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Nastassja Kinskis "Tatort"-Nacktauftritt: Wie konnte es so weit kommen?


Wirbel um ARD-Produktion
Der nackte "Tatort"-Auftritt und die Folgen


Aktualisiert am 21.02.2024Lesedauer: 5 Min.
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Nastassja Kinski: Die Schauspielerin im Jahr 1978, ein Jahr nach der "Tatort"-Ausstrahlung.Vergrößern des Bildes
Nastassja Kinski: Die Schauspielerin im Jahr 1978, ein Jahr nach der "Tatort"-Ausstrahlung. (Quelle: R. Cummings/Imago)

Heute ist sie 63 Jahre alt. Doch in den Schlagzeilen steht Nastassja Kinski wegen ihrer früheren Filmkarriere. Einige Szenen aus der Vergangenheit werfen Fragen auf.

Nastassja Kinskis Karriere ist unwiderruflich mit einem ganz bestimmten Film verbunden. Man könnte sogar sagen: Es gibt eine Nastassja Kinski davor und danach. Davor war sie ein vielversprechendes Talent, eine Entdeckung, weil sie in Wim Wenders’ Film "Falsche Bewegung" überzeugend eine stumme Artistin verkörpert hatte. Doch ihr Durchbruch erfolgte erst zwei Jahre später – mit dem "Tatort: Reifezeugnis". Es war die Initialzündung ihrer filmischen Laufbahn. Danach war Nastassja Kinski ein Star, einer von der Sorte, der aus dem Vollen schöpfen konnte, dem die Rollenangebote und die Herzen nur so zuflogen.

47 Jahre später möchte die Schauspielerin mit dem im März 1977 erstmals ausgestrahlten "Tatort" nichts mehr zu tun haben. Über einen Anwalt hat sie den zuständigen NDR aufgefordert, einige Szenen aus dem Film nicht weiter zu verbreiten. Kinski war als damals 15-Jährige nackt vor der Kamera zu sehen. Sie spielte eine Schülerin, die ihren deutlich älteren Lehrer verführt. Wolfgang Petersen, der Regisseur des "Tatort"-Krimis, zeigte Kinski barbusig am See oder mit freiem Oberkörper im Wohnzimmer telefonierend.

"Der NDR hat seit der Anfrage von Frau Kinski geprüft, ob der Film im NDR oder in anderen Landesrundfunkanstalten zur Ausstrahlung vorgesehen ist und auf welchen Plattformen er aktuell angeboten wird. Eine Ausstrahlung in der ARD ist bis auf Weiteres nicht vorgesehen", teilt eine Sendersprecherin t-online auf Anfrage mit und fügt an: "Wir sind im Gespräch mit Lizenznehmern, um den Film bis zur Klärung des Sachverhalts auch von Streamingplattformen zu nehmen."

Nastassja Kinski ist inzwischen 63 Jahre alt, sie hat drei Kinder, alle sind längst erwachsen. Warum wendet sich die vor allem in den späten Siebziger- und Achtzigerjahren extrem erfolgreiche Schauspielerin erst jetzt an einen ARD-Sender, um die Verbreitung von Nacktszenen verbieten zu lassen, in dem Wissen, welche mediale Aufmerksamkeit damit einhergeht?

Zwar kennen sehr viele Menschen den Film aus dem Jahr 1977. Zur Erstausstrahlung sahen ihn mehr als 25 Millionen Zuschauer, allein in den vergangenen fünf Jahren wurde er insgesamt neunmal als Wiederholung auf diversen Sendern gezeigt, zuletzt am 1. Januar 2024 beim RBB. Doch nun steigt das Interesse an dem Stoff durch die Berichterstattung.

Eine 15-Jährige, die für Männer als Erweckungserlebnis dient?

"Im NDR findet eine juristische Prüfung statt sowie eine Abschätzung möglicher Folgewirkungen", sagt eine Sendersprecherin und weist damit auf ein absehbares Problem hin. Der Film könnte im Giftschrank landen. Denn die Folgewirkung von der Löschung der Nacktszenen wäre eindeutig: Der Krimi würde seiner Logik beraubt, die Erzählstruktur wäre dahin, kurz: "Reifezeugnis" wäre Stückwerk, aber kein "Reifezeugnis" mehr. Einer der bekanntesten ARD-Krimis der Fernsehgeschichte wäre nur noch ein Relikt der Vergangenheit.

"Die Darstellung einer sexuellen Beziehung zwischen einem Lehrer und seiner Schülerin und die Nacktszenen" hätten den Film "zum allgemeinen Tagesgespräch" gemacht und unter anderem Nastassja Kinski "den internationalen Durchbruch" beschert, so der NDR auf seiner Website. Und dort steht auch im Folgesatz: "'Reifezeugnis' mit Nastassja Kinski war in den Siebzigern eine sexuelle Initiation für sehr viele männliche Jugendliche. Auch deswegen ist dieser Tatort zur Legende geworden."


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Das Zitat aus dem März 2017 stellt eine Einordnung in den zeitlichen Kontext der Siebzigerjahre und keine Bewertung dar.


