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Ex-BND-Agent: "Handel mit Europa hat Russlands Aufrüstung möglich gemacht"


Deutscher Ex-Spion
"Russland wäre ein instabiler Kontinent geworden"

  • Jonas Mueller-Töwe
  • Daniel Mützel
InterviewVon Jonas Mueller-Töwe, Daniel Mützel

Aktualisiert am 29.08.2022Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Russlands Präsident Wladimir Putin: Über Jahrzehnte arbeiteten deutsche Politiker mit dem Kreml-Despoten zusammen. (Quelle: IMAGO/Kremlin Pool)

Ex-BND-Agent Gerhard Conrad hat schon mit Terroristen um die Freilassung von Geiseln verhandelt – für Gespräche mit Russland sieht er derzeit keine Basis.

Gerhard Conrad war über Jahrzehnte einer der profiliertesten deutschen Nachrichtendienstler. Für die Bundesregierung verhandelte er mit Hisbollah und Hamas über die Freilassung von Geiseln wie die des israelischen Soldaten Gilad Schalit, verschaffte sich in Damaskus einen Eindruck vom Aufstieg Assads. Lange galt er deswegen als Geheimdiplomat für heikle Missionen.

Im Interview mit t-online schildert er, wie man Informanten gewinnt und lebensgefährliche Verhandlungen führt. Er spricht auch darüber, wie westliche Dienste und Regierungen über Jahrzehnte auf Russland schauten – und warum die drohende Kriegsgefahr so lange verdrängt wurde. Versäumnisse sieht er in der Politik.

Gerhard Conrad auf einer Pressekonferenz: Der Vermittler wird künftig als Gastdozent in Berlin aktiv sein.
Gerhard Conrad: Der frühere Vermittler ist nun auch Dozent und Autor. (Quelle: Soeren Stache/dpa-bilder)

Gerhard Conrad, geboren 1954, ist ein ehemaliger hochrangiger Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND). Zuletzt leitete er das EU Intelligence Analysis Centre (EU INTCEN) des Europäischen Auswärtigen Dienstes, das die europäischen Nachrichtendienste vernetzt. Am 1. September 2022 erscheint sein Buch "Keine Lizenz zum Töten" im Econ-Verlag. Darin blickt er zurück auf seine streng geheimen Missionen im Nahen Osten.

t-online: Herr Conrad, wer für den BND arbeitet, darf über deutsche Straßen rasen, ohne Knöllchen zu kassieren, stimmt das?

Gerhard Conrad: Ganz so stimmt das natürlich nicht. Zumindest in meiner Anfangszeit durften wir bei sogenannten "Sonderaufträgen" die Straßenverkehrsordnung aber weit auslegen – und später wurde davon abgesehen, das zu ahnden. In der Ausbildung mussten wir schließlich lernen, Autos zu beschatten. Wir haben auf der Straße geübt, an den Zielobjekten dranzubleiben. Nur eines durften wir nicht: rote Ampeln überfahren.

An der Ampel endet die Verfolgung im Zweifel?

Die Verfolgung darf andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährden. Manchmal sieht man das in Filmen: Auf den letzten Drücker überfährt ein Auto die dunkelgelbe Ampel – und die Verfolger bleiben stehen. Das ist tatsächlich so. Als Verfolger flucht man da. Und bittet Kollegen über Funk zu übernehmen.

Was lernt man denn noch in der Ausbildung?

Schießausbildung spielte zu meiner Anfangszeit noch überhaupt keine Rolle. Das kam erst mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr, die der BND mit Informationen im Einsatzgebiet unterstützen musste. Noch heute dürfen Waffen aber nur unter sehr speziellen Voraussetzungen zur Eigensicherung getragen werden.

Wichtigere Ausbildungsinhalte sind psychologische und soziologische Grundkenntnisse, um Quellen zu führen und auch die Informationen schließlich in ihrer Glaubhaftigkeit bewerten zu können. Wie können wir uns der Quelle annähern? Wie können wir sie motivieren, mit uns zusammenzuarbeiten?

Ganz wichtig sind auch fachlich fundierte Recherche- und Analysefähigkeiten: Welche Information wird benötigt? Wer verfügt über die Information oder auch nur einen Teil davon? Welche Bedeutung hat die gewonnene Information im Gesamtkontext? Methodisch ist das dem investigativen Journalismus sehr ähnlich. Nur der Auftraggeber unterscheidet sich: Sie arbeiten für die Öffentlichkeit, der Dienst für die Regierung.

