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Wie geht es Jan Ullrich heute?


Was macht eigentlich Jan Ullrich?
Ein Leben als Berg- und Talfahrt


Aktualisiert am 16.10.2022Lesedauer: 7 Min.
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Jan Ullrich: Der Tour-de-France-Sieger von 1997 vermeidet beim Thema Doping immer noch offene Worte.Vergrößern des Bildes
Jan Ullrich: Der Tour-de-France-Sieger von 1997 vermeidet beim Thema Doping immer noch offene Worte. (Quelle: imago sportfotodienst)

Er war ein gefeierter deutscher Sportheld – doch Doping, Drogen und Alkohol ließen ihn ganz tief stürzen. Wie geht es Jan Ullrich heute?

Es sind warme Worte unter der noch wärmeren Sonne Mallorcas, die Jan Ullrich von seinem ehemals größten Konkurrenten zu hören bekommt. Im September 2021 besucht Ullrich Lance Armstrong bei dessen "The Move"-Tour auf Mallorca. Bei der Aktion bekommen Fans des US-Amerikaners die Gelegenheit, mit ihrem Idol über die Baleareninsel zu radeln. Stolze 30.000 Euro ist den Teilnehmern das wert.

Dafür bekommen sie neben Armstrong eben auch Ullrich zu sehen, der bei der Gelegenheit auch gleich in Armstrongs gleichnamigem Podcast zu Gast ist und verlegen lächelt, während er mit Lob überschüttet wird: "Er war unser größter Rivale. Er war derjenige, der uns jeden Tag hat aufstehen lassen. Niemand anderes hat mich gekümmert", sagt Armstrong.

Aus Rivalen werden Freunde

Ullrich und Armstrong – es ist die unwahrscheinliche Freundschaft zweier ehemaliger Rivalen. Während sich die talentiertesten Radsportler ihrer Generation in den frühen 2000er Jahren gegenseitig antrieben und mit unbändigem Siegeswillen die Vogesen und Pyrenäen hoch- und runterjagten, motivieren sie sich heute als Freunde.

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Wenn Armstrong berichtet, dass Ullrich ihm während der Mallorca-Tour "in den Arsch getreten hat", freut er sich heute darüber – genau wie Ullrichs Fans. Denn sie alle wissen: Das Leben des mittlerweile 48-Jährigen ist auch abseits des Fahrradsattels eine Berg- und Talfahrt. Ihn bei bester Laune und in körperlich guter Verfassung dort auf dem Podcast-Sofa zu sehen, ist für sie keine Selbstverständlichkeit – eher eine riesige Erleichterung.

"Ich war fast tot"

"Ich war auf demselben Weg wie Marco Pantani, fast tot", bringt Ullrich seinen Zustand der letzten Jahre im Gespräch mit Armstrong auf den Punkt. Pantani – Toursieger von 1998 und ebenfalls großer Rivale von Ullrich – war im Jahr 2004 tot in einem Hotelzimmer gefunden worden. Er litt an Depressionen und starb laut Autopsie-Bericht an einer Überdosis Kokain.

Auch Ullrich kämpfte mit Alkohol- und Drogenproblemen. Schon während seiner Karriere – noch bevor der Fuentes-Dopingskandal seinen Ruf ruinierte und ihn endgültig abrutschen ließ – deuteten sich diese Probleme an. Denn seit jeher pendelte Ullrich zwischen den Extremen. In der Winterpause genoss er sein Leben meist etwas mehr als andere Radprofis und hatte immer wieder mit Gewichtsproblemen zu kämpfen. Bis zu zehn Kilo zu viel habe er teilweise auf den Rippen gehabt, verriet er jüngst im Podcast "Alle Wege führen nach Ruhm" von Fotograf Paul Ripke.

Unfall unter Alkoholeinfluss

Doch dabei bleibt es nicht. Der Jo-Jo-Effekt hält auch Einzug in sein Privatleben. Im Jahr 2002 geht Lebemann Ullrich erstmals zu weit. Mit seinem Porsche rammt er in Freiburg ein Geländer, demoliert zudem zahlreiche Fahrräder und begeht dann Fahrerflucht.

