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Afghanistan-Iran-Konflikt: Droht jetzt der erste Klima-Krieg?


Konflikt ums Wasser
Droht hier der erste Klimakrieg?


Aktualisiert am 01.06.2023Lesedauer: 5 Min.
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Kämpfer der Taliban (Archivbild): Die radikalislamische Miliz macht die Klimakrise für die geringen Wassermengen verantwortlich.Vergrößern des Bildes
Kämpfer der Taliban (Archivbild): Die radikalislamische Miliz macht die Klimakrise für die geringen Wassermengen verantwortlich. (Quelle: Nava Jamshidi/getty-images-bilder)

Seit Jahrzehnten streiten der Iran und Afghanistan um das Wasser des Flusses Helmand. Nun droht der Konflikt zu eskalieren – denn beide Länder kämpfen mit Dürre.

Ein jahrzehntealter Wasservertrag zwischen zwei Staaten, eine Regierung, die darauf beharrt, und die Klimakrise, die das Wasser weniger werden lässt: In etwa so lautet die Gleichung, die in den vergangenen Wochen den Konflikt um den Fluss Helmand zwischen dem Iran und Afghanistan immer weiter verschärft hat. Zuletzt gab es bei Zusammenstößen an der Grenze sogar Tote. Droht hier der erste moderne Klimakrieg?

Der Helmand ist mit mehr als 1.000 Kilometern der längste Fluss Afghanistans, entspringt in den Bergen des Hindukusch und mündet im Iran in den Hamun-See. Während einer schweren Dürre zwischen 1999 und 2001 trocknete der See schon einmal aus – mit fatalen Folgen für Natur, Landwirtschaft und Bevölkerung in einer Region, die ohnehin von Armut geprägt ist.

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Nun verschärft sich der Ton um den Wasserzufluss des Sees erneut. Afghanistan nutzt den Helmand für die Trinkwasserversorgung, die Stromgewinnung und die Bewässerung der Landwirtschaft – unter anderem für den Anbau von Mohn. Der Verkauf des daraus gewonnenen Opiums ist eine wichtige Einnahmequelle für die Taliban. Dazu wird der Fluss mit den Kajakai- und Kamal-Khan-Dämmen gestaut.

Streit über einen 50 Jahre alten Vertrag

Eigentlich besteht ein jahrzehntealter Pakt mit dem Iran: 1973 einigte man sich darauf, dass mindestens 850 Millionen Kubikmeter Wasser im Jahr in den Iran durchgelassen werden müssen.

Doch um den Vertrag gibt es schon seit Langem Streit – bisher soll sich noch keine einzige afghanische Regierung tatsächlich daran gehalten haben. Der lange Krieg seit 2001, die Machtergreifung der radikalislamischen Miliz im August 2021 und die humanitäre Katastrophe in dem Land erschwerten in der Vergangenheit eine Lösung.

Mitte Mai richtete der iranische Präsident Ebrahim Raisi deutliche Worte an die afghanische Taliban-Regierung – es komme deutlich zu wenig Wasser im Iran an. Bei einem Besuch in der südöstlichen Provinz Sistan und Belutschistan sagte er, Afghanistan müsse "das Recht der Menschen in Sistan und Belutschistan umgehend erfüllen". Die Herrscher im Nachbarland müssten den Vertrag von 1973 einhalten. "Wir werden nicht zulassen, dass die Rechte unseres Volkes verletzt werden."

Begleitet wurde Raisi von seinem Außenminister Hossein Amir-Abdollahian. Dieser wurde noch deutlicher: Er drohte "unkooperativen" Taliban-Führern ausdrücklich mit dem Einsatz von "Druckmitteln."

Spott und Beschwichtigung aus Afghanistan

In Afghanistan lösten die iranischen Drohungen zunächst Spott aus. Ein Video ging viral, in dem ein hochrangiger Taliban dem iranischen Regime einen Eimer voll Wasser "anbietet": "Greift uns nicht an! Wir haben Angst!", höhnte er.

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Der afghanische Außenminister Amir Chan Muttaki warb hingegen um Nachsicht: Man wolle sich an den Vertrag von 1973 halten, aber habe wie der Rest der Region infolge der Klimakrise mit einer Dürre zu kämpfen, erklärte er. Aufgrund dessen sei es den Behörden aktuell unmöglich, ausreichend Wasser ins Nachbarland fließen zu lassen. Die Führung im Iran solle "ihre Erwartungen anpassen", so Chan in einer Videobotschaft. In den vergangenen zwei Jahren habe Afghanistan Schritte unternommen, das Problem zu lösen. "Die höhere Gewalt, die die menschlichen Kapazitäten aufgrund des Klimawandels übersteigt, muss jedoch verstanden werden."

Das iranische Außenministerium widersprach kurz darauf: Die Behauptungen der Taliban zur Dürre und gesunkenen Wasserständen könnten nicht von iranischen Experten bestätigt werden. Die Haltung der afghanischen Machthaber sei daher "rechtswidrig und inakzeptabel". Das Regime hatte zuvor gefordert, iranische Experten müssten Zugang zu den Staudämmen in Afghanistan erhalten, um den Wasserpegel zu prüfen. Die staatliche iranische Nachrichtenagentur IRNA veröffentlichte Bilder des Reservoirs, die die Angaben der Taliban widerlegen sollten.

Tote bei Gefechten an der Grenze

Auf den rhetorischen Schlagabtausch folgte kurz darauf eine blutige Auseinandersetzung: Vergangenes Wochenende kam es zu einem Feuergefecht am iranisch-afghanischen Grenzposten Islam Qala: Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig, mit dem Beschuss begonnen zu haben. Videos in sozialen Medien zeigen, dass die Taliban auch schwere Maschinengewehre einsetzten. Laut iranischen Angaben seien zwei iranische Grenzschützer getötet worden.