Wie motiviert der BND denn seine Informanten?

Das ist oft ein sehr langer Prozess. Geld oder Geltungssucht sind sozusagen die banalen Klassiker. Oft spielt ein schleichender oder abrupter Verlust von Loyalität eine große Rolle, persönliche Sympathien vielleicht. Am Beginn jeder Operation steht die Forschungsphase, in der derartige mögliche Ansatzpunkte ausgelotet werden. Diese Herangehensweise kann auch für Verhandlungen wichtig werden.

Verhandlungen sind der Grund, wie Sie zu Ihrem Spitznamen kamen: "Mister Hisbollah". Wie gern oder ungern hören Sie den?

Inzwischen habe ich mich dran gewöhnt. Wer ihn erfunden hat, weiß ich nicht genau. Jemand aus dem Dienst wahrscheinlich. Ich habe halt mit der Hisbollah verhandelt über die Freilassung israelischer Geiseln, da lag das vermutlich nahe. Man hätte mich später auch "Mister Hamas" nennen können.

Sie haben mit Terroristen verhandelt. Was ist das für ein Gefühl?

Terroristen sind auch nur Menschen, das sollten wir nicht vergessen. Die meisten sind außerhalb der Kampfsituation wie du und ich. Sind sie zu gewaltaffin, werden sie von ihren Gruppen in der Regel nicht für Verhandlungen ausgesucht. Der Umgang mit den meisten war daher eher einfach, abgesehen vom Umgang mit radikalen Vorstellungen und der konfliktbedingten Unfähigkeit zu Kompromissen.

Es lässt sich also auch mit dem "Islamischen Staat" verhandeln?

Der "Islamische Staat" hat sich die ganze Zeit im Kampfmodus befunden. Da war es vermutlich schwer, überhaupt Ansprechpartner zu finden. Die Türkei hatte aber Gesprächskanäle. Andere Regionalstaaten auch. Irgendwie hat der IS schließlich syrisches Öl aus seinem Machtbereich verkauft. Mit irgendwem müssen sie daher wohl gesprochen und verhandelt haben.

Moralische Bedenken haben Nachrichtendienste in dieser Hinsicht also nicht?

Erst mal müssen Gespräche sachlich geboten sein und inhaltlich Sinn machen. Lohnt sich das? Man muss also ein Grundvertrauen in die Verlässlichkeit des Gegenübers fassen können. Es müssen operative Risiken und politische Risiken abgeschätzt werden. In heiklen politischen und auch ethischen Fragen wird das dann auf Leitungsebene oder sogar im Bundeskanzleramt entschieden. Diese Einbindung in wertegebundene Güterabwägungen und politische Zielvorgaben dient auch dem Selbsterhaltungstrieb des Dienstes.

Gab es jemals Widersprüche zwischen politischem Auftrag und Selbsterhaltung?

Es gab zumindest politische Trendwenden. Ende der Achtzigerjahre musste erstmals mit Hisbollah-nahen Terroristen um die Freilassung in Geiselhaft befindlicher Deutscher verhandelt werden. Das war politisch sehr heikel, aber der Staat hatte seinen Bürgern gegenüber eine Schutzverpflichtung.

Eine Abkehr vom Mantra, dass sich der Staat nicht erpressen lassen dürfe aus RAF-Zeiten zehn Jahre zuvor?

Mit der Roten Armee Fraktion wurde auch verhandelt! Denken Sie an den Fall Peter Lorenz im Jahr 1975. Es hatte sich seinerzeit als Irrweg erwiesen und 1977 zur Entführung von Schleyer und der Lufthansamaschine nach Mogadischu geführt. Es durfte kein Business-Modell für Entführungen zugelassen werden.

Aber es wird auch mit Bankräubern verhandelt, wenngleich mit dem Ziel ihrer Aufgabe unter Schonung von Geiseln. Und selbst die Israelis müssen gelegentlich verhandeln, wenn es um das Leben ihrer Staatsbürger geht. Nur bei Erfolgsaussicht, versteht sich.

Welche Erfolgsaussicht haben Verhandlungen mit Russland? Die fordern viele Friedensbewegte in Deutschland ja derzeit.

