Fußballspiel mitreißt, dann will ich aufstehen, mit beiden Händen gestikulieren – und das fehlt mir natürlich.

Sie sagten, es gehe kaum voran, was den Heilungsprozess angeht. Wie gehen Sie im Alltag mit Ihrer Lähmung um?

Im Grunde bin ich seit Tag eins mit Rehamaßnahmen beschäftigt. Ich bin je einmal die Woche sowohl bei der Logopädie als auch bei der Physiotherapie, dazu mache ich jeden Tag Elektrotherapie. Ich versuche, manuell die Muskulatur zu stabilisieren, und glaube, dass es sich lohnt, da fleißig zu sein. Sprech- und Sprachübungen, Grimassen schneiden – all das mache ich regelmäßig. Ich bin zuversichtlich, dass sich diese therapeutischen Maßnahmen auf lange Sicht auszahlen werden.

Wie werden Sie medizinisch betreut?

Ich bin im Anschluss an die damalige OP in Hannover immer wieder zu Kontrolluntersuchungen gereist. Als sich dann nach einem Jahr immer noch keine Verbesserung eingestellt hatte, obwohl mir immer wieder gesagt wurde, dass ich nur geduldig sein müsse, meinten dann auch die dortigen Ärzte, es würde wohl nicht mehr besser werden.

Eine frustrierende Erkenntnis.

Ich versuche trotzdem immer positiv zu bleiben und habe mich jetzt, wie anfangs erwähnt, dazu entschlossen, mich nochmals operieren zu lassen. Aufgrund des enttäuschenden OP-Ergebnisses in Hannover fehlt mir aber ein wenig das Vertrauen, sodass ich mich nun von einem anderen Operateur an der Uni-Klinik in Düsseldorf operieren lasse.

Was erhoffen Sie sich durch den abermaligen operativen Eingriff?

Fakt ist erst einmal: Es kann sich an dem aktuellen Zustand nichts verschlechtern. Bei der jetzigen OP wird der Tumor tatsächlich entnommen, das ist der erste Schritt. Der Nerv wird damit endgültig funktionsuntüchtig. Was dann folgt, ist ein diffiziler neurochirurgischer Vorgang: Es werden nervale Äste der Kau- und Zungenmuskulatur umgeleitet, die dann meiner Gesichtshälfte wieder zu mehr Stabilität verhelfen sollen. Ich habe große Hoffnung, dass dieser Eingriff meinen Zustand verbessern wird und ich im Anschluss nach zwei, drei Wochen Pause wieder kommentieren kann.

"Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende", lautet Ihr aktueller WhatsApp-Status. Ein äußerst positiver Spruch, der angeblich auf Oscar Wilde zurückgeht.

Ein sehr schöner Spruch, ja. Der hat aber nichts mit meiner Tumordiagnose oder dergleichen zu tun. Ich finde einfach, dass er eine Allgemeingültigkeit fürs Leben besitzt. Ich gehe alle Sachen positiv an und habe, seit ich mit meiner Beeinträchtigung an die Öffentlichkeit gegangen bin, sehr viel Zuspruch bekommen. Das schätze ich sehr. Und ich möchte betonen, dass ich mir dessen bewusst bin, dass es viele Menschen gibt, denen es deutlich schlechter geht als mir. Dass ich weiter das machen kann, was ich liebe, ist ein Geschenk.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Telefonat mit Marcus Lindemann
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