Das afghanische Innenministerium gab hingegen bekannt, es habe auf beiden Seiten je einen Toten gegeben, mehrere Personen seien verletzt worden. Doch die Lage sei unter Kontrolle: "Das Islamische Emirat will keinen Krieg mit seinem Nachbarn", sagte der Sprecher des Ministeriums, der den Namen der Taliban-Regierung für Afghanistan verwendete.

Dennoch beunruhigen die Gefechte Beobachter. Dass es zu Zusammenstößen kommt, ist zunächst nichts Neues: Seit der Machtübernahme der Taliban 2021 kommt es immer wieder zu Zwischenfällen, in der Regel sprachen jedoch beide Seiten von Missverständnissen.

"Die Wasserfrage wird immer kritischer"

Der nun erneut entbrannte Streit um das Wasser des Helmand-Flusses verleiht der ohnehin angespannten Situation in der Region jedoch eine neue Qualität. Kabul habe in den vergangenen Jahren nur einen Bruchteil der zugesagten Wassermenge geliefert, sagte Sina Toossi vom US-Think-Tank Center for International Policy dem arabischen Sender Al Jazeera. "Die Situation wurde durch die zunehmende Dürre im Iran weiter verschärft. Dadurch wird die Wasserfrage immer kritischer."

Am Tag der Gefechte an der Grenze habe es ein Treffen von Diplomaten gegeben, so der Experte. Zuvor waren allerdings Videos kursiert, die die Positionierung von Taliban-Kämpfern an der Grenze zeigen sollten. Aber: "Es ist nicht sicher, ob die Taliban ihre Kämpfer von der Grenze zurückgezogen haben oder ob sie sich in der Zukunft an den Vertrag halten werden", sagte Toossi Aljazeera. So bleibe die Situation angespannt.

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Dürre in beiden Staaten

Denn sowohl die Wasserknappheit als auch die Nachfrage werden absehbar noch zunehmen. Klimaforscher warnen seit Jahren, dass Dürren in der Region häufiger werden – denn sie ist von den Folgen der Klimakrise besonders betroffen. Der Iran leidet bereits seit Jahrzehnten unter der Trockenheit, die Wetterbehörde gibt an, dass 97 Prozent des Landes betroffen seien. Der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zufolge hat sich die Dürre in den vergangenen zehn Jahren noch verschärft.

Auch der Norden und Westen von Afghanistan sind von einer schweren Trockenheit betroffen, selbst wenn sich die Situation nach der massiven Dürre im Jahr 2018 gebessert hat. Außerdem ist in beiden Staaten die Bevölkerung in den vergangenen Jahrzehnten extrem gewachsen.

Zudem schwelt ein zweiter Konflikt, auf den Experte Sina Toossi bei Al Jazeera aufmerksam macht. Der Iran unterhält zwar diplomatische Beziehungen zum Nachbarland, erkennt die Taliban-Regierung jedoch nicht an und spricht sich für die Bildung einer Regierung aus, in der alle ethnischen und religiösen Gruppen Afghanistans repräsentiert werden. Dabei geht es dem mehrheitlich schiitischen Land vor allem um die schiitische Hazara-Minderheit in Afghanistan. Diese sei in der Vergangenheit Verfolgung und Gewalt durch die Taliban ausgesetzt gewesen.

Eskaliert der Konflikt?

Die Situation zwischen den Staaten wird so immer brenzliger. Eigentlich dürften die Taliban kein Interesse daran haben, den Iran anzugreifen. Afghanistan ist international weitgehend isoliert und die Taliban-Kämpfer sind der iranischen Armee stark unterlegen, trotz erbeuteter Waffen nach dem Abzug der westlichen Truppen. Am Donnerstag kursierten jedoch erneut Videos im Internet, die Taliban-Kämpfer mit schweren Waffen auf dem Weg zur iranischen Grenze zeigen sollen (Hier lesen Sie mehr dazu).

Sollte der Konflikt eskalieren, wäre es nicht der erste Krieg, bei dem die Klimakrise eine Rolle spielen würde. Der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sah etwa beim Konflikt in der sudanesischen Region Darfur 2007 die Ursachen im Klimawandel. Auch beim Syrien-Krieg spielten Klimafaktoren eine große Rolle.

Dass die Klimakrise jedoch so klar von einer der Parteien als Ursache des zugrunde liegenden Konflikts benannt wird, wie es nun die Taliban getan haben, verleiht dem Konflikt eine bislang kaum gekannte Dimension. Ein Klimakrieg in diesem Sinne wäre eine Premiere, und wohl ein Vorgeschmack darauf, was im Lichte der sich verschärfenden Klimakrise noch kommen könnte.

Verwendete Quellen
  • aljazeera.vom: "What caused deadly Afghan-Iran border clashes? What happens next?"
  • agsiw.org: "Troubled Waters: Iran-Afghanistan Dispute Escalates"
  • apnews.com: "Iran warns Afghanistan’s Taliban rulers not to violate its water rights, over Helmand River"
  • rferl.org: "Iranian Official Says Conflict With Afghanistan Detrimental To Both Sides"
  • twitter.com: Profil von Sina Toossi
  • mfa.gov.af: "Excerpts from remarks by IEA Foreign Minister Mawlawi Amir Khan Muttaqi regarding Iran’s share of water at the seventh anniversary of the martyrdom of Amir-ul-Mu’minin Mullah Akhtar Mohammad Mansoor"
  • Nachrichtenagenturen dpa, Reuters, AFP
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