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Annalena Baerbock beim G7-Treffen in Japan: Kriege in Nahost und Ukraine


Baerbock in Japan
Das nächste große Beben

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 08.11.2023Lesedauer: 7 Min.
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Tokio: Annalena Baerbock spricht sich beim G7-Treffen in Japan eng mit den USA ab.Vergrößern des Bildes
Tokio: Annalena Baerbock spricht sich beim G7-Treffen in Japan eng mit den USA ab. (Quelle: Sina Schuldt)

In Tokio ringt Außenministerin Baerbock mit den G7-Staaten angesichts der Kriege in Nahost und in der Ukraine um Einigkeit. Aber ein Selbstläufer ist das nicht, die G7 stecken vor allem bei einer Frage in einem großen Dilemma.

Patrick Diekmann berichtet aus Tokio

Fast kein Land auf der Welt ist so durch Erdbeben bedroht wie Japan. Mehr als 1.500 Mal im Jahr bebt hier die Erde, die japanische Hauptstadt ist davon besonders betroffen. "Das nächste Erbeben ist eigentlich schon längst überfällig", meint ein japanischer Sicherheitsbeamter am Rande des G7-Treffens der Außenministerinnen und -minister am Mittwoch in Tokio. An diesem Tag scheint die Sonne, es sind 25 Grad, kein Erdbeben.

Doch die G7-Staaten fürchten durchaus das nächste große Beben, ein politisches: eine Krise, die erneut die Einigkeit der wirtschaftsstarken Demokratien erschüttert. Denn Momente der Schwäche und Selbstbeschäftigung können sich der Westen und seine Verbündeten nicht leisten. Nicht gegenüber autokratischen Machthabern wie Russlands Wladimir Putin oder Chinas Xi Jinping. Und nicht gegenüber Terrororganisationen wie der Hamas.

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Deshalb steht beim G7-Treffen in Tokio eine politische Leitlinie im Vordergrund: bloß keine öffentlich demonstrierte Uneinigkeit. Das erfordert große Kraftanstrengungen, auch von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) persönlich. Es geht darum, Gemeinsamkeiten zu betonen und die G7-Staaten in zentralen Fragen zusammenzuhalten. Ist das gelungen?

Ständig unter Strom

Die Welt steht im Angesicht zahlreicher Krisen kopf, das wird in Tokio immer wieder deutlich. Ein Beispiel: Als sich die Außenminister am Mittwoch im Iikura-Gästehaus beraten, bekommt US-Außenminister Anthony Blinken oft sein Telefon gereicht – die Politiker müssen im Konferenzraum ihre Mobiltelefone in eine weiße Box schließen lassen. Nach einigen Blicken auf sein Handy lässt sich Blinken im Gang vor dem Konferenzraum minutenlang von seinem stellvertretenden Staatschef briefen. Worüber, ist unklar, aber es scheint wichtig. Die anderen Außenministerinnen und Außenminister müssen warten.

Wegen Situationen wie dieser verschieben sich ständig Termine. Treffen werden abgesagt oder verzögern sich. Auch Baerbock und ihre französische Amtskollegin Catherine Colonna lassen ihre Kolleginnen und Kollegen am Mittwoch vor dem Familienbild wenige Minuten warten. Worüber die beiden zuvor unter vier Augen gesprochen haben, ist ebenfalls unklar. Klärungsbedarf gibt es zwischen Deutschland und Frankreich jedenfalls derzeit viel.

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Denn aus deutscher Perspektive ist nicht das weit entfernte Japan oder gar das rechtspopulistisch regierte Italien zum Sorgenkind der G7 geworden, sondern ausgerechnet Frankreich – der engste deutsche Verbündete in Europa.

Das G7-Sorgenkind

Einerseits debattierten die G7 zur Sicherheit im Indopazifik und über den Umgang mit China. Der französische Präsident Emmanuel Macron warb bei seiner China-Reise im April 2023 für mehr europäische Eigenständigkeit, auch gegenüber den USA. Die Bundesregierung möchte zwar die deutsche Wirtschaft diversifizieren, auch um die Abhängigkeit von China zu verringern. Aber Berlins Krisenpolitik zeichnet sich vor allem durch den strategischen Einklang mit den USA aus.

Die französische Ukraine-Strategie sorgt dagegen in Deutschland für Missmut, erfuhr t-online aus diplomatischen Kreisen. Frankreich setzte zwar immer wieder Akzente, indem es zum Beispiel Spähpanzer oder Marschflugkörper an die ukrainische Armee lieferte. Doch unterm Strich gibt Paris wenig – die Hilfe Frankreichs für die Ukraine ist geringer als die Japans. Und das, obwohl dieser Krieg auch französische Sicherheitsinteressen in Europa berührt.