Derzeit gibt es mit Russland in der Sache nichts zu verhandeln. Der Kreml fordert die vollständige Kapitulation. Das ist keine Basis. Es ist noch nicht mal ein Interesse für Verhandlungen zu erkennen. Auch auf ukrainischer Seite nicht.

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Die Ukraine ist ein souveräner Staat, dessen einzige Forderung es ist, dass sich die Angriffstruppen vom gesamten Staatsgebiet zurückziehen. Völkerrechtlich und moralisch ist das einwandfrei. Die Positionen sind also viel zu weit voneinander entfernt. Höchstens im Geheimen können sich Möglichkeiten zur Sondierung eventueller Kompromissbereitschaft auftun.

Wann und wie entstehen solche Handlungsfenster?

Dass beide Seiten überhaupt zu Kompromissen bereit sind, setzt voraus, dass sie gleichmäßig und gleichzeitig die Perspektivlosigkeit des Konflikts erkennen. Falls jemand sich noch einen Vorteil erhofft oder meint, einen längeren Atem zu haben, wird Vermittlung wertlos.

Kommen Gespräche zu früh heraus, kann der Schaden für beide Seiten innenpolitisch enorm sein. Wer Maximalpositionen vertritt, enttäuscht seine Gefolgschaft, wenn er auch nur etwas von ihnen abrückt. Beide Seiten müssen also ihr Gesicht wahren können. Sonst sind für sie die politischen Kosten des Friedens höher als die des Kriegs.

So kann es kommen, dass sich Konfliktparteien im Krieg einrichten, ohne eine politische Lösung oder einen militärischen Sieg ernsthaft zu verfolgen.

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Als Sie Anfang der Neunzigerjahre beim BND anfingen, hielt man dort den Kalten Krieg für beendet. Wann änderte sich diese Einschätzung?

Im Dienst bereits früh. Ab 2008 war ja offensichtlich geworden, dass Russland bereit und wieder zunehmend in der Lage war, militärische Gewalt zur Durchsetzung machtpolitischer Ziele einzusetzen. Ab 2014 war spektakulär klar geworden, dass es auch den Willen und die Mittel für ambitionierte Machtprojektion wieder besitzt.

Doch viele haben das nicht sehen wollen, weil es über viele Jahre andere Prioritäten gab, bis eben zum 24. Februar 2022, zu Beginn der russischen Invasion der Ukraine. Es ist also tatsächlich die ausgerufene Zeitenwende.

Welche Prioritäten waren das im Umgang mit Russland?

Russland war nach dem Zerfall der Sowjetunion erst einmal unter Stabilitätsaspekten ein sicherheitspolitischer Problemfall. In Russland drohten Desintegration und Anarchie. Das Land war auf internationale Hilfe angewiesen. Es ging über Jahre erst einmal um Risikominimierung: Gemeinsam musste sichergestellt werden, dass die Nuklearwaffen der ehemaligen Sowjetunion nicht in falsche Hände kamen. Russland durfte nicht weiter desintegrieren.

Europa hatte damals also ein sicherheitspolitisches Interesse, Russland in seiner Gesamtheit zu stabilisieren?

In der Tat. Sonst hätten Kriege, Proliferation in großem Stil und Flüchtlingswellen die Folge sein können. Ein Failed State wie später einmal Libyen, jedoch in direkter Nachbarschaft und mit dem Potenzial einer ehemaligen Supermacht wäre eine riesige Gefahr gewesen. Das hätte auch Folgen für die innere Sicherheit gehabt. Das haben wir bereits am Zerfall Jugoslawiens gesehen.

Hätte man nicht auch umgekehrt sagen können: Wir haben ein sicherheitspolitisches Interesse daran, dass Russland möglichst weit zerfällt?

Sowjetunion und Warschauer Pakt zerfielen ja bereits in die uns heute bekannten großen Staaten. Aber eine weitere Zersplitterung in viele weitere fragile Kleinststaaten auf ehemals russischem Territorium hätte zu einem riesigen Raum von Instabilität geführt. Russland wäre ein instabiler Kontinent geworden. Mit erheblichen Konfliktpotenzialen.

Derartige Folgen zu bewältigen, hätte Europa in ganz besonderem Maße gefordert, wenn nicht überfordert. Also musste das Hauptaugenmerk der Nato, der EU und Deutschland auf Stabilisierung und Konsolidierung liegen.

Wurde dabei zu wenig auf die Entwicklung der Demokratie geachtet?

