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Angeborener Herzfehler: Baby Sophia sollte zum Sterben nach Hause


Angeborener Herzfehler
Baby Sophia sollte zum Sterben nach Hause

t-online, Anja Speitel

Aktualisiert am 23.12.2013Lesedauer: 7 Min.
Angeborener Herzfehler: Sophia ist noch am Leben, weil ihre Eltern sie nicht aufgegeben haben.Vergrößern des BildesDie kleine Sophia kam mit einem Einkammerherz zur Welt. Sie ist noch am Leben, weil ihre Eltern nicht aufgegeben haben, obwohl die Ärzte pessimistisch waren. (Quelle: privat)
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Sophia kam mit einem komplexen Herzfehler auf die Welt: Sie hat ein sogenanntes Einkammerherz, dazu weitere Anomalien an Herz und Lunge, sodass die Organe ihren Körper nicht mit Sauerstoff versorgen konnten. Die Ärzte hatten kaum Hoffnung und wollten Sophia zum Sterben nach Hause schicken. Doch die Eltern Waldemar und Julia kämpften um ihre Tochter. Die Behandlung in einem spezialisierten Herzzentrum rettete ihr das Leben.

Sophia erblickte am 4. Juni 2013 in Aschaffenburg das Licht der Welt. Das kleine Mädchen mit dem blonden Haar und großen blauen Kulleraugen war ein absolutes Wunschkind. "Wir haben uns so sehr auf sie gefreut", sagen Waldemar und Julia. Die Schwangerschaft war ganz normal verlaufen, so wie bei der ersten Tochter Diana auch. Alles schien in bester Ordnung zu sein. Doch drei Stunden nach der normal verlaufenen Entbindung lief Sophia bläulich an. Ihr Körper bekam nicht genug Sauerstoff.

Vater bekommt Schockanruf aus der Klinik

"Nach der Entbindung war ich heimgefahren, dann riefen mich die Ärzte an", erinnert sich Waldemar. "Stehen Sie? Falls ja, setzen Sie sich lieber mal hin", sagten die als erstes. Auf der Intensivstation hatten die Ärzte per Ultraschall rausgefunden, warum Sophia nicht genügend Sauerstoff bekam. Sie hatte mehrere Anomalien an Herz und Lunge: Nur eine Herzkammer war normal groß, die andere sehr klein. Dazu kamen Löcher in der Herzwand, die die beiden Herzkammern trennt. Außerdem war die Verbindung von Herz und Lunge bei Sophia nicht normal angelegt und dem Mädchen fehlt die Milz. "Das versetzte mich in einen tiefen Schock", sagt Waldemar. "Meine Frau und ich konnten nur noch weinen."

Einkammerherz ist ein häufiger Herzfehler

Der Begriff "univentrikuläres Herz" steht für eine Vielfalt angeborener Herzfehler mit einem gemeinsamen Merkmal: Statt zwei Hauptkammern (Ventrikeln) ist nur eine, beziehungsweise nur eine ausreichend große und damit funktionierende Herzkammer angelegt. Mit diesen Unterentwicklungen einer Herzkammer sind häufig Verengungen (Stenosen) oder komplette Verschlüsse (Atresien) der großen Arterien verbunden.

Solch schwere Herzfehler werden häufig erst nach der Geburt erkannt, da sie im Mutterleib nur per pränatalem Risiko-Ultraschall entdeckt werden können. Bei normal verlaufender Schwangerschaft machen Frauen diesen in der Regel nicht. Der Fötus gedeiht ganz normal, da er über die Plazenta mit Sauerstoff versorgt wird. "Im Mutterleib ist die Lunge noch nicht richtig an den Blutkreislauf angeschlossen", erklärt Professor Christian Schreiber, stellvertretender Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie am Deutschen Herzzentrum München.

"Der Ductus arteriosus Botalli, eine kleine Verbindung zwischen Körper- und Lungenkreislauf, sorgt im Mutterleib dafür, dass der Blutkreislauf dennoch funktioniert. Nach der Geburt schließt sich der Ductus innerhalb von etwa zwei bis fünf Tagen automatisch. Doch bei Kindern wie Sophia mit einem funktionellen Einkammerherz hängt das Überleben nach der Geburt am offenen Ductus, um die Durchblutung aufrecht zu erhalten." Schließt sich der Ductus, wird das Neugeborene nicht mehr mit Sauerstoff versorgt. Die Haut verfärbt sich blau, es kommt zu Atemnot und schließlich Herz-Kreislauf-Versagen.

