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Taktik-Analyse: So plant Löw die Mission Titelgewinn


Taktik-Analyse
So plant Löw die Mission Titelgewinn

Von t-online
08.06.2014Lesedauer: 6 Min.
Joachim LöwVergrößern des BildesJoachim Löw will nach guten Platzierungen nun den großen Wurf landen. (Quelle: dpa-bilder)
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Wenn die deutsche Nationalmannschaft bei der WM in Brasilien um den Titel kämpft, schaut Christian Titz (Video: Portrait) genau hin: Der 43-jährige Fußball-Lehrer und Sportmanager wird während des Turniers exklusiv für t-online.de die Taktik von Bundestrainer Joachim Löw analysieren, die Schwächen des Teams aufzeigen und erklären, was besser laufen muss. Natürlich hat sich Titz, der mehrere Bücher über Trainingslehre geschrieben hat, auch die beiden Testspiele gegen Kamerun (2:2) und Armenien (6:1) angesehen und sich ein Bild über den derzeitigen Leistungsstand der DFB-Elf gemacht.

Das Interview führte Mark Weidenfeller

Herr Titz, welche Lehren haben Sie aus den beiden Testspielen gezogen? Wie weit ist das Team?

Zuerst einmal sollten Testspiele natürlich nie überbewertet werden. Die Mannschaft steckt noch in der Vorbereitung und die Trainingsarbeit steht klar im Mittelpunkt. Zudem war Kamerun ein sehr starker Gegner, die Spritzigkeit fehlt noch - und trotzdem waren schon einige sehr gute Ansätze zu erkennen. Vor allem der Spielaufbau auf der linken Seite über Erik Durm, der mir sehr gut gefallen hat, im Zusammenspiel mit Marco Reus und der nominellen Spitze Mario Götze hat wunderbar funktioniert. Auch Toni Kroos, der immer wieder kluge Pässe gespielt hat, und der extrem laufstarke Sami Khedira in der Zentrale haben ihre Sache ordentlich gemacht. Alle Vorgaben von Joachim Löw wurden aber natürlich noch nicht erfüllt.

Was waren denn diese Vorgaben von Löw?

Die Mannschaft sollte im Mittelfeld Überzahl herstellen, immer möglichst viele Spieler in die Nähe des Balles bringen und so Dominanz ausstrahlen, um nach Ballverlusten durch direktes Gegenpressing in die Ballrückeroberung gehen zu können. Am Ende hatte die deutsche Elf knapp zwei Drittel Ballbesitz, das hat also durchaus funktioniert. Zudem haben Marco Reus, Thomas Müller und Mario Götze immer wieder ihre Positionen verändert und so für viel Unruhe gesorgt. Das 2:2 war letztlich sicher nicht unverdient für Kamerun, aber auch nicht so schlecht wie es oft dargestellt wurde.

Und wie bewerten Sie dass Spiel gegen Armenien – sieht das 6:1 letztlich besser aus als die Leistung tatsächlich war?

Das Spiel gegen Armenien war völlig anders. Im Vergleich zur Partie gegen Kamerun gab es dieses Mal eine Taktikänderung. Aus dem üblichen 1-4-2-3-1-System wurde ein 1-4-3-3, welches spielsituativ wie ein 1-4-1-4-1-System aussah. Philipp Lahm agierte als einziger zentraler defensiver Mittelfeldspieler, Sami Khedira und Toni Kroos bildeten auf den Halbpositionen eine Art Tandem, dazu kamen die Außenspieler Andre Schürrle und Marco Reus, sowie Thomas Müller in der Zentrale als Sturmspitze.

In der zweiten Hälfte sah das dann aber wieder anders aus.

Das ist richtig. Mit dem Wechsel Mesut Özil für Lahm drehte sich das Dreieck im zentralen Mittelfeld. Nach der Pause agierten dann Kroos und Khedira auf einer Linie in der Defensive, Özil spielte vor ihnen in der Offensive. Diese Umstellung hat sehr gut funktioniert. Vor allem Podolski, der für den leider verletzten Reus, positionsgetreu eingewechselt wurde, Schürrle und Özil haben ihre Sache sehr gut gemacht. Eine Leistung, auf der man aufbauen kann. Auch wenn Armenien natürlich nicht das Niveau hatte, an dem man sich messen sollte.

Es sieht also so aus, als plane Joachim Löw mit zwei verschiedenen Systemen: Einmal dem 1-4-2-3-1, und einmal dem 1-4-1-4-1. Können Sie die Vor- oder Nachteile dieser beiden Systeme erklären?

Das ist nicht ganz leicht, denn Systeme sind etwas Verschwimmendes. Die Spieler bewegen sich je nach Spielsituation in bestimmte Räume. Bei eigenem Ballbesitz ist es fast nicht mehr möglich von einem System mit einer klaren Grundordnung zu sprechen, diese wird eigentlich nur in der Defensivbewegung sichtbar. Bei dieser Grundordnung kommt es natürlich in erster Linie auf den Gegner an. Wenn dieser eher defensiv steht und bespielt werden muss, bietet sich die Variante mit Lahm alleine auf der Sechs und zwei spielstarken Akteuren davor an. So kann mehr Druck auf den Gegner ausgeübt werden, gleichzeitig steigt aber natürlich die Anfälligkeit für Konter, weil eben nur noch ein Spieler hauptverantwortlich dafür ist, schnelle Gegenangriffe abzufangen und den finalen Pass zu verhindern. Deswegen gehe ich davon aus, dass sich der Bundestrainer für das gewohnte 1-4-2-3-1 entscheiden wird. In dieser Spielweise ist das Team stabiler und eingespielt. Das hat die zweite Halbzeit gegen Armenien noch einmal bewiesen. Ich bin sehr gespannt wie sich der Bundestrainer entscheiden wird.