Später kommt heraus, dass der Radstar unter Alkoholeinfluss stand und "ein paar Gläser Wein" getrunken hatte, wie er es formuliert. In der anschließenden Reha wird er positiv auf Amphetamine getestet. Ullrich begründet das mit Pillen, die ihm ein Fremder in einer Diskothek gegeben habe. Erstmals wird der gefeierte Held aus dem Windschatten seiner Erfolge geholt und spürt Gegenwind. Das Saubermann-Image bekommt Risse.

Doping? Ullrich hält sich bedeckt

2006 liegt dann seine sportliche Karriere in Trümmern. Kurz vor Beginn der Tour de France wird er von dem Wettbewerb ausgeschlossen. Doping-Vorwürfe. Um ihn herum gestehen zahlreiche Radsportler, Konkurrenten wie Teamkollegen, die Einnahme unerlaubter Mittel. Anders Ullrich: Er sagt lediglich, er habe nie etwas genommen, was andere nicht auch genommen hätten. Er habe sich keinen Vorteil verschafft und entsprechend niemandem geschadet.

Die Beweise sind jedoch erdrückend – und sein Ruf dahin. 2012 spricht ihn der internationale Sportgerichtshof schuldig. Seine Erfolge ab 2005 werden aberkannt. Nach der Karriere folgt dann der endgültige Absturz in den Alkohol- und Drogensumpf. 2014 verursacht Ullrich erneut unter Alkoholeinfluss einen Unfall. Dieses Mal müssen gar zwei Personen ins Krankenhaus eingeliefert werden. 1,4 Promille hat er im Blut.

Kanonenfutter für die Klatschblätter

Die Skandalakte verlängert sich: 2018 randaliert er auf Mallorca auf dem Grundstück von Nachbar und Schauspieler Til Schweiger. Er bepöbelt dessen Gäste und schlägt eine Person. Seine anschließende Rückkehr nach Deutschland, wo er eine Therapie beginnen will, wird auf Schritt und Tritt von den Medien begleitet. Dort angekommen dröhnt er sich erneut zu, lässt sich eine Escortdame kommen, die er würgt, bis ihr schwarz vor Augen wird. Ullrich kommt für kurze Zeit in U-Haft und in eine Psychiatrie. Danach beginnt er eine Therapie in den USA.

Der Sportler des Jahres 1997 ist endgültig am Tiefpunkt. Die Erinnerung an den sportlichen Überflieger, den ersten deutschen Tour-Sieger, ist längst verblasst. Er ist nur noch Kanonenfutter für die Klatschblätter.

"Mein Kopf ist jetzt wieder klar"

Umso größer ist die Freude vieler Fans, als sie ihn 2021 an der Seite von Armstrong sehen. Während Ullrich bei seinem Tour-Erfolg noch Teamkollegen wie Udo Bölts mit seinem legendären Anfeuerungsruf "Quäl dich, du Sau" die Berge der Vogesen hochtrieben, ist es dieses Mal sein ehemals größter Konkurrent Armstrong, mit dessen Hilfe er diese schwierige Etappe in seinem Leben meistert. "Mein Kopf ist jetzt wieder klar, mein Körper fit. Kein Alkohol, keine Drogen. Ich lebe sehr gesund", macht er seinen Fans Hoffnung. Das habe er auch guten Freunden wie Armstrong zu verdanken, sagt der gebürtige Rostocker.

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Armstrong postete anschließend eine Liebesbekundung auf Instagram: "Es ist unmöglich in Worte zu fassen, was es mir (und Millionen anderen) bedeutet, diesen Mann wieder zurück und gesund zu sehen. Ich bin so stolz auf dich, Champ, und ich liebe dich sehr und werde immer für dich da sein." Was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Er muss sein Versprechen schon bald halten.

Rückfall vor Weihnachten

Denn ein letztes Tal steht Ullrich noch bevor. Kurz vor Weihnachten 2021 erleidet er einen Rückfall. In Mexiko wird er aus einem Flieger geschmissen und ins Krankenhaus gebracht. Erneut ist es Armstrong, der anreist und ihn besucht. In der ARD-Doku "Being Jan Ullrich" berichtet der US-Amerikaner, wie er Ullrich bewusstlos und ans Bett gefesselt antraf. Einige Tage verbringt der Deutsche noch im Krankenhaus und wird dann entlassen.

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Doch auch dieses Tal scheint er mittlerweile erfolgreich durchfahren zu haben. Künftig möchte er wieder mehr Zeit auf dem Rad verbringen. "Ich möchte wieder machen, was ich kann und unter Leute", kündigt Ullrich im Podcast von Paul Ripke an.

