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Wie die Premier League Pep Gaurdiola entzaubert


Wie der englische Fußball Guardiola entzaubert

Von t-online
Aktualisiert am 16.01.2017Lesedauer: 5 Min.
Pep Guardiola erlebt als Coach von Manchester City schwierige Zeiten.Vergrößern des BildesPep Guardiola erlebt als Coach von Manchester City schwierige Zeiten. (Quelle: Action Plus/imago-images-bilder)
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Von Florian Haupt

Großaufnahmen im Fernsehen können brutal sein. Pep Guardiola, nach dem ersten Gegentor am Sonntag im Goodison Park: regungslos, leerer Blick. Guardiola, nach dem zweiten Gegentor im Goodison Park: regungsloser als regungslos, der Blick irgendwo zwischen verwirrt und beleidigt, als wäre das Leben ein einziges Fragezeichen: Wo bin ich hier gelandet? Und warum tue ich mir das bloß an?

Guardiolas kleines Glück am Sonntag im Goodison Park: Nach dem dritten und vierten Gegentor blendeten sie ihn gar nicht mehr ein. Wobei ihm das sicher egal war, denn Guardiola hat ja nichts übrig für Klatsch und Tratsch, es geht ihm um das Spiel an sich.

Doch an dessen Ende hieß es eben: 0:4. Im Goodison Park bei Everton, dem Siebten der Premier League. Einstellung der höchsten Niederlage seiner Trainerkarriere, einem 0:4 mit dem FC Bayern gegen Real Madrid vor drei Jahren im Champions-League-Halbfinale und einem 0:4 in der Gruppenphase diese Saison gegen Barcelona. Aber das waren Madrid und Barca.

Guardiolas eigenwillige Interpretation

Nun also Everton, ein gutes, heimstarkes Team, ein Klub mit Herz und Tradition, aber auch ein Klub mit viel weniger Geld. Vor der Saison kaufte Manchester City den Verteidiger John Stones von Everton, ein Wunschspieler Guardiolas, für 55 Millionen Euro.

Nach dem Spiel sagte er, seine Mannschaft habe eigentlich alles gut gemacht, mehr Chancen als der Gegner kreiert, aber das Pech gehabt, dass dieser mit dem ersten Torschuss getroffen habe. Es war eine sehr eigenwillige Interpretation des Geschehens. Aber so etwas kommt vor, wenn Trainer unter Rechtfertigungsdruck stehen.

Ein stilprägender Trainer auf dem absteigenden Ast

Will man böse sein, könnte man sagen, die Fallhöhe von Real Madrid zu Everton entspricht ziemlich genau dem Kredit, den Guardiola in den letzten Jahren und Monaten verloren hat. Blieben in seinen drei Jahren bei den Bayern die zumeist deutlichen Champions-League-Niederlagen gegen spanische Teams sein einziger Makel, wurde er in seinem halben Jahr in England schon fünfmal besiegt, er kassierte dabei vier Tore in Leicester und nun also auch in Everton.

City liegt auf Platz fünf der Tabelle, Tendenz: seit Wochen fallend, zehn Punkte hinter Tabellenführer Chelsea. Nächste Woche kommt der Zweite Tottenham, ein Schlüsselspiel, jetzt umso mehr. Geht es so weiter, wird die Champions League nächste Saison nicht mal mehr ein Thema sein für einen stilprägenden Trainer der letzten Dekade, ja: für den Trainer, den viele in und außerhalb der Branche als den Besten des Fußballs bezeichnen.

Guardiola selbst hat das nie behauptet. Er hat nie für sich in Anspruch genommen, der Beste zu sein, oder gar ein Genie. Er hat immer nur gesagt: Ich kann nicht anders Fußball spielen lassen. Ich kann nur so Fußball spielen lassen, wie ich ihn fühle.

Typische Gegentore des Guardiola-Systems

Nach dem Desaster vom Goodison Park ist es nicht unfair zu sagen: So geht es in England aber nicht. Zumindest nicht mit den Spielern, die er hat. Bevor Evertons 18-jähriger Mittelfeldmann Tom Davies, die nächste Perle der besten Nachwuchsakademie Englands, eine beeindruckende Darbietung mit dem 3:0 krönte, bevor der gerade neuverpflichtete und in der Schlussminute eingewechselte Ademola Lookman, 19, quasi mit seiner ersten Ballberührung für Everton die Pointe setzte, bevor es also sowieso nur noch um die Höhe des Resultats ging, da hatte sich Manchester City bereits zwei Gegentore der Art eingefangen, wie es sie andauernd kassiert.

Spielaufbau, die Verteidigung steht hoch, der Gegner schaltet schnell um, kommt in ihren Rücken und kombiniert sich mit ein, zwei Pässen vors Tor. Evertons Belgier Romelu Lukaku und Kevin Mirallas vollstreckten diesmal so wie Leicesters Angreifer um Jamie Vardy im Dezember allein drei Mal in den ersten 20 Minuten.