Ein weiterer Konflikt zeichnet sich im Nahostkonflikt ab. Frankreich stimmte als einziges G7-Mitglied für die UN-Resolution, die eine sofortige Waffenrufe im Gazastreifen forderte. In einer Mitteilung begründete Frankreichs UN-Vertreter Nicolas de Rivière die Zustimmung damit, dass "nichts das Leiden von Zivilisten rechtfertige". Man müsse gemeinsam an einem "humanitären Waffenstillstand" arbeiten, weil die Lage in Gaza katastrophal sei.

Frankreich merkte zwar an, dass Israel ein Recht auf Selbstverteidigung habe und dass in der Resolution eine klare Verurteilung des Hamas-Terrors fehle. Trotzdem stimmte Paris dafür, während sich Deutschland enthielt.

Signal der Einheit und Stabilität

Für den 9. November hat Frankreich zu einer Geberkonferenz für Zivilisten im Gazastreifen nach Paris eingeladen. Mindestens der Termin war mit Blick auf Deutschland schlecht gewählt. Kein deutscher Minister wird anreisen können. Denn an diesem Tag erinnert Deutschland an den Schrecken der Reichspogromnacht am 9. November 1938, in der jüdische Geschäfte und Synagogen brannten. Dieser Tag hat in diesem Jahr – nach dem Terrorangriff der Hamas – eine noch größere Bedeutung. Dass Frankreich dies in seinen Planungen nicht berücksichtigt, hat zumindest einen bitteren Beigeschmack.

Dennoch: Die G7 müssen ein Signal der Einheit und Stabilität in die Welt schicken. Uneinigkeit und Streit haben keinen Platz, vor allem nicht im Angesicht der gegenwärtigen Krisen. Trotz strategischer Konflikte bleiben die G7-Staaten eine Wertepartnerschaft. Bedeutet: Auch wenn die Positionen teilweise etwas voneinander abweichen, so sind tragfähige Kompromisse deutlich einfacher zu erreichen als in anderen internationalen Formaten.

Auch Außenministerin Baerbock würdigte bei einer Pressekonferenz am Mittwochabend (Ortszeit) in der japanischen Hauptstadt die G7 als Deutschlands engste Partner. Es war also im Prinzip für die G7 keine Option, sich nicht auf eine gemeinsame Abschlusserklärung zu einigen. Doch wie groß ist die Einigkeit, was steht wirklich drin? Der Teufel steckt – wie so oft in der Diplomatie – im Detail. Ein Überblick:

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1. Nahostkonflikt

Die G7 verurteilen die Terrorangriffe der Hamas vom 7. Oktober und bekräftigen das Selbstverteidigungsrecht Israels. Gleichzeitig erinnern die G7-Staaten die israelische Führung daran, dass dies im "Einklang mit dem Völkerrecht" passieren müsse. Und es heißt in der Abschlusserklärung weiter: "Wir lehnen Antisemitismus und Islamophobie in jeder Form in unseren eigenen Gesellschaften und überall auf der Welt ab."

Es geht also darum, möglichst jede Position abzudecken: die Unterstützung für Israel, die Verurteilung der Hamas, den Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung. Dort, wo es Uneinigkeit gibt, sind die Formulierungen schwammiger. "Wir unterstützen humanitäre Pausen und Korridore, um dringend benötigte Hilfe, zivile Bewegungen und die Freilassung von Geiseln zu erleichtern", steht etwa in der Erklärung. Es ist keine Forderung an Israel, die die USA ablehnen. Aber diese Unterstützung ist zumindest ein Kompromiss, mit dem Frankreich leben kann.

Dafür bekommt die französische Regierung wiederum Rückendeckung für ihre Initiative für humanitäre Hilfe für den Gazastreifen. "Wir begrüßen die internationale Konferenz zu humanitären Fragen am 9. November in Paris", schreiben die G7 in ihrer Abschlusserklärung. Weiter heißt es: "Der Anstieg extremistischer Siedlergewalt gegen Palästinenser ist inakzeptabel, untergräbt die Sicherheit im Westjordanland und gefährdet die Aussichten auf einen dauerhaften Frieden." Die G7 richten demnach den Blick vermehrt auf den Nahostkonflikt mit seiner gesamten Komplexität.