Rückkehr auf den Mount Ventoux

Umgesetzt hat er das bereits bei seiner "RE:Tour 22". Ähnlich wie Lance Armstrongs "The Move"-Fahrt, handelt es sich dabei um eine Aktion, bei denen Fans für den ebenfalls stolzen Preis von 25.000 Euro mit ihrem Vorbild radeln können. Mitte September führt die Tour ihn und die zwölf Teilnehmer entlang alter Tour-de-France-Etappen durch die Provence. Highlight: die Fahrt auf den legendären, 1.900 Meter hohen Mount Ventoux.

Um Rekordjagden sei es ihm nicht mehr gegangen, berichtet Ullrich. Es sei eine entspannte Tour, auch mit gutem Essen gewesen. "Wir haben es uns gut gehen lassen", sagt das ehemalige Rundfahrt-Ass. Während er den Ventoux früher in etwas unter einer Stunde gefahren sei, habe er bei der "RE:Tour" zwei Stunden gebraucht.

Natürliche Glückshormone

Auch mental hat ihm die Tour offenbar gutgetan. "Ich brauchte auch ein bisschen Bestätigung", gibt Ullrich offen zu und ergänzt: "Das Feedback war durchgehend sehr gut." Es tue gut, auch mal wieder Schulterklopfen zu kriegen. "Das hatte ich vorher lange nicht. Das fühlt sich gut an", so Ullrich.

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Nur wenige Tage später sitzt er dann schon wieder auf dem Rad – dieses Mal bei einer Neuauflage von Armstrongs "The Move"-Tour. In Ripkes Podcast berichtet er begeistert davon. Wenn der 48-Jährige mittlerweile vom Radfahren spricht, ist ihm die ungebrochene Begeisterung für seinen Sport deutlich anzumerken. Ullrich hat erkannt, dass ihm der Sport viel mehr geben kann als Alkohol und Drogen. Der ehemalige Spitzensportler spricht über die Glückshormone, welche er spürt, wenn er eine Radtour heutzutage geschafft habe. Glückshormone, die "natürlich sind und die nicht von irgendwelchen Substanzen kommen", so Ullrich.

Ullrich will "die Hose runterlassen"

Entsprechend glücklich ist der ehemalige Kapitän des Teams Telekom, dass er mittlerweile seine Söhne auf zwei Rädern sehen kann. "Toni und Benno sind ihr erstes Radrennen gefahren. Sie haben eine Tageslizenz gebucht und sind in Wangen das Rad-Kriterium gefahren", berichtet der stolze Papa.

Ob das Glück dieses Mal auch von Dauer ist? Zumindest möchte Ullrich dazu beitragen, indem er seine Vergangenheit öffentlich noch einmal aufarbeitet. 2023 soll eine Dokumentation erscheinen, in der er "die Hose runterlassen" will. Er wolle ehrlich sein, auch um das Erlebte selbst besser zu verarbeiten. "Ich habe ja immer gedacht, ich kann es selbst verarbeiten, aber es holt einen immer wieder ein", gibt Ullrich nachdenklich zu.

"Mein Weg war der falsche"

Kommt jetzt also doch noch die große Doping-Beichte? Es klingt danach. "Es ist wie ein Eiterpickel, den man ausdrücken muss und dann geht es erst besser", sagt der Olympiasieger von 2000. "Ich hätte mir das vor zwei Jahren nicht vorstellen können, dass ich das mache. Aber mein Umfeld hat mich motiviert und gesagt: Mit deiner Art von Verarbeitung hast du es eben nicht geschafft und bist abgedriftet in Alkohol und Drogen", so Ullrich weiter. Sein Fazit ist klar – und brutal ehrlich: "Mein Weg war der falsche."

Jan Ullrich lebt mittlerweile wieder in Merdingen im Hochschwarzwald, wo er während der Zeit seiner größten Erfolge in den 1990er Jahren heimisch wurde. Ob er nun endlich den richtigen Weg gefunden hat und ob er es schafft, Kurs zu halten, bleibt abzuwarten. "Das Leben ist ein Auf und Ab", stellt auch er fest. Aber er hätte wohl nichts dagegen, wenn es diesmal ein Comeback von Dauer wird.

Verwendete Quellen
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