Nach der Sicherheitspolitik ging es notwendig um die Wirtschaftsentwicklung. Russland war insolvent und auch das war nicht gut für seine Nachbarn. Mit dem Export der Rohstoffe, mit Gas und Öl für Europa, wurde das Problem über die Jahre hinweg schrittweise behoben.

Die Rohstoffpolitik ermöglichte allerdings auch den machtpolitischen Wiederaufstieg, den über Jahre niemand recht wahrhaben wollte. Der Handel mit Europa hat Russlands Aufrüstung möglich gemacht.

Ist die Invasion der Ukraine vergleichbar mit den Anschlägen des 11. September? In Ihrem Buch schreiben Sie, dass vor den Anschlägen viele Informationen verfügbar waren – sich aber niemand so recht für die sich anbahnende Gefahr interessierte.

Russland wurde über Jahre hinweg zur revisionistischen Macht. Das wusste jeder oder hätte es seit gut 20 Jahren wissen können. Die Analysen existieren seit Langem auch in der Nato wie in der EU. Realpolitische Konsequenzen hatte diese Erkenntnis aber nicht. Die in ferner Zukunft drohende Gefahr schien angesichts aktueller Opportunitäten vernachlässigbar. Sie wurde verdrängt, bis es zu spät war. Fast wie beim Klimaschutz. Es war bequem, Einwände zu finden, warum man gerade jetzt nicht handeln muss oder kann.

Mit den Analysefähigkeiten des BND hängt das also nicht zusammen? Die sind zuletzt beim Fall von Kabul scharf kritisiert worden.

Der BND hat seit dem Jahreswechsel 2020/2021 kontinuierlich auf die sich zuspitzenden Risiken einer Machtübernahme der Taliban nach Abzug der alliierten Kräfte hingewiesen. Die Taliban standen Mitte August vor, jedoch nicht in Kabul. Laut Medien gab es jedoch geheime Absprachen zwischen USA, Taliban und dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani, einen geordneten Übergang zu einer "inklusiven Übergangsregierung" zu gewährleisten.

Ins Rutschen geriet es wohl, als Ghani plötzlich das Land verließ und die ihm zugedachte Rolle ohne eine militärische US-Präsenz zu seinem Schutz nicht mehr spielte. Ob das alles stimmt, wird sich zeigen. Da warte auch ich gespannt auf den Untersuchungsausschuss im Bundestag.

Sie dürfen eines nicht vergessen: Rein militärisch gesehen war der Abzug für die Streitkräfte eine saubere Sache, aber eben nur für diese. Es gab aber offenbar schon Monate zuvor nicht den politischen Willen, über den Abzug hinaus zu planen. Vorsorge passte nicht in den Wahlkampf.

Wenn Sie auf Ihre Zeit in den Nachrichtendiensten zurückblicken. Was sind die drei dringendsten Baustellen?

Erstens: Die Dienste brauchen mehr denn je hochqualifizierte, methodisch exzellente Fachleute in großer Zahl. Denn sie sollen ja schlauer sein als alle anderen. Das ist nicht so einfach.

Zweitens: Deutschland braucht einen Nationalen Sicherheitsrat. Denn oft sind die notwendigen Informationen vorhanden, die einzelnen Lagebeurteilungen zutreffend, werden aber nicht zu einem Gesamtlagebild zusammengefügt. Konsequenzen werden jedoch auf uneinheitlichem oder widersprüchlichem Lagebild politisch nicht gezogen. Ein Sicherheitsrat hilft, Informationen zu bündeln, zu bewerten und zu einem Gesamtlagebild zu verdichten, auf dessen Grundlage beraten und entschieden werden kann. Damit schafft er auch Verantwortlichkeit.

Drittens: Auf europäischer Ebene müssen die Nachrichtendienste zu einem Gesamtlagebild beitragen und damit auch dort gemeinsame Entscheidungsgrundlagen schaffen. 2014 stellten die europäischen Nachrichtendienste gemeinsam fest, dass es russische Truppen waren, die die Ukraine angriffen. Frankreich, Italien und Spanien hörten das gar nicht gern. Die Sanktionen beschlossen sie dann angesichts der unwiderlegbaren Sachlage trotzdem mit. Das war zumindest ein Teilerfolg.

Verwendete Quellen
  • Videoschalt-Interview mit Gerhard Conrad am 9. August 2022
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