Schwere Entscheidung: Sophia operieren oder sterben lassen

An ihrem fünften Lebenstag wurde Sophia in die Kinderkardiologie des Universitätsklinikums Gießen verlegt. Dort wurden dem Baby per Herzkatheter mehrere Stents, kleine Gefäßstützen aus Metall, gesetzt, um den Ductus offen zu halten. Daneben gibt es auch Medikamente, mit denen das erreicht werden kann. Die Ärzte ordneten Sophias Anomalien an Herz und Lunge als extrem dramatisch ein. "Sie brauche drei OPs. Ihre Chance, allein die erste zu überleben, lag nur bei 50 Prozent. Darum sollten wir uns überlegen, Sophia vielleicht besser mit nach Hause zu nehmen und sie im Kreise geliebter Menschen sterben zu lassen. Da sind mir die Nerven durchgegangen", gesteht Waldemar. "Wir fühlten uns komplett hilflos und ich hätte am liebsten auf die Ärzte eingeprügelt."

Sophias Zustand wurde immer schlechter. Jede Woche waren die Eltern mit ihr in der Gießener Kinderkardiologie, deren Spezialisten erst weitere Stents in ihr kleines Herz legten und dann doch zur großen OP rieten. "Sophias Überlebenschance von nur 50 Prozent machte uns aber fix und fertig", erinnert sich Waldemar. "Ich hielt das nicht aus und suchte im Internet nach Informationen, wie wir Sophia besser helfen könnten. Dabei stieß ich auf das Deutsche Herzzentrum in München und schickte Sophias Befunde sofort dorthin."

Herzzentrum München weckt neue Hoffnung

Ein Schwerpunkt des Deutschen Herzzentrums in München ist die Behandlung angeborener Herzfehler bei Neugeborenen, Säuglingen und Kindern. Mehr als 550 Herzoperationen werden dort pro Jahr bei Kindern durchgeführt, davon etwa 200 bei Neugeborenen und Säuglingen. "Die Münchner Ärzte nahmen Kontakt mit uns auf. Sie schätzten Sophias Überlebenschance auf 90 bis 95 Prozent. Endlich gab es mehr Hoffnung, dass unsere kleine Maus überleben würde", erzählt Waldemar.

Diese immense Abweichung von der ersten Überlebensprognose erklärt Professor Schreiber durch die große Erfahrung, die spezialisierte Zentren bei solch komplexen Herzfehlern haben: "Dadurch liegt die Sterblichkeitsrate an Zentren wie unserem deutlich unter dem Risiko, dass solche Operationen an nicht so spezialisierten Kliniken mit sich bringen. An unserer Klinik sterben nicht 50 sondern nur fünf bis zehn Prozent der Kinder mit einem funktionellen Einkammerherz. In Europa gibt es nur wenige Kliniken, die solch eine niedrige Quote erreichen." Also wurde Sophia am 24. Juli per Helikopter nach München geflogen.

Herzoperation mit großem Risiko

Sophias Zustand war zwar sehr kritisch, dennoch entschieden sich die Spezialisten des Deutschen Herzzentrums in München, das Baby sofort zu operieren. Am 27. Juli nahm ein großes Team unter Leitung von Professor Schreiber die Hochrisiko-Operation in Angriff.

"An der Herz-Lungen-Maschine wurde Sophias Herz stillgestellt. In einem normalen Herzen mündet die Lungenvene, die sauerstoffreiches Blut mit sich führt, in den linken Vorhof der Herzkammer. Von dort wird es in den ganzen Körper gepumpt. Doch bei Sophia führte diese Vene zur großen Hohlvene, die in der rechten Herzkammer mündet. Frisches und verbrauchtes Blut mischen sich. Da die Stents daran nichts ändern konnten, entfernten wir diese. Stattdessen nähten wir einen Shunt ein, ein Goretex-Röhrchen, das die Hauptschlagader des Herzens mit den Lungenarterien verbindet. Der Shunt dient sozusagen als Ductus-Ersatz und führt dazu, dass ausreichend Blut in die Schlagader fließt und die Lunge mit dem sauerstoffarmen Blut versorgt. Zudem erweiterten wir die Lungenarterien mit einem kleinen Goretex-Flicken und schlossen die Lungenvenen an, wie von der Natur vorgesehen", erklärt der Herzspezialist die komplizierte erste Operation.

Eltern mit ihrer Angst nicht alleine gelassen

"Wir wurden ganz verrückt vor Angst und Unsicherheit", sagt Waldemar. "Unser Baby hing die ersten Tage nach der OP noch an der Herz-Lungen-Maschine, wurde durch eine Magensonde ernährt und wir konnten nichts tun als warten, dass sich Sophia erholt."