Guardiola müsse "klar werden, was englischer Fußball bedeutet"

Im englischen TV und Radio holten die Experten am Sonntagabend quer durch die Sender zu flammenden Appellen aus, sie sprachen wie Lehrer zu einem Schüler. "Ihm muss endlich klar werden, was englischer Fußball bedeutet", sagte einer. "Er muss sich daran gewöhnen, weniger Spielkontrolle zu haben", ein anderer.

Das ist tatsächlich so ein Punkt. 71:29 Prozent Ballbesitz hatte City im Spiel bei Everton. Wie so oft bei Guardiola. Doch wo der echte Wert solcher Zahlen schon immer auf die Qualität des Ballbesitzes ankam und in der Epoche des Pressing-Umschaltfußballs immer fragwürdiger erscheint, wirken sie in England erst recht belanglos. Nur in einzelnen Phasen war City nämlich auch wirklich Herr über das Geschehen.

Im englischen Fußball mit seinem irrsinnigen Tempo und seinen vielen Luftkämpfen geht es darum, "den zweiten, dritten oder sogar vierten Ball zu gewinnen", wie Guardiola erkannt hat. Ein solcher Ballgewinn kann ein Dutzend Pässe ersetzen, und viele Teams spekulieren genau darauf, erst recht gegen das technisch überlegene City.

England - kein gutes Pflaster für Ballbesitzfußball

Zweifelsohne steht Guardiola dieser Tage vor der größten Herausforderung seiner Trainerkarriere: Er muss einige seiner heiligsten Prinzipien hinterfragen. Was bringt hohes Pressing, wenn sowieso kein Gegner von hinten rauskombinieren will? Hat es wirklich denselben Wert wie in Spanien oder Deutschland, immer gepflegt das Spiel aufzubauen? Oder ist es nur eine Einladung zu dem, was Premier-League-Teams oft am besten können: draufgehen, Mann gegen Mann, ohne Furcht vor Verlusten.

Das Primat von Ballbesitz und Passfussball in Verbindung mit einer extrem hoch stehenden Abwehr ist riskant. Es funktioniert nur, wenn der Ball nie in gefährlichen Zonen verloren wird. Doch nicht nur attackieren die Gegner in England ungehemmter, auch die Schiedsrichter pfeifen weniger. Selbst Busquets, Xavi und Iniesta hätten auf der Insel ihre Probleme, den Ball immer sauber in den eigenen Reihen zu halten. Fernandinho, Clichy oder Zabaleta haben sie erst recht.

Koeman: Vielleicht ist es hier schwerer für ihn

Das hat nichts mit der Frage zu tun, ob der Premier-League-Fußball besser ist als der deutsche oder gar der spanische. Im Europapokal gewinnen englische Teams ja schon seit Jahren nichts mehr. Es heißt einfach nur, dass er anders ist. Roher und viriler, weniger sublim, aber eben so völlig frei von Furcht, wie Engländer nun mal sind: ob in einer fremden Altstadt oder im Sport. In der Premier League, die trotz der vielen Legionäre immer noch erstaunlich englisch ist, wird nie jemand damit zufrieden sein, nur so oder so hoch gegen den großen Pep verloren zu haben.

Bisher schafft es Guardiola nur sporadisch, den Gegnern seinen Stil aufzuzwingen. Mindestens genauso oft wirkt City wie ein Spielball der Elemente. "Vielleicht ist es gegen die physische Intensität der Premier League wirklich schwerer, so zu spielen, wie er es will", mutmaßt Ronald Koeman, alter Weggefährte aus gemeinsamen Spielerzeiten in Barcelona und als Everton-Coach nun sein deutlichster Bezwinger. "Um zu verstehen, wie schwierig es hier ist, muss du ein Teil davon sein."

Der Star-Trainer ist dechiffriert

Englischer Fußball eben. Man kann viel darüber lästern, die mangelnden Europacup-Erfolge, das urwüchsige Gebolze. Aber nur Arsène Wenger in der großen Zeit von Arsenal hat es bisher wirklich geschafft, diese Elemente zu domestizieren. Eine Saison lang verlor seine Mannschaft nicht, 2003/2004, und dominierte dabei praktisch jedes Spiel mit ihrem schnellen "one-touch"-Passfußball.

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Guardiola dagegen scheint schon nach wenigen Monaten dechiffriert. Der vermeintlich archaische Inselfußball hat nicht lange gebraucht, das Gegengift gegen den vermeintlichen Missionar zu finden. Everton spielte es insofern nach Lehrbuch. Eine Dreierkette in der Abwehr, aufgerückte Außenverteidiger, hohes Pressing. "Koeman hat Citys Taktik vorhergesehen und unseren Matchplan perfekt entworfen", sagte Everton-Profi Seamus Coleman. Der Niederländer wird kaum der letzte damit bleiben.

Platz fünf für City, und der Veränderungsdruck ist auf Guardiolas Seite. "Ich muss mich anpassen", hat er selbst in den letzten Wochen erkannt. Aber vielleicht reicht das nicht mal. Vielleicht muss er sich sogar neu erfinden.

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