Bei der WM 2010 entschied sich der Bundestrainer für eine Taktik mit überfallartigem Konterfußball und sorgte so für Furore. Mittlerweile ist das allerdings nichts Besonderes mehr. Was ist denn in diesem Jahr das Erfolgsrezept?

Die Idee von Joachim Löw basiert natürlich nach wie vor auf Ballgewinn und schnellem Umschaltspiel. Das ist allerdings nur bedingt anwendbar und immer abhängig vom Gegner. Wenn der mit zehn Mann hinten drin steht, brauchst du eine andere Idee. Und da kommt es vor allem auf die Außenspieler wie Müller, Podolski, Schürrle aber auch Özil, Götze oder Klose im Zentrum an. Stellen Sie sich eine gezogene Linie von den beiden Ecken des Strafraums zur Mittellinie vor. In diese Räume versuchen die Außenbahnspieler einzudringen, gleichzeitig bewegen sich die zentralen Offensivspieler in die Zwischenräume zwischen Abwehrkette und Mittelfeld, um dann dort angespielt zu werden. Von hier aus müssen sie versuchen, mit schnellen Passkombinationen oder Dribblings hinter die Abwehrkette zu gelangen. Ziel ist es letztendlich, die pfeilschnellen Offensivspieler gewinnbringend zu bedienen.

Klingt einfach.

Das ist es aber leider ganz und gar nicht. In diesen Bereichen ist der Raum sehr eng und Zeit zum Schalten unfassbar kurz. Die Spieler müssen blitzschnell handeln und technisch sauber spielen. In solchen Partien mit einem tiefstehenden Gegner brauchen das Team und die Fans deshalb zudem vor allem eins: Geduld.

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Stichwort Geduld. Wie entscheidend wird denn der Faktor Wetter in Brasilien sein? Muss die DFB-Elf lernen, mit den Kräften hauszuhalten?

Absolut, das Wetter spielt eine ganze entscheidende Rolle. Mannschaften, die in jedem Spiel Powerfußball spielen wollen, haben bei diesen tropischen Temperaturen jetzt schon verloren. Es kommt auf ökonomischen Fußball an, auf gute Organisation und einen guten Mix aus Ballkontrolle und Umschaltspiel. Diese Art und Weise, Fußball zu spielen, kommt intelligenten Spielern wie Schweinsteiger, Kroos oder Lahm entgegen. Diese Jungs wissen genau, wann das Tempo verschärft, und wann mal rausgenommen werden muss. Das wird ein ganz wichtiger Punkt sein.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Torwart. Mir ist aufgefallen, dass Sie in Ihren Systembezeichnungen immer den Torhüter mit einbeziehen. Also statt dem üblichen 4-2-3-1 sagen Sie 1-4-2-3-1.

Eine Mannschaft besteht nun mal aus elf Spielern, deswegen nenne ich den Torhüter immer mit. Zudem haben Weltklasse-Keeper wie Roman Weidenfeller oder Manuel Neuer schon lange nicht mehr nur die Aufgabe, hinten den Kasten sauber zu halten. Sie haben eine Position in einem taktischen System und damit eine viel größere Bedeutung für das Spiel als noch vor einigen Jahren. Sie müssen sich am Spielaufbau beteiligen und lange Bälle abfangen.

Wäre es aus diesen Gründen wichtig, dass Manuel Neuer fit wird?

Auf der Torhüter-Position müssen wir uns keine Gedanken machen, so oder so. Auch Weidenfeller ist ein herausragender Schlussmann. Aber Neuer ist aufgrund seiner Spielweise vielleicht noch einen Ticken wertvoller für das Team. Er steht immer zehn bis zwanzig Meter vor dem Tor, verhindert so Gegenstöße des Gegners und kann dann mit seinen schnellen präzisen Einwürfen umgehend wieder für eine Spieleröffnung sorgen. Das ist eine ganz besondere Qualität.

Eine weitere viel diskutierte Personalie ist die des vorderen Stürmers. Einfach gefragt: Braucht die Nationalmannschaft einen Stoßstürmer wie Miroslav Klose?

Diese Diskussion wird meiner Meinung nach grundlos geführt. Die DFB-Elf hat mit Götze, Müller oder eben Klose gleich drei Varianten für die vordere Spitze. Der Bundestrainer wird hier je nach Gegner und Tagesform entscheiden.

Was sind denn die Vorzüge der einzelnen Spieler?

Es wird Spiele geben, in denen Kopfballstärke und körperliches Durchsetzungsvermögen im Strafraum gefragt ist. Dann ist sicher Klose die erste Alternative. Götze hingegen kann zwischen den Linien agieren, Bälle schnell weiterleiten und somit Räume für die schnellen Außen schaffen, aber auch mit seiner Wendigkeit und qualitativ hochwertigen Mitnahmetechnik Gegenspieler ins Leere laufen lassen. Müller ist eine Kombination der beiden, er hat sowohl Stärken in der Luft als auch aufgrund seiner Schnelligkeit. Zudem hat er die ganz besondere Qualität, Räume zu deuten und torgefährliche Spielsituationen direkt zu erkennen. Wir sollten also nicht die Frage stellen, ob die Nationalmannschaft einen echten Stoßstürmer braucht, sondern viel mehr froh sein, dass Löw solche Qualität zur Verfügung hat und den Gegner immer wieder vor neue Aufgaben stellen kann.

Mehr Informationen zu Christian Titz, der schon bei großen Vereinen wie Bayer Leverkusen, Schalke 04 oder Ajax Amsterdam hospitierte und den FC Homburg als Chefcoach 2012 in die Regionalliga Südwest führte, finden Sie bei Facebook und seinem YouTube-Channel.

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