NDR-Sendersprecherin


Zitiert wird dafür der NDR-Fiktion-Chef Christian Granderath, ein eigentlich renommierter Produzent. Doch mit diesem Satz ruft er nun Aufsehen hervor. Eine nackte 15-Jährige, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen als Verführerin inszeniert wird, soll ein sexuelles Erweckungserlebnis für viele junge Männer gewesen sein? Ob Granderath das heute auch noch so sagen würde? "Das Zitat des NDR-Fiktion-Chefs aus dem März 2017 stellt eine Einordnung in den zeitlichen Kontext der Siebzigerjahre und keine Bewertung dar", lässt der NDR auf t-online-Anfrage mitteilen. Auf der Website des Senders bleibt das Statement weiterhin stehen – auch ohne redaktionelle Einordnung zum "zeitlichen Kontext".

Doch warum ist ein 15-jähriges Mädchen überhaupt nackt an einem Set, dreht hüllenlos intime Szenen vor der Kamera? Laut Nastassja Kinskis Anwalt habe dafür keine Genehmigung vorgelegen. "Nastassja Kinski war damals faktisch ohne Begleitung am Set, als die Szenen gedreht wurden", so Rechtsanwalt Christian Schertz zum "Spiegel". Und ihre Eltern – wussten die davon? Schwer zu glauben, dass ihr Vater nicht absehen konnte, was aus dem Drehbuch seiner Tochter werden würde. Schließlich war Klaus Kinski damals einer der größten Filmstars des Landes, hatte zum Zeitpunkt der "Reifezeugnis"-Dreharbeiten schon an mehr als 100 Produktionen mitgewirkt.

Doch die Beziehung zwischen Klaus Kinski und seiner Tochter Nastassja gilt – so viel wissen wir heute – als mindestens kompliziert, wenn nicht gar gestört. Als Nastassja neun Jahre alt war, verließ Klaus Kinski die Familie. Später erhebt Nastassjas Halbschwester Pola Kinski Missbrauchsvorwürfe gegen ihren Vater, Nastassja schließt sich an, nennt ihren Erzeuger einen "Tyrannen".

Ihre Mutter Brigitte Ruth Tocki zieht sie ab 1970 allein auf. "Wenn ich jetzt zurückdenke, war ich diesem Alter schon sehr viel und oft allein", erzählt Nastassja Kinski 2005 in einem Interview mit der "Berliner Zeitung" über ihre Jugend und den frühen Karrierestart mit zwölf Jahren. Über ihre vielen, oft sexuell konnotierten, sehr freizügigen Rollen sagt sie: "Ich glaube, ich hatte damals einfach nicht genügend Führung und vielleicht auch nicht das nötige Selbstbewusstsein."

"Es gibt Szenen, die würde ich meine Tochter nie machen lassen"

Ein Mädchen ohne elterliche Fürsorge, die nun, fast 50 Jahre später, ihre Jugendfehler erkennt? 2005 hieß es von Nastassja Kinski vielsagend: "Der Wenders-Film und Wolfgang Petersens 'Reifezeugnis' haben dieses Image dann sehr geformt, und es gibt da schon Szenen, die würde ich meine zwölfjährige Tochter nie machen lassen." Dieses Image, das war vor allem das der blendend aussehenden, verführerischen Frau. Auf der Leinwand wurde Kinski immer wieder als Venusfalle oder Nymphe inszeniert, spielte mal sinnliche, mal explizit sexualisierte Rollen.

"Dann kamen eben die nächsten und sagten, guck mal so, und mach mal das, zieh mal dies an und das aus. Ich fand das innerlich schon ein wenig seltsam, aber ich dachte, so muss es wohl sein, damit ich weiter arbeiten kann. Als Kind versteht man das ja nicht so sehr, und schließlich kamen immer mehr Filme und Magazintitel", ließ Nastassja Kinski vor knapp 20 Jahren in ihre Gefühlswelt blicken. Die erotische Anziehungskraft, mit der sie berühmt wurde, war für die Frau offenbar auch eine Bürde.

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In der Filmkritik, teilweise auch in der zeitgenössischen, wurde das durchaus registriert. So hieß es vergangenes Jahr in einem Text der Deutschen Presse-Agentur zu ihrem Erotikdrama "Maria's Lovers" von 1984: "Das Frauenbild in diesem Film ist schon sehr antiquiert, eigentlich schade, dass Nastassja Kinski relativ wenige Rollen gespielt hat, die ihren schauspielerischen Fähigkeiten wirklich gerecht wurden."

Auch ein Jahr nach dem "Tatort" Nacktauftritt als Minderjährige

Tatsächlich ist ihre Vita vor allem zu Karrierebeginn voll mit Rollen, die aus Männerperspektive geschrieben und inszeniert wurden: Im besten Sinne galt Nastassja Kinski als "Die Verwegene", im schlimmsten Fall als Lustobjekt.

Auch ein Jahr nach dem "Tatort: Reifezeugnis" war sie nackt vor der Kamera zu sehen. In dem italienischen Spielfilm "Bleib wie du bist" spielte sie statt einer Schülerin eine Studentin. Diesmal verdrehte sie keinem älteren Lehrer den Kopf, sondern einem Architekten. 1978 war das Erotikdrama zu sehen, noch heute finden sich in einschlägigen Bildagenturen Nacktaufnahmen Kinskis. Zur Zeit der Dreharbeiten von "Bleib wie du bist" ist die Schauspielerin noch nicht volljährig. Ob Nastassja Kinski auch gegen diesen Film und die Verbreitung der Nacktszenen vorgeht? Eine Anfrage an ihren Anwalt Christian Schertz bleibt am Mittwoch zunächst unbeantwortet.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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