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Die Botschaft der G7 scheint jedoch klar: Wir stehen zu Israel, aber wir ermutigen die israelische Führung, diesen Krieg auf richtige Weise zu führen. Aus israelischer Perspektive fehlt aber vor allem ein wichtiger Satz, der lediglich von US-Außenminister Blinken bei seiner Pressekonferenz am Mittwochabend ausgesprochen wurde: "Die Hamas darf die Kontrolle über den Gazastreifen nicht behalten." Auch ein Zeichen dafür, dass vor allem die USA die treibende Kraft der G7-Nahostpolitik sind.

Blinken nannte Schlüsselelemente einer Friedenslösung für Gaza: "Keine Wiederbesetzung des Gazastreifens nach Beendigung des Konflikts, kein Versuch, den Gazastreifen zu blockieren oder zu belagern, keine Verkleinerung des Gebiets von Gaza", so der US-Außenminister. Zudem dürfte der Gazastreifen nicht "als Plattform für Terrorismus oder andere gewalttätige Angriffe" genutzt werden.

Außenministerin Baerbock traf sich nach der letzten Arbeitssitzung beim G7-Treffen noch mit Blinken für ein bilaterales Gespräch. In ihrer anschließenden Pressekonferenz nannte die Grünen-Politikerin die gleichen Punkte wie ihr US-Amtskollege.

2. Krieg in der Ukraine

Auch angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine gibt es weitestgehende Einigkeit über die Ziele der G7: Russland soll seine Aggression gegenüber dem Nachbarland beenden, seine Truppen abziehen und die Ukraine entschädigen.

Den Winter bewerten die G7 als Herausforderung für die Ukraine. Die wirtschaftsstarken Demokratien verpflichten sich, Energiehilfe zu leisten, damit die Bevölkerung russische Angriffe auf ihre Infrastruktur besser überstehen kann. Keine Rede ist dagegen von weiterer militärischer Unterstützung. Diesbezüglich sind zwar einige Unterstützungspakete auf dem Weg, US-Hilfen aber hängen im Kongress fest.

In einem anderen Punkt heißt es in der Abschlusserklärung: "Um die Einnahmen, die Russland aus seinen Exporten erzielt, zu reduzieren, werden wir unsere Konsultationen zu Energie, Metallen und allen nichtindustriellen Diamanten, einschließlich derjenigen, die in Russland abgebaut, verarbeitet oder produziert werden, beschleunigen." Auch das ist eher schwammig formuliert und trägt dem Rechnung, dass Länder wie Japan und Frankreich noch immer russische Rohstoffe importieren.

Insgesamt halten die G7 also ihren Kurs, ohne große Sprünge nach vorne zu machen. Letztlich stehen die G7 in ihrer Ukraine-Unterstützung allerdings geschlossen zusammen.

3. China und der Indopazifik

Diesen Schwerpunkt setzte vor allem Japan auf die Agenda. Die G7 zeigen in der Abschlusserklärung, dass es eigentlich keine einheitliche China-Strategie gibt. Die Europäer möchten sich nicht von China entkoppeln, setzen auf eine Strategie aus Angeboten für eine konstruktive Zusammenarbeit und Resilienz.

Die USA stehen zwar weiterhin für einen harten Kurs gegenüber China. Es ist aber auch im US-Interesse, die Spannungen nicht weiter zu verschärfen. Immerhin trifft US-Präsident Joe Biden in den kommenden Tagen den chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Davon könnte durchaus eine Entspannung in den amerikanisch-chinesischen Beziehungen ausgehen. Deswegen könnte sich Japan damit zufriedengegeben haben, dass die G7 lediglich ihre Sorge über Pekings aggressive Politik im Südchinesischen Meer äußern und ebendiese nicht verurteilen.

Unter dem Strich lässt sich die China-Strategie der G7 aber vor allem in einem Satz der Abschlusserklärung zusammenfassen: "Wir handeln in unserem nationalen Interesse."

Das gilt auch für die G7 in ihrer Gesamtheit, auch wenn die G7 sich normativ sehr nahe stehen. Alle Mitglieder haben Eigeninteressen und manchmal braucht es Zeit, damit sich Staaten an neue geopolitische Realitäten anpassen können – zum Beispiel in der Energiepolitik.

In Japan haben die G7-Mitglieder gezeigt, dass sie kompromissfähig sind. Wie politisch wertvoll der Kompromiss allerdings ist, wird erst die Zukunft zeigen. Nur eines steht fest: Diese Zeiten sind nichts für schwache Nerven.

Verwendete Quellen
  • Begleitung der Reise von Außenministerin Baerbock nach Japan
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