Die Nerven der Eltern liegen in solchen Situationen blank. Diesem Ausnahmezustand wird in Spezialkliniken wie dem Münchener Herzzentrum durch besondere Betreuungskonzepte Rechnung getragen. "Es ist ganz wichtig, mit den Eltern intensiv im Gespräch zu bleiben und ihnen jeden Behandlungsschritt zu erklären", weiß Schreiber. "Als Ärzte, die darum kämpfen, Kinder am Leben zu erhalten, bleibt uns für viel mehr aber leider nicht die Zeit. Deshalb gibt es bei uns psychologisch ausgebildete Schwestern, Kontaktschwestern genannt, die 24 Stunden lang Ansprechpartner für die Familien sind. Sie nehmen die Angehörigen auch mal in den Arm, spenden Liebe, Kraft und Zuversicht." Zudem finden die Eltern über die vielen Wochen, die ihr Kind im Krankenhaus betreut werden muss, im ans Herzzentrum angeschlossene Ronald-McDonald-Haus ein Zuhause auf Zeit.

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"Die Kontaktschwestern haben sich auch um unsere fünfjährige Tochter Diana gekümmert, die stark verändert war. Immer hat sie gefragt, wo ihre kleine Schwester denn plötzlich ist. Ohne die Betreuung durch die Kontaktschwestern hätten wir alle die Situation, glaube ich, nicht durchgestanden. Auch unser Glaube hat uns geholfen. Jeden Tag waren wir in der Kirche und haben gebetet, dass Gott unsere Tochter und all die anderen kleinen Patienten im Herzzentrum verschont. Ich habe großen Respekt vor all diesen Kindern, die einen solch schweren Start ins Leben haben", erzählt der Vater.

Nur eine Narbe erinnert an Sophias Überlebenskampf

Zwei Wochen nach der ersten OP hatte sich Sophia gut von den Strapazen erholt. "Sie wurde auf die Normalstation verlegt und fing auch wieder an zu lächeln", berichtet Waldemar glücklich. Ihr schwerer Herzfehler machte zwar noch eine weitere OP im September erforderlich, doch diese war nicht mehr mit einem hohen Risiko verbunden. "Wir entfernten den Shunt, da Sophias Lungenarterie mittlerweile groß genug war. Zusätzlich schufen wir eine Verbindung zwischen der oberen Hohlvene und den Lungenarterien - damit war der nächste Schritt getan, Sophias Herzfehler zu beheben", erläutert Professor Schreiber den zweiten Eingriff.

Kurz danach durften die Eltern Sophia dann endlich mit nach Hause nehmen. "Wir sind den Ärzten und Schwestern unendlich dankbar, dass sie unsere Tochter gerettet haben. Zwar müssen wir alle zwei bis drei Wochen mit Sophia zur kardiologischen Kontrolle, aber sie entwickelt sich prächtig. Sie ist ein ganz normales Baby. Außer der Narbe auf ihrer Brust deutet nichts mehr darauf hin, dass Sophia beinahe gestorben wäre."

Spezial-OP bei angeborenen Herzfehlern

Die Behandlung solch komplexer angeborener Herzfehler wie bei Sophia folgt immer einem Dreistufenkonzept. Deshalb hat das kleine Mädchen noch eine weitere Operation vor sich, wenn sie mit eineinhalb bis zwei Jahren mindestens zehn Kilogramm wiegt. "Noch mischen sich arterielles und venöses Blut in Sophias einziger Herzkammer. Das werden wir dann mit der sogenannten Fontan-Operation beheben, bei der wir den Lungen- und Körperkreislauf trennen. Danach pumpt die Herzkammer dann nur noch sauerstoffreiches Blut in die Hauptschlagader. Die Lungenarterie wird von dieser Herzkammer abgetrennt und stattdessen mit dem Vorhof verbunden, also dort, wo das verbrauchte Blut vom Körper ankommt", so Schreiber. Die Fontan-Operation wird seit 1974 bei einer Reihe von Herzfehlern angewendet, an denen davor noch nahezu alle Patienten starben.

Sophia wird ein lebenswertes Leben haben

"Nach der Fontan-Operation wird Sophias Herzfehler endlich komplett behoben sein. Sophia wird mit ihrer einen Herzkammer dann gut leben können. Sie wird leichten Sport treiben, arbeiten und Kinder kriegen können", schätzt Professor Schreiber Sophias Prognose ein. Auch die fehlende Milz verursacht Sophia nur wenige Probleme. Da das Organ wichtig für das Immunsystem ist und unter anderem Bakterien, Viren und Parasiten aus dem Blutstrom filtert, bekommt Sophia vorsorglich jeden Tag das Antibiotikum Penicillin, bis ihr Immunsystem voll ausgereift ist. "Wir danken Gott und den Münchner Ärzten jeden Tag aufs Neue, dass alles gut gegangen ist und Sophia noch lange bei uns sein wird", sagt Waldemar. "Aber es war eine schwere Zeit für die ganze Familie, die wir jetzt weiter mit Psychologen aufarbeiten wollen. Denn eigentlich wünschen wir uns noch ein drittes Kind. Aber noch ist die Angst zu groß, dass es eventuell nicht gesund geboren werden könnte."

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