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Barbie tanzt Putin einfach auf der Nase rum: Erfolgsfilm in Russland


Kreml beging Fehler
Gegen Barbie kommt auch Putin nicht an

MeinungVon Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 27.08.2023Lesedauer: 4 Min.
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Wladimir Putin und Film "Barbie": Auch die Menschen in Russland wollen den Streifen sehen.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin und Film "Barbie": Auch die Menschen in Russland wollen den Streifen sehen. (Quelle: ITAR-TASS/ZUMA Wire (Montage U. Frey/t-online)/imago-images-bilder)

Wladimir Putin will Russland stramm auf Patriotismus trimmen. Doch die Menschen wollen auf den Hollywood-Blockbuster "Barbie" nicht verzichten. Der Kremlchef dürfte schwer enttäuscht sein, meint Wladimir Kaminer.

Gleich nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine hatten die großen Filmstudios Hollywoods beschlossen, ihre Filme nicht mehr in Russland zu zeigen. Das Regime unter Wladimir Putin reagierte darauf mit Häme und Stunk.

"Wer braucht eure amerikanischen Propagandafilme, wir können unsere eigenen – viel besseren – Filme mit hohem moralischen Gehalt produzieren!", schimpften russische Minister und Abgeordnete, allesamt Marionetten des Regimes. Geheimdienstchef Sergei Naryschkin, der gerne den Westen an den Pranger stellt, beschimpfte jede Woche dessen Kulturgut als eine nie versiegende Quelle von Perversitäten. Und sprach den Jugendlichen in Amerika und Europa sein ausdrückliches Beileid darüber aus, dass sie von den dort herrschenden Eliten ständig animiert würden, ihr Geschlecht zu wechseln.

(Quelle: Frank May)

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Gerade ist sein neues Buch "Frühstück am Rande der Apokalypse" erschienen.

"Es ist nicht leicht, heutzutage in Europa zu leben, für viele gar unerträglich, dort zu sein", sagte er neulich im russischen Fernsehen, dabei hatten seine Kinder gerade in Europa Urlaub gemacht – und waren mit dem gleichen Geschlecht nach Hause zurückgekehrt. Das Thema Genderidentität beschäftigt auch den russischen Präsidenten andauernd, er hat mehrmals die angeblich perversen Praktiken des Westens in Gesprächen mit regimetreuen Zeitungsmachern gegeißelt. Der amerikanischen Filmindustrie kann Wladimir Putin erst recht nichts abgewinnen.

Die übertriebene Gereiztheit alter KGBler wie Putin bezüglich Hollywood wirkt rätselhaft auf mich. Was könnte der Grund dafür sein? Möglicherweise haben beide Männer, die sich schon kannten, bevor der eine Präsident und der andere Geheimdienstchef wurde, sich in ihren jungen Jahren gemeinsam irgendeinen perversen Hollywoodfilm angesehen, der sie nachhaltig beschädigt hat.

Zu viel für Putin?

Ich tippe auf "9½ Wochen". Der Film kam 1986 heraus, Putin war damals 34, genauso alt wie Hauptdarsteller Mickey Rourke, beide sind derselbe Jahrgang. Und Putins jüngerer Kollege Naryschkin war damals sogar noch etwas jünger als "9½ Wochen"-Star Kim Basinger. Es war für die beiden Männer bestimmt nicht leicht zuzusehen, wie die Vertreter und Vertreterinnen der westlichen Filmkultur sich gegenseitig mit Eiswürfeln und Erdbeeren quälten, um ihre Sado-Maso-Beziehung auszuleben.

Muss man das der Bevölkerung zeigen? Haben wir nichts Besseres in petto? Derartige Fragen werden sie sich gestellt haben, auch eine Antwort haben sie gefunden: In Russland wurde in der letzten Zeit ein Haufen "patriotischer" Filme produziert, in denen voll bekleidete Männer in Armeeuniformen "Hurra!" schreiend durch europäische Landschaften laufen. Die Filme werden als "historische Dramen" angekündigt, es geht um den Sieg der glorreichen sowjetischen Armee über die Faschisten im Zweiten Weltkrieg. Der pathetische Unterton lässt sich nicht unterdrücken: "41–45. Wir können es wiederholen" schrieben besonders motivierte Zuschauer auf ihre Autos.

Die politische Führung Russlands dachte, dass die heimischen Filmproduktionen eigentlich konkurrenzlos seien. "Und wenn jemand trotzdem Interesse hat, amerikanische Filme zu sehen," so der Chef des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, "kann er nun ganz legal bei den illegalen Plattformen geklaute Versionen herunterladen." Ist der Ruf erst ruiniert, regiert sich's weiter ungeniert.

Mit Erstaunen stellte die Regierung entsprechend fest, dass die "patriotischen" Eigenproduktionen floppten, das Interesse an westlichen Filmen ist hingegen nicht kleiner geworden. Im Gegenteil, je seltener diese Filme gezeigt, je mehr sie beschimpft werden, umso größer ist das Interesse. Um der Bevölkerung ein für allemal die Verdorbenheit und den moralischen Verfall des Westens zu demonstrieren, erlaubte das russische Zensurkomitee, geklaute Kopien des Films "Barbie" in einigen Kinos auf großer Leinwand zu zeigen.

Akuter Mangel an Barbies

Das Ergebnis war überraschend, der gestohlene Film "Barbie" hat alle Erwartungen übertroffen. Es kam noch dicker. Die russische Bevölkerung hat nach dem Kinobesuch eine unvorhersehbare Marotte entwickeln: Alle wollten plötzlich eine Barbie-Puppe haben. Die Firma Mattel, die die Barbie-Puppen produziert, hat Russland nach dem Einmarsch in die Ukraine allerdings verlassen.

Seitdem gibt es keine Barbies mehr für Russland. Die letzten, die noch in den Lagerhallen Staub ansetzten, haben die Kinobesucher nun mit nach Hause genommen. Die Nachfrage bleibt aber groß. Einen neuen Importweg für Barbies über Drittländer wie Indien und den Iran aufzubauen, ist anstrengend und würde die Puppen noch teurer machen, als sie ohnehin schon sind. Könnte man sie denn nicht selbst produzieren?

Die Kunststoffverarbeitungsfabriken werden allerdings derzeit auf die Produktion von Drohnen umgestellt. Doch aus den Resten der Drohnenproduktion wird auch Spielzeug gemacht. Die russische Puppenproduktion hat in der letzten Zeit neue "patriotische" Püppchen auf den Markt gebracht, das Püppchen "Patriot" im Tarnanzug, es gibt aber auch die Versionen "Soldatenmutter" und "Bär".

Die Kunden scheinen nichts dagegen zu haben, dass Puppen in Uniformen die Ladenregale bevölkern. Laut den offiziellen Umfragen finden sie einfach alles gut, was mit ihrem Land geschieht. Für ihre Kinder wollen sie aber Barbies und keine "Soldatenmütter". Bestimmt werden die Fabriken des Landes aber auch die Barbies auf die Reihe kriegen. Aber wäre es nicht pervers, aus dem, was die Drohnenproduktion übrig lässt, Barbies zu produzieren?

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